Hölle in Himmel. Joe Wentrup

Hölle in Himmel - Joe Wentrup


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Hinsehen erahnte. Schade, dass sie seine Vorgesetzte war, ging es Kahlberg mal wieder durch den Kopf, bevor sie sich gegenüberstanden und mit kollegialem Grinsen den Handschlag sparten.

      »Tut mir wirklich leid, Sie aus Ihrem freien Tag gerissen zu haben.«

      »Und aus dem Bett.«

      »Ich hoffe, Sie hatten ausreichend Schlaf.«

      Ihre aufgeweckten braunen Augen sahen ihn forschend an und Kahlberg vermutete für einen Moment in ihrem Blick eine süffisante Doppeldeutigkeit.

      »Ich bin okay«, antwortete er dann und lächelte breit, wobei die Stoppeln seines unrasierten Kinns sich aufstellten wie die Stacheln eines Kugelfisches.

      »Gut. Dann wollen wir mal.«

      Sie durchquerten die Eingangshalle und fuhren mit dem Lift in den obersten Stock. Erneut kontrollierte eine Empfangsdame ihre Ausweise, bevor sie die beiden Beamten durch einen mit dickem Teppich belegten Flur zu einer Tür führte, an die sie klopfte.

      »Herein«, kam es dumpf durch das dunkle Tropenholz.

      Die Sekretärin öffnete, ließ Hahne und Kahlberg eintreten und zog sich diskret zurück.

      Der Innenminister, ein drahtiger Mann, der gelernt hatte, seine linkische Menschenscheu durch das geübte Gebaren eines Berufspolitikers zu verbergen, saß hinter einem ausladenden Schreibtisch aus Teakholz, hinter sich an der Wand ein Neo Rauch, dessen Bedeutung sich ihm entzog, den er jedoch höchstpersönlich ausgewählt hatte, um die Zeitbezogenheit und finanzielle Potenz seines Ministeriums zu untermalen.

      Eine Seite des Raums bestand einzig aus Fenstern, die den Blick freigaben auf den Spee’schen Graben und den weiter entfernt dahinfließenden Rhein. Ohne sich zu erheben, bat der Minister die beiden Besucher, ihm gegenüber Platz zu nehmen, und kam ohne Umschweife zur Sache.

      »Wir haben eine kleine Unannehmlichkeit, über die wir uns gerne Klarheit verschaffen würden.« Er öffnete und schloss einen teuren Füllfederhalter, während er seinen Gegenübern routiniert eindringliche Blicke zuwarf. »Ein Mitglied der Koalitionspartei ist heute Morgen tot aufgefunden worden. Nicht hier in Düsseldorf, sondern in der Provinz.«

      »Und was haben wir dann damit zu tun?«, fragte Kahlberg, ohne der Rangordnung gemäß Hahne das Wort zu überlassen.

      Diese hätte ihn ob seines draufgängerischen Protokollfehlers gerne mit einem nachsichtigen Lächeln abgestraft, welches sie jedoch, in Gegenwart des Innenministers, in einen strengen Blick umwandelte.

      »Es ist ein delikater Fall«, erklärte sie Kahlberg übertrieben kühl. »Bei dem Toten handelt es sich um einen dortigen Parteivorsitzenden, einen gewissen Rottmann.«

      Kahlberg zog die Augenbrauen hoch. Seine Chefin befand sich also schon auf dem Laufenden.

      »Ein Verbrechen?«, fragte er fast beiläufig.

      »Tod durch Ertrinken lautet der vorläufige gerichtsmedizinische Befund.«

      »Irgendwelche Spuren von Gewalt?«

      »Keine.«

      Kahlberg zuckte verständnislos mit den Schultern.

      »Es ist bald Wahlkampf«, meldete sich der Innenminister zu Wort und zog den Füllfederhalter komplett aus der Hülle. »Der Tote war eine Person des öffentlichen Lebens mit potentiell vielen Feinden. Wir müssen jeder Art von Skandal möglichst zuvorkommen.«

      »Sie meinen wohl, Sie müssen dem zuvorkommen.« Kahlberg funkelte ihn herausfordernd an.

      Der Innenminister warf ihm einen indignierten Blick zu, dann wandte er sich an Hahne.

      »Erklären Sie’s ihm.«

      »Der Innenminister hat das Recht, eine solche Untersuchung anzuberaumen, wenn der Verdacht besteht, die örtlichen Behörden könnten befangen sein.«

      »Und worin begründet sich dieser Verdacht?«

      »Kahlberg, ich muss Ihnen doch wohl nicht erklären, wie die Dinge in der Provinz funktionieren.«

      »Bestimmt nicht. Aber ich frage erneut, was hat das Ganze mit uns, oder vielmehr mit mir zu tun?«

      »Der Tote wurde in Himmel gefunden.«

      »In Himmel?« Kahlbergs Augen weiteten sich ungläubig. Sie erwarteten doch nicht von ihm, seine Nase in den Ort zu stecken, den er am wenigsten riechen konnte. Alles in ihm bäumte sich dagegen auf.

      »Sie glauben doch wohl nicht, dass ich …«

      »Doch. Und zwar noch heute. Ich habe bereits ein Hotelzimmer für Sie reservieren lassen.«

      »Können Sie niemanden da hinschicken, der mal Urlaub auf dem Land nötig hat?«

      Hahnes Augen wurden hart. Kahlberg kannte diesen Blick nur allzu gut, kalkulierte, wie lange ihre Beziehung wohl halten würde, sollte sie sich je ergeben, und nickte resigniert.

      Der Innenminister steckte zufrieden die Hülle zurück auf seinen Füllfederhalter.

      Als sie alleine im Aufzug standen, lächelte Hahne Kahlberg mitfühlend an. Sie sah wirklich verdammt gut aus.

      »Irgendwann müssen wir alle mal zurück, Kahlberg.«

      KAPITEL VIER

      Er sah nicht besonders gut aus, eher durchschnittlich, und besaß trotz aller Diätversuche einen leichten Bauchansatz.

      Seine Stimme aber hatte es in sich. Wenn er in Begleitung seiner Bigband sang und man die Augen schloss, konnte man Sinatra persönlich auf der Bühne vermuten.

      Und er sang. Nur lauschte niemand mit geschlossenen Augen. Das Publikum starrte ihn vielmehr mit dem kalten, abschätzenden Blick eines Schlachtermeisters an und hatte zudem Bohnen in den Ohren. Zumindest die wenigen, die er als Publikum an diesem grauen, kalten Samstagnachmittag auf dem Marktplatz ausmachen konnte, weit weg von der Bühne am Bierstand, verschanzt hinter in Krügen schalendem Gerstensaft.

       Start spreadin’ the news

       I am leavin’ today

       I want to be a part of it

       New York‚ New York

      Seine Band legte sich ins Zeug, die Bläser spielten mit Nachdruck, das Keyboard führte sicher, der Schlagzeuger brachte alles auf den Punkt. Er spürte, wie seine Stimme sich beflügelt über jenen Hades emporschwang, der sich feindselig vor ihm ausbreitete.

      Als ob bei dem hiesigen Motto »Himmler Schlosstage« nicht ein genitivisches »s« fehlte, dachte er mit Häme.

       These vagabond shoes

       They are longing to stray

       Right through the very heart of it

       New York‚ New York

      Kahlberg saß hinter dem Steuer seines 83er Audi Quattros. Doch obwohl er bereits seit einiger Zeit nur halbherzig Gas gab, kam die Abfahrt unerbittlich näher. Widerwillig fuhr er von der Autobahn herunter, bog auf die Landstraße, rollte an einer Tankstelle sowie einem Burgerrestaurant vorbei und unter einem Eisenbahnviadukt hindurch, der sich über das enge Tal spannte.

      Erstaunt bemerkte er einen vor anscheinend noch nicht allzu vielen Jahren durch den Berg getriebenen Autotunnel und erinnerte sich vage, davon gehört zu haben.

      Dann fuhr Kahlberg zwischen düsteren, mit schwarzem Schiefer bedeckten Häusern zur Altstadt hinauf. Die Schaufenster der ehemaligen Geschäfte waren von innen mit Laken oder Gardinen verhängt, vereinzelt auch ersetzte zusammenhangslos exponierter Trödel die Auslagen. Auf dem schmalen Bürgersteig ging nur ein einzelner Mann in Turnhose und Parka, eine Baseballkappe gegen die Kälte tief ins bleiche Gesicht gezogen.

       I wanna wake up in a city

       That doesn’t sleep


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