Bilder aus dem Berliner Leben. Julius Rodenberg

Bilder aus dem Berliner Leben - Julius Rodenberg


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konnte sich dennoch im höchsten Maße daran erfreuen. So wäre es für ihn undenkbar gewesen, auf seine täglichen Spaziergänge durch die Stadt zu verzichten, denen wir heute diese wunderbaren Erinnerungen an das alltägliche Berliner Leben verdanken, welche in anderen historischen Werken in dieser Art seltener zu finden sind. Er gibt uns nicht die Milieustudien eines Heinrich Zilles und äußert sich auch nicht staatskritisch wie Ernst Dronke. Er nimmt sich aber die Zeit, eine Entwicklung innerhalb Berlins zu beschreiben, die nicht von Armut und Repressalien geprägt ist und schildert auf seine spezielle Weise den städtebaulichen und kulturellen Werdegang der noch jungen Metropole.

      Hier ist es interessant einmal einen Blick auf den Lebenslauf und die persönliche Entwicklung des Wahlberliners zu werfen: Julius Rodenberg wurde 1831 als Julius Levy und ältestes von sechs Kindern geboren. Er wuchs in einer wohlhabenden, literarisch interessierten jüdischen Familie auf. In demselben Jahr, in dem er sein Abitur in Rinteln machte, veröffentlichte er die Gedichtsammlung „Geharnischte Sonette für Schleswig-Holstein”, eine Sammlung von der Revolution von 1848 inspirierter, politischer Lyrik mit nationalistischem Eifer. Rodenberg strich sie jedoch im Nachhinein aus seiner Gesamtgedichtsammlung, da sie ihm zu radikal erschien.

      In den folgenden Jahren absolvierte er ein Jurastudium, welches ihn zum ersten Mal nach Berlin führte. Schon im Alter von 23 Jahren verkehrte er in bekannten Literatenkreisen, denen Paul Heyse, Gottfried Keller, sowie die Brüder Grimm angehörten. Die Großstadt wirkte auf den jungen Studenten zunächst verwirrend und beängstigend, doch schon bald begann er mit seinen ersten Streifzügen durch die Stadt, die ihn sein Leben lang faszinieren sollte.

      Ab 1854 arbeitete er in Marburg als Redakteur am Feuilleton des „Hannoverschen Kurier”. Im selben Jahr riet ihm sein Mentor, der Schriftsteller und Diplomat Karl August Varnhagen von Ense, zur Namensänderung und zur Konvertierung zum Christentum, wovon Rodenberg jedoch nur das erstere verwirklichte. Es folgten weitere Reisen, bei denen er oft als Korrespondent über die damals populären Weltausstellungen berichtete. Wichtigste Stationen waren London und Paris, wo er das Großstadtleben besser kennen lernte und seine Fremdsprachenkenntnisse vertiefte. Nach seiner Promotion in Marburg verlagerte sich sein Interesse weg von lyrischen Arbeiten hin zu Reiseberichten, die seine ersten größeren Erfolge wurden.

      1859 erfolgte die endgültige Übersiedlung nach Berlin. Er arbeitete als freier Journalist für das Feuilleton der „Preußischen Zeitung, der „Breslauer Zeitung” und als Korrespondent für die Wiener „Presse” und knüpfte dadurch Kontakte zu national-liberalen Kreisen.

      Auf einer Italienreise begegnete er Justina Schiff, Tochter eines reichen Fabrikanten, die er 1863 heiratete und mit der er eine Tochter, Alice Rodenberg, hatte.

      Seine Laufbahn als Publizist begann 1862 mit der Herausgabe des „Deutschen Magazins”, einer monatlich erscheinenden Unterhaltungszeitschrift, die jedoch bereits nach zwei Jahren wieder eingestellt wurde. Anschließend übernahm er die Leitung der belletristischen Beilage der Frauen- und Modezeitschrift „Bazar”. 1867 gründete Rodenberg zusammen mit Ernst Dohm die Zeitschrift „Salon für Literatur, Kunst und Gesellschaft”, die er ab 1871 alleine weiterführte.

      Mit Hilfe seines großen Netzwerks an literarischen und kulturpolitischen Kontakten, rief er im Jahr 1874 schließlich seine eigene Zeitschrift ins Leben: Die „Deutsche Rundschau”. Diese wurde vierzig Jahre lang von ihm persönlich redigiert und entwickelte sich zu seinem Lebenswerk. Sie etablierte sich zu einer anspruchsvollen, monatlichen Revue und wurde bald zum Forum der Intellektuellen der Gründerzeit. Es handelte sich um ein bürgerlich-konservatives Blatt, das den Anspruch erhob, gleichermaßen liberal wie national ausgerichtet zu sein. Die Zeitschrift förderte viele Autoren, die später teilweise zu Weltruhm gelangten, unter anderem Theodor Storm, Gottfried Keller, Paul Heyse, Conrad Ferdinand Meyer, Ernst Robert Curtius oder Theodor Fontane, mit dem Rodenberg einen regen Briefwechsel pflegte.

      Neben seiner Tätigkeit als Publizist verfasste er weiterhin zahlreiche literarische Schriften, beispielsweise den dreibändigen Gesellschaftsroman „Die Grandidiers” (1878), der heute als sein Hauptwerk gilt. Die „Bilder aus dem Berliner Leben” wurden ebenfalls in drei Bänden herausgegeben undim Zeitraum von 1885 bis 1888 in der „Deutschen Rundschau” veröffentlicht. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass Rodenbergs publizistische Tätigkeit in seinem Leben eine bedeutendere Position einnahm als seine schriftstellerische.

      Im Jahre 1867 zog Rodenberg mit seiner Familie in die Margarethenstraße 1 in Berlin. Hier lud er sich abends gern eine Schar von Gästen ein, speiste mit ihnen und tauschte sich über das Kulturleben Berlins aus. Als Ehrung für seine 25-jährige Redaktionstätigkeit bei der „Deutschen Rundschau” verlieh man ihm 1899 den Professorentitelund er wurde 1911 zum Ehrenbürger der Stadt Rodenberg ernannt.

      Julius Rodenberg starb am 11.7.1914 in seinem Wohnhaus in Berlin und wurde auf dem Zentralfriedhof in Friedrichsfelde begraben.

      Heute jedoch erinnert kaum noch etwas an diesen leidenschaftlichen Verehrer der Stadt Berlin. Lediglich eine Straße und ein mittlerweile geschlossenes Gymnasium im Stadtteil Prenzlauer Berg sind nach ihm benannt worden, sowie eine Grundschule in seiner Heimatstadt. Doch es lohnt sich, ihn und sein Berlin in die Erinnerung zurück zu rufen und ihm auf seinen Spaziergängen durch diese faszinierende, lebendige Stadt zu folgen, wenn er fragt: „Wohin nun, mein Freund? Ganz Berlin gehört dir; entscheide, triff deine Wahl!”

      Julius Rodenberg, Bilder aus dem Berliner Leben

      Die letzte Pappel

      (Dezember 1875)

      Der Sturm von gestern nacht hat sie gefällt. Es war aber auch ein furchtbarer Sturm. Die Fenster klapperten, die Ziegel fielen von den Dächern, draußen war ein solcher Rumor und in meinem Schlafzimmer ein solcher Zug, dass ich zum ersten Male nach langer Zeit wieder in einer Schiffskajüte zu schlafen glaubte. Die ganze Nacht träumte ich von der See, und als ich einmal aufwachte – meine brave Schwarzwälder Uhr draußen auf dem Gange schlug gerade drei –, da war mir, als ob ich den alten Kapitän rufen hörte – den alten dicken Kapitän mit der roten Nase und den kurzen Beinen, denselben, mit dem ich vor Jahren einmal in einer ähnlichen Nacht unterwegs war, zwischen Leith und Hamburg –, und dann vernahm ich ordentlich das Ächzen des Schiffes und das Brausen der Wellen, und ein Ton war in der Luft, als ob ein Baum bräche, als ob Holz splittere ... »Mein Gott, mein Gott«, rief ich, »wir sind verloren« – und ich wollte mich eben anschicken, das sinkende Schiff zu verlassen, um in einem der Böte Rettung zu suchen, als ich zum Glück bemerkte, dass ich in meinem Bette sei und dass sich alles in guter Ordnung befinde, mit Ausnahme der Wettergardinen und Ringe, welche vor dem Fenster zusammen mit dem Winde klingelten und musizierten, dass einem der Schlaf wohl vergehen konnte. Doch es war Sphärenmusik, verglichen mit den Schrecken der heulenden See, welche sich mir so lebendig aufdrängten, dass ich nicht nur den gischtüberschäumten Steuerbord gesehen, das Tosen der Brandung gehört, das Gemisch von Salz und Teer gerochen, sondern auch gewissermaßen den Grog geschmeckt hatte, den ich gestern abend mit dem alten Kapitän getrunken. Der friedliche Zuruf meiner Uhr beruhigte mich indessen auch über diesen letzteren Punkt; es ward mir plötzlich klar, dass ich allerdings gestern abend Grog getrunken, starken Grog obendrein, aber nicht mit dem Kapitän – der, Gott weiß es, schon lange kein Schiff mehr führt. Ich schlief also wieder ein. Aber in derselben Nacht und um dieselbe Stunde ist sie vom Sturme gebrochen worden, die letzte Pappel.

      Abbildung 1, Julius Rodenbergs Wohnhaus in der Margaretenstraße 1, 1935

      Als ich zuerst in diese Gegend der Stadt kam, vor vierzehn oder fünfzehn Jahren, da waren mehr Pappeln hier; in der Tat, mehr Pappeln als Häuser. Das Haus, in dem ich jetzt wohne1, war noch nicht, und die Straße, in der es steht, war noch nicht, und alle anderen Straßen um sie her waren auch noch nicht. Gärten waren da, mit kleinen, niedrigen, einstöckigen Häuschen und gemütlichen Leuten darin, denen man in die Fenster sehen konnte, wenn man vorüberging. Man konnte sie, bei der Lampe, rund um den Tisch sitzen und ihr Abendbrot essen sehen, welches ihnen in der Regel ausgezeichnet schmeckte. Still war es hier wie auf dem Lande; Wagen kamen


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