Zanderblut. Wolfgang Wiesmann

Zanderblut - Wolfgang Wiesmann


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Schaum in seinem Oberlippenbart hängen bleiben konnte. Er räusperte sich und erschrak förmlich, als ihn Pastevka plötzlich ansprach.

      „Herr Haverkamp, ich hoffe Ihre gemütliche Runde nicht zu stören. Sie können sich sicher denken, in welcher Angelegenheit ich Sie anspreche. Sie würden uns viel Arbeit ersparen, wenn Sie uns über den Ausgang der Videokonferenz von letzter Woche mit dem Vorstand der Sandwerke Nord-Süd GmbH unterrichten. Wenn Sie den Zuschlag für den Erwerb der Nutzungsrechte am neuen Baggersee bereits erhalten haben, sind Sie für uns weiterhin der primäre Gesprächspartner, wenn es der Dülmener Angelverein war, dann werden wir denen unsere Pläne für eine biologisch und tierschutzrechtlich angemessene Nutzung der Anlage unterbreiten.“

      Haverkamp warf ihr ein gespreiztes Lächeln zu.

      „Frau Pastevka, wir wissen nichts Konkretes.“

      „Richtig“, pflichtete ihm Teltrup bei. „Wir haben keine Ahnung.“

      Haverkamp und Teltrup hatten das Gespräch nicht gesucht und zeigten auch kein Interesse, ihre Haltung zu ändern.

      „Also“, begann Pastevka mit einem tiefen Atemzug, „leider hat sich die Mehrheit des Rates dagegen ausgesprochen, das Gebiet um den Baggersee selbst zu erwerben. Ich sag Ihnen da mal was unter der Hand. Wir im Rat wissen, dass der Halterner Angelverein finanziell gut aufgestellt ist. Die Stadt hofft, dass Sie dort ordentlich investieren und zwar auch im öffentlichen Interesse.“

      „Heißt?“, fragte Haverkamp, als wäre ihm die Antwort egal.

      „Das Gebiet um Haltern herum wird immer wichtiger für den lokalen Tourismus. Da will man nicht ein so wertvolles Erholungsgebiet wie den Baggersee nur an einen Angelverein verscherbeln. Die Stadt drückt Ihnen Auflagen aufs Auge: öffentliche Spazierwege, Parkplätze, Joggingparkour und Gastronomie. Die wollen Gewerbesteuer, argumentieren, dass es schon genug geschützte Biotope um Haltern herum gibt. Wenn Sie nun gemeinsam mit uns für ein Naturschutzgebiet eintreten, in dem der Angelverein auf bestimmte Gebiete verzichtet, dann könnten wir eventuell eine Mehrheit im Rat gewinnen. Unter diesen Umständen kann die Stadt Ihnen dann keine einschneidenden Auflagen mehr machen, ist ja dann Naturschutzgebiet.“

      Bevor Haverkamp zu einer Stellungnahme ausholen konnte, betrat ein Mann mit Hut den Schankraum, knöpfte sich den Mantel auf, während er zur Theke ging und einen halben Liter Bier bestellte. Haverkamp wurde plötzlich nervös, zögerte und sah Teltrup aus dem Augenwinkel an. Auch bei Frau Pastevka hinterließ der neue Gast eine angespannte Reaktion. Sie straffte ihre Sitzhaltung. Ihre Stimme klang gereizt.

      „Wissen Sie was, Herr Haverkamp, wir müssen uns alle anpassen, auch die Angelvereine, deren Praktiken mit modernen ethischen Gesichtspunkten nicht mehr vereinbar sind. Es ist biologisch längst erwiesen, dass Fische Schmerzen haben, wenn sie am Haken baumeln, und Sie nennen das ganze auch noch Sport.“

      Haverkamp runzelte die Stirn und drehte sein Pilsglas gemächlich auf dem Bierdeckel. Als hätte er es geahnt, durchschnitt eine herrische Männerstimme die angespannte Stille.

      „Man kann über alles reden, aber nicht mit jedem“, betonte der stämmige Gast und hängte seinen Mantel an den frei stehenden Kleiderständer, holte sich den gefüllten Bierkrug von der Theke ab und ging auf Pastevka zu.

      „Sie haben nichts in der Tasche, was uns hier vom Hocker holt. Sie reißen Ihr Maul weit auf, zu weit, so wie früher. Was anderes kenne ich von Ihnen nicht.“

      Egon Michalzek setzte sich neben Teltrup an den Tisch der Angler. Obwohl der Mann bereits 77 Jahre alt war, imponierte er durch eine athletisch strenge Körperpositur. Sein Hut machte ihn größer, als er eh schon war, und verlieh ihm eine Distanziertheit, die man lieber nicht antastete. Michalzeks Rhetorik war gefürchtet und nicht zuletzt deswegen legte sich in der Regel niemand mit ihm an. Er war für viele Jahre Vorsitzender des Halterner Angelvereins gewesen und hatte erst im Vorjahr sein Amt an Haverkamp abgetreten, allerdings nicht ohne einen Deal. Michalzek wurde bei der letzten Hauptversammlung zum Ehrenmitglied des Vereins gewählt. Nicht alle im Verein konnten ihn leiden, sodass Haverkamp bei der Wahl zum Ehrenmitglied hier und da mit ein paar Scheinchen nachgeholfen hatte. Er wollte Michalzek loswerden und hatte gehofft, der würde sein Ehrenamt vor allem passiv ausüben.

      In Sachen Baggersee ging es Haverkamp um seine persönliche Ehre. Er wollte unter allen Umständen vermeiden, dass Michalzek ihm bei den Verhandlungen ins Handwerk pfuschte. Haverkamp wollte sich als neuer Vorsitzender profilieren und nicht im Schatten von Michalzek eine Nebenrolle spielen.

      Die Anwesenheit Michalzeks aufseiten der Männer schmälerte in gewisser Hinsicht Pastevkas Position, aber das nur augenscheinlich, denn sie war eine gestandene Frau Mitte sechzig und hungerte noch immer wie ein Teenager nach Konfrontation. Pastevka stand zu ihren grauen Haaren, trug nie Kleider oder Röcke, hatte etwas Merkelhaftes, war aber seit ihrer Jugend rebellisch geblieben. Michalzeks provokante Machotour bediente sie mit einem abfälligen Lächeln.

      „Sie sind ein billiger Aufschneider, Herr Michalzek. Blieben Sie bei den Fakten, würde Ihnen so manches Wort im Halse steckenbleiben. Mit Ihrer radikalen Haltung verderben Sie dem Verein einen guten Kompromiss.“

      „Dummes Zeug! Radikale Haltung! Wer ist denn mit Dutschke vorne weg durch West-Berlin marschiert? Kommunenflittchen! APO-Arschlöcher! Und nun kommen Sie als Tofutante und wollen uns erzählen, wie wir unseren Verein zu leiten haben.“

      Haverkamp und Teltrup tauschten mürrische Blicke aus. Michalzeks unkontrollierte Cholerik gefährdete ihre Absicht, die Grünen auf diplomatische Art für sich arbeiten zu lassen, ohne ihnen feste Versprechungen zu machen. Die Pläne der Stadt, den Baggersee als Erholungsgebiet ausweisen zu wollen, war dem Verein bekannt. Die Grünen waren das Zünglein an der Waage, um die Mehrheit im Rat zu kippen. Mit ein bisschen mehr Naturschutz hätte sich der Vorstand des Vereins anfreunden können, aber auch das wollten Haverkamp und Teltrup geschickt vermeiden. Nun machte Michalzek ihnen gerade einen Strich durch die Rechnung. Haverkamp traute sich nicht, ihn außer Gefecht zu setzen, denn in der Konferenzschaltung mit Dr. Ritter, dem Vorsitzenden der Sandwerke Nord-Süd GmbH, ging es um alles oder nichts. Bei der Gelegenheit war Michalzek als Sprecher aufgetreten und hatte Halterns Position wortgewaltig vertreten. Man schuldete ihm etwas und wagte nun nicht, ihn einfach hier öffentlich abzuservieren.

      Für Pastevka waren Michalzeks Bemerkungen über ihre frühe politische Vergangenheit überraschend gekommen. Woher wusste er das? Sie hatte nie über ihre Bekanntschaft mit Rudi Dutschke gesprochen, allerdings gab es eine alte Tagesschau Reportage, wo sie in der vordersten Reihe neben Dutschke eine Demonstration anführte.

      „Herr Michalzek, wie man hört, sind Sie Mitglied der SPD. Ihr Schröder hat mit Joschka Fischer gemeinsame Sache gemacht und Weggefährte Cohn-Bendit langweilt heute Talkshowgäste. Kommen auch Sie in 2018 an! Es war alles halb so schlimm.“

      „Papperlapapp. Sie haben die Sinnlosigkeit Ihrer Aktionen von damals nicht verdaut und moralisieren stattdessen heute an traditionellen Gepflogenheiten herum. Das Aushängeschild ‚Tierschützerin‘ steht Ihnen nicht, denn sonst würden Sie Hühner aus Käfigen befreien. Wir fischen nach den Regeln des Deutschen Tierschutzbundes und lehnen Ihren Vorschlag ab. Und wenn wir mal einen Pokal verteilen, dann heißt das nicht, dass wir um die Wette fischen, sondern ein Mitglied für seinen Sportsgeist ehren.“

      Haverkamp verzog das Gesicht und drehte seinen Kopf zur Seite, damit Michalzek nicht sehen konnte, wie ihn die Situation ankotzte. Der Verein musste in dieser schwierigen Zeit zusammenhalten. Das verdonnerte ihn jetzt zum Schweigen, aber er würde Michalzek nicht verzeihen, wie er ihn hier übergangen hatte. Er musste ihm unbedingt einen Denkzettel verpassen, sonst würde der Alte weiter den Vorstand manipulieren wollen.

      Pastevka verdrehte die Augen, blieb stoisch in ihrer Haltung und gab sich keineswegs geschlagen.

      „Ich werde mich persönlich für eine Lösung einsetzen, die dem Angelverein Steine in den Weg legen wird. Politisch wie menschlich hat mich dieses Gespräch enttäuscht.“

      Sie stand abrupt auf, wobei sie den Stuhl mit den Kniekehlen nach hinten über den Holzfußboden schob, knöpfte sich den Mantel zu und verließ mit energischen Schritten


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