Das Haus der Freude. Edith Wharton

Das Haus der Freude - Edith Wharton


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dass Miss Bart gefürchtet hätte, sie könnte den eben erst erworbenen Einfluss auf Mr. Gryce verlieren. Mrs. Dorset würde ihn vielleicht in Erstaunen versetzen oder blenden können, aber sie hatte weder das Geschick noch die Geduld, ihn wirklich zu erobern. Sie war zu ichbezogen, um die Tiefen seiner Schüchternheit zu ergründen, und außerdem, warum sollte sie sich die Mühe machen? Höchstens einen Abend lang konnte es sie amüsieren, sich über seine einfache Art lustig zu machen – danach würde er ihr nur zur Last fallen, und weil sie das wusste, würde sie ihn, erfahren, wie sie war, nicht ermutigen. Aber allein der Gedanke an diese andere Frau, die sich einen Mann nehmen und ihn beiseite schieben konnte, wie sie wollte, ohne ihn als möglichen Faktor in ihren Plänen ansehen zu müssen, erfüllte Lily mit Neid. Percy Gryce hatte sie den ganzen Nachmittag über gelangweilt – schon der Gedanke an ihn schien ein Echo seiner eintönigen Stimme in ihr wachzurufen –, aber sie konnte ihn am andern Morgen nicht einfach unbeachtet lassen, sie musste ihren Erfolg ausnutzen, musste sich weiterer Langeweile unterwerfen, musste ihm von neuem entgegenkommen und ihr Anpassungsvermögen unter Beweis stellen, und all das allein in der Hoffnung, dass er ihr schließlich und endlich die Ehre geben würde, sie für den Rest ihres Lebens zu langweilen.

      Ihr Schicksal war hassenswert, aber wie konnte man ihm entrinnen? Welche Wahl hatte sie denn? Sie konnte nur sie selbst sein oder eine Gerty Farish. Als sie ihr Schlafzimmer betrat mit seinem weich abgedunkelten Licht, den Morgenrock aus Spitze über die seidene Bettdecke gebreitet, ihren bestickten Pantöffelchen vor dem Kamin, mit einer Vase voller Nelken, welche die Luft mit ihrem Duft erfüllten, und den neuesten Romanen und Magazinen, die noch unaufgeschnitten auf einem Tisch neben der Leselampe lagen, kam ihr Miss Farishs beengte Wohnung in den Sinn, deren billige Annehmlichkeiten und hässliche Tapeten. Nein, für vulgäre und schäbige Umgebungen, für die elenden Kompromisse der Armut, war sie einfach nicht gemacht. Ihr ganzes Wesen entfaltete sich erst in einer Atmosphäre von Luxus; das war der Hintergrund, den sie brauchte, das einzige Klima, in dem sie zu atmen vermochte. Aber der Luxus anderer war nicht das, was sie wollte. Vor wenigen Jahren hatte er ihr noch genügt: Sie hatte ihre tägliche Zuteilung an Vergnügen angenommen, ohne sich darum zu kümmern, wer sie ihr gab. Jetzt fing sie an, die Verpflichtungen, die daraus erwuchsen, als aufreibend zu empfinden; sie fühlte sich wie jemand, der den Glanz nur als Leihgabe erhält, den sie einmal als ihren eigenen betrachtet hatte. Es gab sogar Augenblicke, in denen ihr bewusst wurde, dass sie für ihren Lebensstil bezahlen musste.

      Lange Zeit hatte sie sich geweigert, Bridge zu spielen. Sie wusste, dass sie es sich nicht leisten konnte, und sie fürchtete sich davor, Geschmack an etwas so Kostspieligem zu finden. Sie hatte die Gefahr am Beispiel von mehr als einem ihrer Bekannten erkannt; einer war Ned Silverton, der liebenswerte blonde junge Mann, der jetzt mit völliger Hingabe dicht neben Mrs. Fisher saß, einer auffälligen, geschiedenen Dame mit Augen und Gewändern, die ebenso aufdringlich wirkten wie die Schlagzeilen, die ihrem »Fall« gewidmet worden waren. Lily konnte sich noch erinnern, wie der junge Silverton in ihren Kreis gestolpert war, mit dem Auftreten des verirrten Arkadiers, der entzückende Sonette in der Zeitschrift seines Colleges veröffentlicht hatte. Seither hatte er eine Vorliebe für Mrs. Fisher und Bridge entwickelt, und Letzteres zumindest hatte ihn in Unkosten gestürzt, aus denen ihn mehr als einmal gequälte, unverheiratete Schwestern gerettet hatten, die seine Sonette wie einen Schatz hüteten und ihren Tee ohne Zucker tranken, um ihren Liebling weiterhin über Wasser zu halten. Neds Fall war Lily vertraut: Sie hatte gesehen, wie der Ausdruck seiner bezaubernden Augen – die viel mehr Poesie in sich hatten als seine Sonette – sich veränderte, zunächst von Überraschung in Vergnügen und dann von Vergnügen in Angst, als er nach und nach den Verlockungen des schrecklichen Glücksgottes erlag, und sie hatte Angst davor, dieselben Symptome an sich zu entdecken.

      In den letzten Jahren hatte sie nämlich gemerkt, dass ihre Gastgeberinnen von ihr erwarteten, am Spieltisch Platz zu nehmen. Das gehörte zu dem Tribut, den sie für deren ausgedehnte Gastfreundschaft zu entrichten hatte, ebenso wie für die Kleider und die kleinen Schmucksachen, mit denen ihre unzulängliche Garderobe ab und an aufgebessert wurde. Und seit sie regelmäßig spielte, war die Spielleidenschaft in ihr gewachsen. Sie hatte letzthin ein- oder zweimal eine größere Summe gewonnen, aber anstatt sie für künftige Verluste aufzuheben, hatte sie alles für Kleider und Schmuck ausgegeben; der Wunsch, diese Unvorsichtigkeit wiedergutzumachen, zusammen mit dem ständig wachsenden Vergnügen am Spiel, veranlassten sie, bei jeder neuen Runde höhere Einsätze zu riskieren. Sie versuchte sich mit dem Vorwand zu entschuldigen, dass man in der Trenor-Clique, wenn überhaupt, mit hohem Einsatz spielen musste oder für pedantisch oder gar knauserig gehalten wurde; aber sie wusste, dass die Spielleidenschaft immer mehr Macht über sie gewann, und dass es in ihrer augenblicklichen Umgebung wenig Hoffnung gab, sich dem zu widersetzen.

      An diesem Abend hatte sie überhaupt kein Glück gehabt, und die kleine Goldbörse, die zwischen ihren Schmuckstücken hing, war fast leer, als sie wieder in ihr Zimmer kam. Sie schloss ihren Kleiderschrank auf, nahm ihre Schmuckkassette heraus und sah unter dem Einsatz nach der Rolle aus Scheinen, mit denen sie ihre Börse aufgefüllt hatte, bevor sie zum Dinner nach unten gegangen war. Nur zwanzig Dollar waren noch übrig: Diese Entdeckung war so bestürzend, dass sie einen Augenblick lang glaubte, sie wäre beraubt worden. Dann nahm sie Papier und Bleistift, setzte sich an den Schreibtisch und versuchte auszurechnen, was sie an diesem Tag ausgegeben hatte. Ihre Schläfen pochten vor Müdigkeit, und sie musste wieder und wieder nachrechnen, aber schließlich wurde ihr klar, dass sie dreihundert Dollar beim Kartenspiel verloren hatte. Sie nahm ihr Scheckbuch heraus, um nachzusehen, ob der Restbetrag größer wäre, als sie in Erinnerung hatte, fand aber, dass sie sich in der anderen Richtung geirrt hatte. Dann wandte sie sich wieder ihren Zahlen zu, aber sie konnte noch so oft hin- und herrechnen, die verschwundenen dreihundert Dollar ließen sich doch nicht wieder herbeizaubern. Es war der Betrag, den sie zurückgelegt hatte, um ihre Schneiderin zu beruhigen; es sei denn, sie hätte das Geld zur Beschwichtigung des Juweliers gebraucht. Auf jeden Fall hatte sie so viele Möglichkeiten, es zu verwenden, dass gerade die Tatsache, dass die Summe unzureichend war, sie hatte so hoch spielen lassen, in der Hoffnung, das Geld verdoppeln zu können. Aber sie hatte natürlich verloren, sie, die jeden Penny brauchte, während Bertha Dorset, deren Ehemann seine Frau mit Geld geradezu überschüttete, mindestens fünfhundert eingesteckt hatte; und Judy Trenor, die es sich hätte leisten können, jede Nacht einen Tausender zu verlieren, war mit einer solchen Menge von Geldscheinen vom Tisch weggegangen, dass sie ihren Gästen nicht einmal die Hand geben konnte, als sie ihr Gutenacht sagten.

      Eine Welt, in der solche Dinge geschehen konnten, empfand Lily Bart als einen erbärmlichen Ort, aber schließlich hatte sie die Gesetze eines Universums, das sie so bereitwillig aus seinen Berechnungen ausschloss, nie verstehen können.

      Sie begann sich auszuziehen, ohne nach ihrer Zofe zu läuten, die sie zu Bett geschickt hatte. Lange genug war sie Sklavin des Vergnügens anderer Leute gewesen, als dass sie nicht rücksichtsvoll gegen diejenigen gewesen wäre, die von ihr abhängig waren; in Augenblicken der Erbitterung kam es ihr manchmal so vor, als seien ihre Zofe und sie in derselben Lage, nur dass Letztere ihren Lohn regelmäßiger erhielt.

      Als sie vor dem Spiegel saß und ihr Haar kämmte, sah ihr Gesicht hohl und blass aus, und zwei kleine Linien neben ihrem Mund, kleine Bruchstellen in der weichen Rundung ihrer Wange, jagten ihr einen Schrecken ein.

      »Oh, ich muss aufhören, mir Sorgen zu machen!«, rief sie aus. »Oder vielleicht ist es nur das elektrische Licht –«, überlegte sie, sprang von ihrem Sitz auf und zündete die Kerzen am Toilettentisch an.

      Sie löschte die Wandlampen und betrachtete sich eingehend zwischen den Flammen der Kerzen. Das weiße Oval ihres Gesichtes verschwamm undeutlich gegen den dunklen Hintergrund, das unstete Licht verwischte es wie ein Schleier, aber die kleinen Linien um den Mund blieben.

      Lily erhob sich und zog sich in aller Eile aus.

      »Das ist nur, weil ich müde bin und über so widerwärtige Dinge nachdenken muss«, sagte sie sich immer wieder, und es kam ihr wie eine zusätzliche Ungerechtigkeit vor, dass solch kleinliche Sorgen eine Spur auf ihrer Schönheit hinterlassen sollten, die ihre einzige Verteidigung gegen eben diese Sorgen war.

      Aber die Widerwärtigkeiten waren nun einmal da, und sie konnte nicht von ihnen loskommen. Müde wandte


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