Zanderblut. Wolfgang Wiesmann

Zanderblut - Wolfgang Wiesmann


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mehrere Frauen als Besitzerinnen des Schmucks infrage kommen. Ein Dieb, vielleicht einer der Jungs vom Verein, entwendet den Schmuck bei verschiedenen Gelegenheiten. Viel Wert kam bisher nicht zusammen. Kein Tresorschmuck. Der Aufwand, die einzelnen Stücke an jeweils einem anderen Karpfen zu befestigen, sprach für eine gezielt überlegte Handlung. Ein Jux war es nicht, weil es einfach auch nicht sehr lustig war und wen hätte es treffen sollen? Von jedem Verein hätten die Täter eine fette Abmahnung kassiert.

      Fey stellte sich die Frage nach dem Sinn der Aktion. Die Umstände waren zu mysteriös, als dass sich auf Anhieb ein Motiv abbildete. War es eben doch nur blanker Unsinn? Wenig glaubhaft, dass ein bestimmter Angler gemeint war. Das rückte die Vereinsspitze ins Blickfeld. Aber egal, wen man da treffen wollte, warum auf diese Art und Weise? Eigentlich lächerlich, die ganze Sache. Und dennoch steckte eine Menge Aufwand dahinter. Der Schmuck könnte eine symbolische Bedeutung haben, als Teil eines Puzzles, in dem eine oder mehrere Frauen die Hauptrolle spielten. Der Einfachheit halber ging sie davon aus, dass es sich um eine einzelne Frau handelte. Die silberne Haarspange deutete darauf hin, dass die Trägerin lange Haare hatte. Sie trug Ohrringe mit roten und blauen Steinen. Das würde nach Feys Geschmack zu einer Frau mit schwarzen Haaren passen. Die Perle aus Bernstein stammte sicherlich von einer Kette. Ein erbsengroßes Kügelchen, scheinbar wenig getragen, denn das Material glänzte sogar noch auf dem Foto.

      Sie lehnte sich zurück und versuchte sich die Frau vorzustellen. Rubin- oder Saphirsteine steckten am Ohrläppchen, dazu die Haarspange und die Bernsteinkette. Das war keine junge Frau und auch keine, die sich modern kleidete. Der Schmuck passte zu einer reifen Frau, vielleicht fünfzig oder sechzig Jahre alt, die ihr langes Haar gepflegt nach hinten trug. Dazu würde diese Frau einen roten Lippenstift und blauen Lidschatten tragen. Eigentlich ein klassischer Typ á la Sophia Loren, dachte sie, keine moderne Frau von heute. Sie konnte sich an keine Vermisstenanzeige erinnern, die zu einer selchen Person passte. Handelte es sich etwa um einen alten unaufgeklärten Fall? Sie gab einige Stichworte in den Polizeicomputer ein. Fehlanzeige. Was hatte Charly gefunden? Sie rief ihn an.

      „Hast du was für mich?“

      „Was du dir wünschst, aber ich will ’s mir nicht mit dir verderben. Also zur Sache: Ich habe die Steine aus der Fassung gelöst und konnte etwas Staub sicherstellen. Die Spektralanalyse ergab verschiedene Schwermetalle, darunter hohe Konzentrationen von Quecksilber, Blei und Aluminium. Ich habe auch organische Partikel gefunden, die aber für eine DNA-Extraktion nicht ausreichen. Die Ösen an den Ohrringen sind abgenutzt. Keine Fingerabdrücke an der Haarspange, die übrigens nur aus einer billigen Silberlegierung besteht und wenig getragen wurde. Die kleine Bernsteinkugel weist ein exzentrisches Loch auf, was darauf hindeutet, dass sie manuell gefertigt wurde oder von einem Laien, vielleicht Kinderschmuck. Du bekommst den vollständigen Bericht morgen früh. Ich lass vorher noch einen erfahrenen Juwelier draufgucken. Zufrieden?“

      „Wie fass ich das zusammen?“

      „Wenn du gestattest, schlage ich vor, dass wir es mit einer Frau zu tun haben, die die Ohrringe geerbt hat, sich mit einer billigen Haarspange die Haare band und ein Andenken aus ihrer Kindheit, die Bernsteinperle, bei sich trug. Nach meiner Meinung könnte es sich um eine junge Frau handeln, die nicht viel Geld hatte und die in einem von Schwermetallen verseuchten Gebiet lebte.“

      „Du denkst, dass sie tot ist?“

      „Ich denke, dass da draußen jemand ist, der will, dass diese Frau gefunden wird oder die Umstände ihres Todes aufgeklärt werden. Wir brauchen mehr Indizien.“

      „Also doch den Teich auspumpen.“

      „Man könnte mit einem Netz durchgehen.“

      „Dabei würden die Fische ziemlich stark belastet und die angehefteten Beweismittel gingen verloren.“

      „Dann bleibt dir nur, dich mit einer Angel an den Teich zu setzen. Petri Heil!“

      Fey legte auf. Was für ein absurder Gedanke. Sie und Angeln. Ein Sport, der für sie einschläfernder nicht sein konnte. Ihr geschiedener Mann fuhr zum Hochseeangeln auf Hai nach Island und auf die Seychellen und ließ sich dort mit Thunfischen und Marlinen fotografieren, die wie aus dem Meer geborgene Amphoren an Flaschenzügen hingen. Als sie ihn kennenlernte, schwärmte er von seinem kostspieligen Hobby und sie war begeistert von seinen funkelnden Augen, wenn er vom Kampf mit einem Mantarochen erzählte. Sie wusste damals bereits, dass sie anders empfand und sie ihn nur anhimmelte, weil seine Erzählungen so abenteuerlich klangen und das Männliche in ihm zum Vorschein brachten.

      Sie blickte in ihren kleinen Schminkspiegel, den sie aus einem roten Lederetui herausgenommen hatte. Den Lippenstift ließ sie drin. Den hatte sie seit ihrer Scheidung nicht mehr benutzt. Als es noch einen Mann in ihrem Leben gab, pflegte sie auch ihre weibliche Seite im Berufsleben vorzuzeigen, aber die Lust dazu war ihr vergangen und der Wunsch nach einem neuen Partner in unerreichbare Ferne gerückt. Seit Monaten versuchte sie, sich an das Alleinsein nach Feierabend zu gewöhnen. Eigentlich ein schizophrener Zustand, denn an Verehrern mangelte es nicht.

      Am Montag herrschte heilloses Chaos. Die Vorstände beider Angelvereine hatten sich wegen der skurrilen Funde zu Sondersitzungen eingefunden. Am Halterner Teich versammelten sich außerdem freiwillige Helfer und Sachverständige vom Wasserwerk und versuchten, das Ausmaß der Wasserpest einzuschätzen. Mit Booten kontrollierten sie die Oberfläche mitten im See, an den Ufern stiefelten Männer und Frauen entlang, um das gefürchtete Kraut zu eliminieren.

      Kommissarin Amber hatte am Sonntag im Archiv alte Fälle aus dem südlichen Münsterland und dem nördlichen Ruhrgebiet bis hin zu den 70er- und 60er-Jahren durchstöbert. Letztlich fand sie keine Parallele zu den vorhandenen Indizien. Allerdings festigte sich ihre Vermutung, dass die zugespielten Beweisstücke auf den gewaltsamen Tod einer Frau hindeuteten. Die Aufklärung eines solchen Verbrechens, so Charlys Idee, sollte hier geschehen, im Grenzgebiet zwischen Haltern und Dülmen. Sie musste umdenken. Eine Leiche würde sie durch eine Recherche kaum finden, und dass diese unten in einem der Angelteiche lag, war unwahrscheinlich. Der Schmuck konnte als Signal an die Polizei verstanden werden. Es war zu erwarten, dass weitere Indizien zutage treten würden.

      Fey hatte die KTU-Mannschaft am Montagmorgen an den Dülmener Teich geschickt , um dort nach Spuren zu suchen, die Aufschluss über den heimlichen Besatz von präparierten Karpfen geben sollten. Bisher basierte ihr Verdacht nur auf höchst individuellen Vermutungen. Sie hatte nichts in der Hand, um ihren Chef Carstensen von einem realen Mordfall zu überzeugen. Umso dringlicher war es, möglichst schnell Beweise vorlegen zu können. Pörschkes Verdacht, die Halterner wären die Urheber, hielt sie für ein politisches Kalkül. Aber gerade wegen der dürftigen Beweislage musste sie Kleinarbeit leisten und entschied sich, beim Halterner Angelverein nach sachdienlichen Hinweisen zu suchen. Sie telefonierte mit Haverkamp, dem Vorsitzenden, stellte sich vor und berichtete in Kurzform, was sich am Wochenende bei den Dülmener Sportfischern abgespielt hatte.

      „Herr Haverkamp, wie erklären Sie sich die Fänge im Dülmener Vereinsteich?“

      „Erklären kann ich das nicht, aber man stellt sich natürlich die Frage, wo die Fische herkamen. Karpfen sind sehr genügsam. Da reicht ein Tümpel zum Überleben.“

      „Und woher beziehen Sie Ihre Fische für den Besatz?“

      „Frau Amber, als Sie sich eben vorstellten, schreckte ich ehrlich gesagt kurz zusammen. Ich muss Ihnen nämlich was gestehen.“

      „Sagen Sie bloß, dass Sie auch einen Karpfen mit Juwelen gefangen haben.“

      „Nein, das nicht, schlimmer. Wir haben einen Büschel Haare gefunden. Der war an einem Karpfen befestigt. Ich habe den Fund sichergestellt. Es wäre mir lieb, wenn wir die Sache so schnell wie möglich aus der Welt räumten. Hier ist der Teufel los. Wir haben die Wasserpest im Teich.“

      „Das hört sich nicht gut an.“

      „Das ist saugefährlich, wenn ich Sie da informieren darf. Damit wenigstens dieses Problem aus der Welt ist, wäre ich den Fund gerne so schnell wie möglich los. Treffen wir uns doch in der Kajüte.“

      Eine


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