Zanderblut. Wolfgang Wiesmann

Zanderblut - Wolfgang Wiesmann


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sich nicht ein, wie es sonst seine Art war. Als er gegangen war, kramte Haverkamp ein durchsichtiges Tütchen aus seiner Hosentasche und legt es vor Fey auf den Tisch.

      „Unglaublich, aber wahr. Der Karpfen ist von einem aus der Jugend gefangen worden. Leider ist der Fisch wieder zurückgesetzt worden. Vielleicht hätten wir Merkmale gefunden, die Aufschluss geben, ob der Fisch kürzlich eingesetzt worden war.“

      „Falls das so wäre, glauben Sie, dass ein und dieselbe Person in Haltern und in Dülmen die Fische eingesetzt hat?“

      „Sieht so aus. Aber wir haben jetzt andere Sorgen.“ Haverkamp erhob sich. „Die Wasserpest. Ach, fast hätte ich es vergessen. Hier, eine Art Stretchverband, mit dem war das Tütchen am Fisch befestigt.“

      Er zahlte die Getränke und ging hinaus. Fey steckte das Beweisstück in eine Tüte, ließ ihren Tee stehen und folgte Haverkamp. Er demonstrierte Zeitmangel und nahm seinen Autoschlüssel in die Hand. Fey ließ sich nicht abwimmeln.

      „Gibt es außer dem Streitobjekt Baggersee irgendwelche persönlichen Rivalitäten zwischen den Vereinen?“

      „Nein! Frau Amber, ich muss los.“

      „Wäre Ihnen damit geholfen, wenn der Teich ausgepumpt würde?“

      „Um Gottes willen! Das lassen Sie mal getrost Sache des Umweltamtes, der hiesigen Behörden und Interessensverbände sein.“

      „Wir werden sehen, was sich anhand der Haaranalyse ergibt. Sie hatten übrigens vorhin am Telefon meine Frage nach der Herkunft der Karpfen nicht beantwortet. Woher bekommen Sie denn nun die Fische für den Besatz?“

      „Beim Herzog von Croÿ. Fragen Sie dort nach. Ich muss jetzt wirklich los.“

      „Und ich muss Sie leider bitten, das Angeln vorläufig einzustellen. Wichtige Beweismittel könnten verloren gehen.“

      „Noch so ein Tiefschlag und wir können einpacken. Die Kollegen sind auf 180, müssen Urlaub nehmen, um den Teich zu säubern.“ Haverkamp schlug die Autotür zu und raste davon.

      Fey fühlte sich mies. In den Teichen schwammen noch etliche Fische mit möglichem Beweismaterial. Da sie aber nicht einen einzigen fundierten Beleg für eine Straftat hatte, würde sie sich viel Ärger einhandeln, wenn sie eigenmächtig anordnete, die Teiche auszupumpen. Sie rief die Kollegen von der Streife an, um die Haare zu Charly ins Labor transportieren zu lassen. Auf ihrem Rückweg nach Münster machte sie Station bei der Fischzuchtanstalt des Herzogs von Croÿ in der Nähe von Hausdülmen. Sie sprach mit dem Fischwirt Holtkötter. Er zeigte ihr die Teichanlagen und erklärte ihr das jährliche Abfischen.

      „Verkaufen Sie auch an private Kunden?“, wollte Fey wissen.

      „Alltags ist bei den Privaten nichts los. Die kommen meistens am Wochenende. Auch kleine Mengen können die hier kriegen, für den Gartenteich zum Beispiel. Wir liefern nach ganz Deutschland. Das braucht Tankwagen mit Sauerstoffpumpen für die langen Wege.“

      „Herr Holtkötter, können Sie sich an Kunden erinnern, die in der letzten Zeit etwa um die vierzig Karpfen gekauft haben?“

      „Solche Mengen werden geliefert. Private Kunden haben keine Tankwagen. Aber kommen Sie, wir gucken mal in die Bücher. Da stehen alle Kunden, die beliefert worden sind. Von den kleinen privaten Kunden halten wir keine Adressen fest. Es wird nur die Menge eingetragen. Derzeit ist aber Hochbetrieb. Da fehlt schon mal der ein oder andere Vermerk.“

      Holtkötter blätterte und führte seinen speckigen Zeigefinger entlang der Spalte für die Verkaufsmengen.

      „Nee, für private Kunden finde ich keine so große Zahl. Da kann ich Ihnen nicht helfen.“

      Fey bedankte sich und ging zu ihrem Wagen zurück. Was sagten die KTUler? Sie sprach mit dem zuständigen Leiter des Außendienstes.

      „Was gibt es Neues vom Dülmener Vereinsteich?“

      „Wir haben Schleimspuren und einige Schuppen, etwa daumennagelgroß, an einer Stelle am Teich gefunden, die mit dem Auto erreichbar ist. Die dazugehörigen Reifenabdrücke fielen leider nur sehr dürftig aus. Das frische Herbstlaub hat die Spuren verwischt, andererseits konnten wir durch den Laubfall die Zeit eingrenzen, in der das Fahrzeug dort war. Schätzungsweise wurden die Fische etwa vor drei bis vier Tagen im Dülmener Teich eingesetzt. Ich habe allerdings noch etwas ganz Besonderes für Sie. Es handelt sich um ein absichtlich dort am Teich deponiertes Kleidungsstück und zwar um einen Turnschuh der Größe 36 mit weißem Schleifenband als Schnürsenkel. Der Schuh war an einen Baum genagelt.“

      „Okay, schnellstens ins Labor damit und die halbe Truppe sofort nach Haltern an den Vereinsteich und ebenfalls nach Spuren untersuchen. Da will uns jemand etwas mitteilen und wir beißen an. Schick mir Fotos von dem Turnschuh.“

      Zweifelsohne ging es um das Schicksal einer Frau, das jemand anderes aus der Vergangenheit ans Licht bringen wollte, und der Adressat war die Polizei. Feys Handy summte. Sie betrachtete das Foto und sofort war ihr klar, dass es sich um eine junge Frau handeln musste. Das, was der Kollege mit Schleifenband bezeichnet hatte, war ein aus Spitze bestehendes Band, das sorgfältig zu einer Schleife gebunden war. Das wirkte jugendlich.

      Charly meldete sich auf ihrem Handy. „Hallo Fey, der Juwelier, den ich befragt habe, sagt, dass Ohrringe dieser Art Anfang des Jahrhunderts aus Österreich-Ungarn auf den deutschen Markt kamen. Im Zweiten Weltkrieg wurden sie oft gegen Butter und Kartoffeln eingetauscht. Danach verloren sie ihren Reiz und verschwanden vom Markt. Die Haarspange ist billiger Kaufhausschmuck und der Bernstein trägt Einschlüsse von winzigen Objekten aus dem Meer.“

      Fey bedankte sich. Aufgrund der Schuhgröße konnte sie auf die Körpergröße schließen. 160 bis 165 cm schätzte sie. Haarfarbe war eindeutig schwarz und auch beim Alter wagte sie eine vorläufige Eingrenzung. Der Turnschuh auf dem Foto war ein billiges Fabrikat, Stoff und Gummi und stellenweise verschlissen. So was trugen eher junge Frauen – eine Modeerscheinung, die mit den 60er-Jahren aufkam. Wenn es sich um einen Mord handelte, geschah er in der Gegend zwischen Haltern und Dülmen. Das war zwar eine vage Vermutung, aber es reichte für eine brauchbare Arbeitshypothese. Schließlich waren Haltern und Dülmen die Schauplätze für die Funde. Da gab es einen Zusammenhang zwischen Mord und Ort. Die Beteiligten würden in diesem Umfeld zu suchen sein. Aber laut Aktenlage wurde kein Mord an einem Mädchen verübt, das die bisher bekannten Merkmale trug. Eine solche Leiche wurde nie gefunden. Wasser spielte eine Rolle und Angeln auch. Vielleicht wurde das Mädchen ertränkt oder ertrank durch Fremdverschulden. Außerdem war sie zugereist. Charly hatte festgestellt, dass die Schwermetallkonzentration in den Haaren bis zur Haarwurzel in den letzten Monaten ihres Lebens abgenommen hatte. Er konnte nachweisen, dass sie vor ihrem Ableben etwa neun Monate in einer relativ sauberen Umwelt verbracht hatte.

      Unterwegs nach Münster riefen die KTUler vom Halterner Vereinsgewässer an und berichteten ebenfalls von Fahrzeugspuren und Fischschuppen, die auf den Besatz von Fremdfischen hindeuteten. Außerdem fanden sie ein silbernes Kettchen mit einem Peace-Zeichen als Anhänger daran, das ebenfalls an einem Baum befestigt war.

      Fey fühlte sich an die 68er-Generation erinnert. Hippies, Love, Peace, Woodstock und die Demos im geteilten Deutschland. Turnschuhe, billige Haarspange, jung, geerbter Schmuck. Da passte einiges zusammen. Der Mord wäre damit zeitlich grob einzuordnen. Er würde in den Zeitraum 1965 bis 1975 fallen. Um es nicht zu kompliziert zu machen, legte sie die Zeit auf etwa 1970 fest und fasste zusammen: Mord an einer jungen schwarzhaarigen Frau der Hippiegeneration, im Einzugsgebiet zwischen Haltern und Dülmen, von Bedeutung sind Wasser und Angeln. Die Frau ertrank, ihre Leiche wurde nie gefunden, aber es gab mindestens einen Zeugen und genau dieser wühlt nun in der Vergangenheit. Will er Gerechtigkeit oder Rache? Er spielt mit Beweismaterial, will die Polizei beteiligen. Zwei Fragen drängen sich auf: Erstens:Warum ging der Zeuge damals nicht zur Polizei? Zweitens: In welchem Verhältnis stand der Zeuge zu dem ermordeten Mädchen? Vielleicht hatte er selber Dreck am Stecken und zog es damals vor zu schweigen? Die ermordete Frau war ein Teenager oder in ihren frühen zwanziger Jahren. Das war ein Alter, in dem man sich verliebte. Insofern könnte es sich auch um ein Beziehungsdrama gehandelt haben. Ihr damaliger Partner wäre heute etwa sechzig


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