Paul Schneider – Der Prediger von Buchenwald. Margarete Schneider

Paul Schneider – Der Prediger von Buchenwald - Margarete Schneider


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Euer Paul Schneider.«

      Gretel Schneider hat 1979 diesen freundlichen »Hinauswurf« ihres späteren Mannes aus dem Marburger Wingolf so erklärt: »Die Wingolfiten hatten sich in einem Dorf, in welchem ein Wingolfit Pfarrer war, unmöglich aufgeführt, sodass der Pfarrer selbst sie aufgesucht und sie um anständiges Benehmen gebeten hatte. P. S. hat dieses Benehmen später bei einer Wingolf-Sitzung kritisiert. Er kritisierte auch den Trinkzwang, der ihm teils wegen seiner freiheitsberaubenden, teils wegen seiner krankmachenden Wirkung zuwider war. Darauf hat ihn der Marburger Wingolf – höflich, aber bestimmt – vor die Tür gesetzt.«

      P. S.s Geschichte mit dem Wingolf zeigt, wie schwer er sich mit einer christlichen Gemeinschaft tat, in der – nach seinem Empfinden – das Leben im Geist Jesu Christi nicht den Vorrang hatte. Auch, dass er als Christ keine freiheitsberaubenden Zwänge und kein Herren-Gehabe ertragen wollte.39

      Wie sehr Paul, im Idealismus und Liberalismus40 steckend, von Glaubens- und Lebensnot umgetrieben war, können wir nur ahnen. Er war dem Abgrund nahe genug, das erzählte er. »Das unbegreifliche, unfassbare Leben ist größer als wir, und aller Trotz und alle Kraft hilft nicht dagegen. Es ruht nicht eher, als bis es uns niedergeworfen und zusammengebrochen hat. Das Leben sagt: Nicht wie du, sondern wie ich will. Und so bekommt der Mensch mit der Zeit eine ganz andere Orientierung. Durch Zusammenbruch und Tod und Leere muss es hindurchgehen, durch Verzweiflung und bittern Schmerz … Aber das Neubauen, das macht den Menschen dann selig und froh, und erst allmählich muss er sich an diese Freude gewöhnen … Auch zu dieser Freude muss man stark sein, um sie nicht zu verlieren im Überschwang.« So wollen »seine Flügel immer wieder wachsen«. Das eine oder andere Stück seiner Kräfte taucht aus dem »Strudel« wieder hervor, und er hofft zu Gott, »dass er mich noch einmal zusammenleimt zu einem ganzen Kerl«. (Brief an den künftigen Schwiegervater, Juli 1921.)

      Nun begann die »Paukarbeit« für das erste Examen. »Die Kunst des Lebens will täglich neu erlernt sein. Hier gibt es nie ein Fertigsein, ein ›über dem Berg‹. Unser Leben muss sein ein ständiger Kriegsdienst, ein ›Immer-auf-dem-Posten‹. Ohne diese ständige Bereitschaft werden die Anfechtungen Herr über uns, wir verlieren die Orientierung, und unversehens sind wir der Depression erlegen. Wenn du glaubst, du ständest, siehe wohl zu, dass du nicht schon tief gefallen bist.41 – Ich habe vielleicht zu kleingläubig, einseitig die Notwendigkeit der Körperpflege betont. Ich habe Askese42 getrieben und wurde doch nicht Herr über mich und mein Wohlbefinden. Du hast die Gesundheit des Leibes und der Seele noch zu sehr an der Oberfläche gesucht und nicht zuerst im Gebet an der tiefsten, an der Urquelle!« (Tagebuch Februar 1922). Er müht sich um das vernünftige Maß zwischen körperlicher und geistiger Arbeit. »Noch bin ich ein Suchender, noch frage ich, wie viel Zeit darf ich dem Turnen, der Arbeit mit dem Spaten, der Hacke widmen. Eben glaubte ich ein gesundes Maß zu haben, … und schon habe ich dieses Maß wieder verloren. Kann mir Gott nicht Kraft geben, so viel er will, so viel ich bedarf, und jedes vernünftige Maß über den Haufen werfen? So bleibt mir also nur, mein Leben ganz auf Gott, den Übervernünftigen und Wunderbaren, Allmächtigen und Grundgütigen zu legen. Von ihm will ich mir sagen lassen, was ich zu tun, wie ich zu leben habe, und auf alle eigenen Maßstäbe verzichten. Herr Gott, zeige du mir mein Ziel, das Ziel meines Lebens und meiner Arbeit! Für dieses Ziel gilt es dann alle Kräfte einzusetzen, ihm dienstbar zu machen, und so manches jetzt so Dunkle muss dann licht werden. Diese befreiende Ausschau schenke mir, mein Gott und Vater!« (Tagebuch).

      Nach der bestandenen Prüfung lautet die Eintragung: »Ich glaube, ich muss immer treu, fleißig und auch mühevoll arbeiten, aber dann lässt es mir Gott auch gelingen« (Tagebuch).

      P. S. hat – nach Auskunft seiner Frau – mit sogenannten Zwischensemestern acht Semester Theologie studiert. Er hatte also während des Studiums keine Semesterferien. Denn während dieser fanden die »Zwischensemester« statt. Solche hatte man eingeführt, um Weltkriegsteilnehmern ein rasches Studium zu ermöglichen.

      Durch das Erlebnis und den erfreulichen Ausgang des Examens, das Anfang April 1922 in Koblenz stattfand, fühlte sich der nun knapp 25-jährige P. S., wie er an seine künftige Schwiegermutter schrieb, »doch wesentlich erleichtert und auch gestützt.«43 Er fügt hinzu: »Das ist gewiss die Reaktion auf meine frühere Skepsis und Unterschätzung von Kirchenregiment, Amt und Examen als bloß äußerlicher Formen. Ohne diese kritische Verachtung ist mir jetzt wohler. Nun steht man doch nicht mehr ganz so allein, sondern fühlt sich getragen und gehoben von der geschichtlich gewordenen Größe seiner Kirche, auf deren Zeugnis und Befähigung man nun nächst der göttlichen Stimme in der eigenen Brust seinen Dienst am Wort und Reich Gottes aufbauen darf.«

      Lehr- und Wanderjahre

      »Gott, mein Gott! Hältst du mich denn fest?«

      Tagebuch

      Ehe wir weiterlesen, wie Margarete Schneider die »Lehr- und Wanderjahre« ihres Mannes beschreibt, hier eine kurze Erinnerung an die Entstehung der Weimarer Republik und ihre Geschichte in den Jahren 1919 bis 1925:

      Von Anfang an war die Republik, die Philipp Scheidemann am 9. November 1918 ausgerufen hatte und deren Reichspräsident vom 11. Februar 1919 bis zu seinem Tod im Jahr 1925 Friedrich Ebert wurde, schweren Krisen ausgesetzt. Von Osten drängten Bolschewisten und Kommunisten dazu, die Macht zu ergreifen. Auf der anderen Seite wurden die Freikorps, die sich aus heimgekehrten Soldaten des Weltkriegs rekrutierten, eine Macht, die dem Staatswesen immer gefährlicher wurde. Kommunistische Aufstände in Sachsen, Thüringen, im Rheinland und im Ruhrgebiet, auch in München, wurden niedergeschlagen.

      Dann brach die Inflation über Deutschland herein. In den letzten Novemberwochen von 1923 lag der Wert von einer Billion Papiermark bei dem einer Goldmark. Zugleich war Deutschland infolge des Versailler Vertrages durch einschneidende Gebiets-, Industrie- und Materialverluste geschwächt. Das totale Chaos drohte im wirtschaftlichen Bereich. Sparer verloren, was ihre Familien über Generationen erworben hatten. Großgrundbesitzer und Spekulanten konnten enorme Gewinne einheimsen. Wer nicht durchblickte, stempelte die »Weimarer Republik« zur Schuldigen. Am 13. März 1920 versuchte der Generallandschaftsdirektor Wolfgang Kapp mit ehemaligen Frontoffizieren im sogenannten Kapp-Putsch, den Sozialdemokraten die Regierungsgewalt zu entreißen. Sie aber zwangen Kapp durch einen Generalstreik zur Aufgabe. Er floh nach Schweden. Adolf Hitler beabsichtigte mit den Nationalsozialisten und General Ludendorff am 9. November 1923 in München durch den sogenannten »Marsch auf die Feldherrnhalle« den Beginn einer »Nationalen Erhebung«. Sie erstickte in Polizeikugeln. Hitler erhielt fünf Jahre Festungshaft, von denen er in Landsberg nur fünf Monate absitzen musste. Er schrieb dort sein politisches Programm »Mein Kampf«.

      Während Ebert Reichspräsident blieb, wechselte die Regierung zwischen 1919 und Januar 1926 zwölf Mal. Das ständige »Wahlkarussell« vermittelte den Eindruck politischer Unsicherheit. Sozialdemokraten, Zentrum, Deutsche Volkspartei und wieder das Zentrum stellten nacheinander den Kanzler. Politische Morde erschütterten das deutsche Volk: Am 15. Januar 1919 wurden Karl Liebknecht (1871–1919) und Rosa Luxemburg (1871–1919), die beiden Mitbegründer der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD), ermordet. Es folgte ein Generalstreik im Ruhrgebiet. Am 26. August 1921 wurde Vizekanzler Matthias Erzberger im Schwarzwald umgebracht. Am 24. Juni 1922 wurde Außenminister Walter von Rathenau von nationalistischen Attentätern ermordet. Auch hierauf folgte ein Generalstreik. Besonders die Politiker, welche die Verständigung mit den Siegermächten Frankreich und England suchten und so an einem bleibenden Frieden arbeiteten, wurden als »Erfüllungspolitiker« beschimpft und ihr Leben war ständig bedroht.

      Am 11. Januar 1923 besetzten die Franzosen das Ruhrgebiet. Die deutsche Regierung rief den »Passiven Widerstand« aus, die Gewerkschaften den Generalstreik. Als sich in Essen Arbeiter den französischen Beschlagnahmen widersetzten, erschossen französische Truppen vierzehn von ihnen. Am 11. August 1923 stellte die deutsche Regierung die Reparationsleistungen an Frankreich ein. Darauf wurde das Ruhrgebiet in eine Art Belagerungszustand versetzt.

      Erst


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