Hölle in Himmel. Joe Wentrup

Hölle in Himmel - Joe Wentrup


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Haar und lauerndem Blick, hatte er selbst an diesem Samstag ins Rathaus kommen lassen; wahrscheinlich weniger, um die Etikette zu wahren, als vielmehr, um einen ihm wohlgesonnenen Zeugen anwesend zu wissen.

      Mit ernster Miene gab Adler Kahlberg die Hand und begrüßte ihn, als Zeichen seiner umfassenden Informiertheit, wie aus der Pistole geschossen mit Namen. Eine unterschwellige Geringschätzung schien in seiner Stimme mitzuschwingen.

      Kahlberg kamen Adlers Gesichtszüge bekannt vor, wenn er sie auch nicht mit einer Amtsstube, schon gar nicht der des Bürgermeisters, assoziieren konnte. Ein Helm, dachte er, er hatte einen Helm getragen, während Adler Scheiwe begrüßte und für einen Moment ein vertrauliches Lächeln über sein Gesicht huschte. Sie kannten sich wohl. Auch der Sekretär begrüßte die soeben Angekommenen förmlich, für einen Moment aus der etwas übertrieben vorgetragenen Rolle des feindseligen Leibwächters fallend.

      »Ich bin zutiefst erschüttert.« Adler machte keine Anstalten, sich an seinen schweren Eichenschreibtisch oder die etwas deplatziert wirkende Sitzecke aus Chromstahl zu setzen, und alle blieben steif in der Mitte des Raumes stehen. »Wir waren uns natürlich nicht in allem einig, aber die Zusammenarbeit mit Rottmann erwies sich immer als konstruktiv, ein Glücksfall für Himmel.«

      »Wann haben Sie ihn das letzte Mal gesehen?«, wollte Kahlberg wissen.

      Adler dachte einen Moment nach.

      »Wohl bei der letzten Ratssitzung«, sagte er dann, wobei er sich die Zusammenkunft vor Augen zu rufen schien. »Es ging darum, wie wir der Stadt neues Leben einhauchen könnten. Ein Thema, das uns allen sehr am Herzen liegt. Rottmann, wie immer äußerst engagiert, hat mich dann noch bis in die Nacht hinein am Telefon mit Ideen bombardiert.«

      »Wirkte er angetrunken?«

      »Wir alle kannten sein Alkoholproblem. Er hat aber trotzdem immer volle Leistung gebracht.«

      »Benahm er sich irgendwie anders?«, meldete sich Scheiwe zu Wort. »Ich meine, machte er einen depressiven Eindruck, sprach er irgendwie von Abschied?«

      Adler schüttelte den Kopf. »Nein, er wirkte aufgekratzt wie immer, voller Pläne.«

      »Um was für Pläne handelte es sich dabei?«, hakte Kahlberg nach.

      »Ach, wissen Sie«, Adler lächelte nachsichtig, an der Grenze zur Herablassung. »Himmel ist nicht mehr das, was es mal war. Die Menschen ziehen fort, wir müssen den Ort attraktiver gestalten. Eines unserer Projekte ist, die Stadt altenfreundlicher zu machen und so wohlhabende Menschen im Ruhestand und kompetentes Pflegepersonal, eine ganze Infrastruktur, anzuziehen. Sie können sich gerne die Protokolle der Ratssitzungen ansehen, dort finden Sie alles bis ins Detail.«

      »Natürlich kann ich das«, knurrte Kahlberg. »Aber ich würde lieber wissen, was Rottmann am Mühlengraben zu suchen hatte, auf einem unbeleuchteten Weg und ohne ein Bier weit und breit.«

      »Man merkt, Sie sind in punkto Himmel nicht ganz auf dem Laufenden, Kahlberg.« Adlers Lippen zuckten spöttisch. »Einige der Schrebergartenhütten unten am Mühlengraben sind regelrechte Kneipen. Rottmann hat wohl einige seiner Wähler betreut.«

      Kahlberg sah Scheiwe fragend an. »Ist das da unten so?«

      »Wir schauen weg, so gut es geht.«

      Das konnte sich Kahlberg denken. Sie schauten hier so gut weg, dass es Scheiwe nicht einmal für nötig befunden hatte, ihm gegenüber die Schrebergärten als Rottmanns möglichen letzten Aufenthaltsort zu erwähnen.

      »Dann ist es wohl an der Zeit, endlich mal ein Auge auf diese ach so geheimen Orte zu werfen«, sagte Kahlberg und blickte Scheiwe übertrieben freundlich an. »Da Wochenende ist, kommen wir bestimmt auf unsere Kosten.«

      »Warum nicht?«, entgegnete sie scheinbar unbekümmert. Doch ihre leicht verzogenen Mundwinkel verrieten, dass Kahlbergs Vorwurf angekommen war.

      Zum Abschied gab man sich erneut die Hand.

      »Gut, dass aus Ihnen noch was geworden ist, Kahlberg.« Adlers Lächeln wirkte nun beinahe drohend.

      Kahlberg überspielte den unverhohlenen Hinweis auf seine Vergangenheit mit einem betont unbekümmerten Grinsen. Zu gerne hätte er gewusst, woher er Adlers Gesicht kannte, zog es aber vor, ihm nach dem vergifteten Kompliment nicht durch Nachfragen weitere Angriffsflächen zu bieten.

      Der Sekretär, der die ganze Zeit geschwiegen hatte, fiel erneut aus der Rolle des Leibwächters, eine leichte, ungelenke Verbeugung andeutend.

      Alle atmeten erleichtert auf, als das Treffen vorbei war.

      KAPITEL SIEBEN

      Kahlberg und Scheiwe liefen über einen schmalen Pfad, der zwischen hohen Hecken die Schrebergartensiedlung durchzog. Ihre Schuhe knirschten im Kies, der schwere Geruch von feuchtem Laub stieg in ihre Nasen. Deutschlandfahnen hingen schlaff im Regen. Ein Mann mit einem Hund kam ihnen entgegen und zwängte sich grußlos vorbei, Tier und Herr in der gleichen geduckten Haltung. Es begann, dunkel zu werden.

      »Warum haben Sie mir nicht gleich hiervon erzählt?«, fragte Kahlberg.

      Scheiwe wand sich einen Moment, bevor sie antwortete:

      »Wir schauen hier weg und kümmern uns um Wichtigeres«, sagte sie. »Das ist mir wohl schon zur Gewohnheit geworden.«

      Kahlberg blieb stehen und sie tat es ihm nach. Er musterte sie missbilligend.

      Sie machte eine rechtfertigende Geste. »Schließlich sind wir nicht das Gewerbeaufsichtsamt.«

      »Ich auch nicht.«

      »Ich weiß.« Ihr Blick tastete suchend, wie der eines Kindes, das nach einem Fehler die richtige Antwort geben will. »Kommt nicht wieder vor.«

      Natürlich sollte diese Floskel ihn, den Eindringling, bloß abspeisen. Trotzdem ließ er es darauf beruhen und wandte sich wieder zum Gehen.

      »Wieso haben Sie eigentlich bei uns angefangen?« Er lächelte verbindlich, damit sie die Frage als Friedensangebot verstand und nicht als sarkastische Kritik.

      »Ich hatte es nicht so eilig wegzukommen wie die Meisten, ich war ziemlich verliebt. Und unter den Jobs, die sich hier anboten, schien mir der hier noch der spannendste. Ich fuhr also täglich mit dem Zug zur Polizeischule nach Hagen. Drei Jahre später war ich Bulle auf Lebenszeit. Und Single.«

      Sie lachten beide. Das Leben spielte bei niemandem mit, wie es sollte. Scheiwe kehrte sich eine blonde Strähne aus der Stirn und zuckte mit dem linken Unterlid, was ihren Augen einen besonderen Glanz verlieh. »Und Sie?«

      »Nach meinem Psychologiestudium verstand ich die Welt keinen Deut besser als vorher und wollte dem Ungeheuer ins Auge sehen.« In Wahrheit hatte er sich aus Gleichgültigkeit beworben und zu seinem Erstaunen die Zulassung zum Studium erhalten. Da erst war ihm bewusst geworden, dass sein vorheriges Leben keine Spuren in den Akten hinterlassen hatte und die Menschen ihn nach dem Eindruck beurteilten, den er damals hinterließ. Den eines intelligenten jungen Mannes.

      Scheiwe blieb vor einem Gartentor stehen. Hinter einem Gemüsebeet und einem Stück Rasen stand ein solider kleiner Bungalow.

      »Wir sind da, das Ungeheuer erwartet Sie.«

      Als sie eintraten, richteten sich alle Blicke auf Scheiwe oder vielmehr ihre Uniform und jede Konversation erstarb. Drinnen saß man dicht gedrängt zwischen Zigarettenschwaden und trank Bier. Auf einem Flachbildschirm lief die Liveübertragung der Partie BVB gegen Hertha. Die schwarz-gelben Schals der Anwesenden ließen keinen Zweifel daran aufkommen, auf wessen Seite sie standen.

      Während der Moderator das Spiel in die Stille hinein kommentierte, schloss Kahlberg, der den Bungalow hinter Scheiwe betreten hatte, die Tür. Das kurze Eindringen frischer Luft hatte den vorhandenen Dunst nicht vertrieben, es roch nach Tabak, Alkohol und Schweiß. Er zählte neun Männer und zwei Frauen. Die Frauen roch man nicht.

      »Kahle, Alter!«, brüllte plötzlich jemand und zeigte beim Grinsen seine Zahnlücke. »Kennste mich nicht mehr?«

      Natürlich


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