Vom Verlust der Freiheit. Raymond Unger

Vom Verlust der Freiheit - Raymond Unger


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kann, helfen die Weltgesundheitsorganisation und der Internationale Währungsfonds fleißig mit. Die WHO gibt weltweit verbindliche medizinische Leitlinien heraus, und jene Staaten, die sich streng an die Vorgaben halten, bekommen über den IWF Milliarden Hilfsgelder und den Erlass alter Schulden. Was soll daran verschwörerisch sein?

       »Die hier skizzierte Haltung ist weit verbreitet, besonders unter Intellektuellen und Meinungsführern. Sie fußt auf einigen Grundannahmen, die selten offen benannt werden:

      »Die herrschende Ordnung ist im Grunde eine gute Ordnung.

      »Andersdenkende sind oft dümmer.

      »Menschen bedürfen der Lenkung, besonders bei ihrer Meinungsbildung.

       An diesen Annahmen, die tief in die Verschwörungstheorie-Debatte eingewoben sind – so tief, dass sie vielen Menschen nicht mehr bewusst zu sein scheinen –, fällt vor allem eines auf: ihre autoritäre und obrigkeitsstaatliche Prägung. Liberal, pluralistisch und demokratisch wäre eigentlich die genau entgegengesetzte Haltung:

      »Die herrschende Ordnung ist in Zweifel zu ziehen.

      »Andersdenkende könnten klüger sein. Sie sind zu respektieren und auf Augenhöhe zu behandeln.

      »Menschen sollten sich ihres Verstandes ohne fremde Anleitung bedienen.

       Die Debatte über Verschwörungstheorien ist aus diesem Grund immer auch eine Debatte über das eigene Menschenbild und Politikverständnis.« 7

      In Bezug auf Corona gibt es tatsächlich lächerliche und abstruse Verschwörungstheorien. Dies bedeutet aber nicht, dass alle Geschehnisse, insbesondere im global gesteuerten Management der Krise, zufällig sind oder einzig dem Wohle der Menschheit dienen. Vermutlich liegt die Wahrheit irgendwo in der Mitte zwischen »Verschwörungstheoretikern« und »Zufallstheoretikern«. Für mich war es jedenfalls bitter, mit anzusehen, wie sich im Prinzip kluge und ansonsten wohl informierte Autoren der freien Medien in puncto Corona nun auch untereinander zerstritten. Eine befreundete Schriftstellerin schrieb mir in einer privaten E-Mail dazu:

       »Es ist zum Heulen. Als noch trostloser empfinde ich es, wenn mir gute Freunde, die sich noch gestern zu den kritischen Geistern gegenüber Mainstream-Vermeldungen rechneten, heute etwas von der ›real existierenden Pandemie‹ erzählen und dabei all die grotesken Regierungsmaßnahmen, die wir erleben müssen, für absolut gerechtfertigt halten – dann wird mir regelrecht flau im Magen… Ich kann auch dem Gerede von der ›Krise als Chance‹ nichts abgewinnen. Was soll dabei Gutes herauskommen? Die Krise wird von jenen ausgebeutet, die gnadenlos ihre Interessen durchdrücken, seien es Regierungschefs, Pharmakonzerne, Online-Konzerne, Parteiencliquen jeglicher Couleur oder Einzelakteure wie Bill Gates, und nicht zuletzt von jenen, die jetzt freie Fahrt haben, ihre Agenda von der progressistischen Weltangleichung im ganz großen Stil umzusetzen. Widerstand ist aufgrund der drastischen Maßnahmen gar nicht möglich und regt sich aufgrund des eingesetzten Psycho-Terrors in Form von Gruppendruck und totaler Propaganda nur rudimentär. Manchmal überfällt mich eine grenzenlose Resignation. Was ist nur geschehen? Es ist, als seien plötzlich Raumschiffe mit Aliens gelandet und hätten die ganze Welt in ihre Gewalt genommen. Dass es sich dabei um eine Simulation handelt, wird von den meisten ausgeschlossen, da die Auswirkungen haargenau mit denen eines echten Szenarios übereinstimmen, bis hin zu realen Krankheitssymptomen … Wir haben es hier mit einem gravierenden erkenntnistheoretischen Problem zu tun. Ein Jammer, dass sich ausgerechnet die, die es besser wissen müssten, dieser Erkenntnis verschließen.«

      Viele schreibende Kollegen gingen in eine Art inneres Exil. Vor allem, weil ihnen unter Corona endgültig klar wurde, dass Fakten und Aufklärung kaum etwas bedeuten, solange sich Menschen in einem Angstraum bewegen. Man kann sich die Spucke sparen, oder im übertragenen Sinne die Tinte. Warum sollte man überhaupt noch etwas schreiben, wenn überdeutlich wird, dass Abwehr und Angst zu einer völlig selektiven Wahrnehmung führen? Unter diesen Bedingungen werden ohnehin nur noch Informationen durch den Wahrnehmungsfilter gelassen, welche die eigene Weltsicht bestätigen. Hat das Corona-Angst-Mem gezündet, sind einzig Artikel und Informationen relevant, die Warnung sind und Schutz versprechen – alles andere wirkt wie gefährlicher Nonsens. Freie Autoren sind klug genug, die Erfahrungen mit Corona auf ihre sonstigen Themen zu übertagen. Auch hier gilt: Je größer die Angst, desto selektiver die Wahrnehmung und desto hermetischer die Echokammer. Persönlich hat mich diese Erkenntnis nach Corona ebenfalls belastet, denn für alles Nachfolgende gilt dieser Mechanismus natürlich auch. Wer an die anthropogene, CO2-bedingte Klimakrise glaubt und deshalb große Angst vor der Zukunft hat, wird sich kaum auf entlastende Fakten einlassen können.

      Zum Psychogramm der Kriegsenkel, das ich in meinem vorangegangenen Werk Die Wiedergutmacher skizziert habe, gehören ein erhöhtes Anpassungsbedürfnis an den Mainstream sowie auch ein paranoider Aspekt, der dafür sorgt, sich in ständiger Defensive zu wähnen, obwohl man eigentlich längst zur den Diskurs bestimmenden Mehrheit gehört.

       »Eine erstarrte und ins Pädagogische abgedriftete Linke, die sich durch ihre Weigerung bestimmt, ›ihr eigenes Machtstreben zu reflektieren, ihren Aufstieg in den akademischen und kulturellen Institutionen‹ (Michael Hampe), ein dergestalt zur Karikatur verkommener Linksliberalismus, der vergessen hat, dass er nicht mehr unter allen Umständen subversiver Underdog ist, sondern sich an Universitäten oder in Social-Media-Kontexten explizite Machtzentren geschaffen hat, bringt einen epochalen Menschenschlag hervor: den digitalen linken Spießer. […] Der neue linke Spießer betrachtet Gegenwart und Vergangenheit mit puritanischem und polizeilichem Blick und genießt es, unablässig den Wuchs der Diskurshecken zu prüfen, mit der Gartenschere in der Hand. […] Das Schlimmste an den gegenwärtigen Spießern ist nun aber nicht, dass sie ahistorisch denken, jedes (vermeintlich) verunglückte Wort zur Würde des Skandals erheben, ständig Situationen des Verdachts organisieren (Wer hat was zu wem gesagt?) oder aus den Menschen wieder reumütige Geständnistiere zu machen versuchen. Das alles ist bloß schlimm. Schlimmer als schlimm ist, dass sie sich immer noch widerständig und ›alternativ‹ fühlen, obwohl sie längst einem kulturell tonangebenden Milieu angehören. Eine unerlässliche Voraussetzung von Toleranz – und dieser Satz steht fest – liegt im ehrlichen Selbsteingeständnis von eigener Macht, auch diskursiver Macht (zum Beispiel an den Universitäten). Nur die, die wissen, dass sie über Macht verfügen, können sich überhaupt die Frage stellen, ob sie andere tolerieren, das heißt: aushalten, erdulden möchten – oder eben nicht. Hieraus folgt: Die neopuritanische Linke muss sich darüber ehrlich machen, dass ihre Adepten in vielen politisch-kulturellen Konstellationen mittlerweile zu nichts anderem als Figuren der Macht geworden sind. Bislang versuchen sie, es wortreich zu vermeiden, doch gerade sie hätten es nötig, sich einen Satz von Adorno, einem maßgeblichen Vertreter der lesenden Linken, in Erinnerung zu rufen: ›Wer innerhalb der Demokratie Erziehungsideale verficht, die gegen Mündigkeit, also gegen die selbständige bewußte Entscheidung jedes einzelnen Menschen, gerichtet sind‹ – mahnte dieser nämlich streng – ›ist antidemokratisch, auch wenn er seine Wunschvorstellungen im formalen Rahmen der Demokratie propagiert.‹ […] Dass heute die AfD bei manchen Wahlen mehr Arbeiter-Stimmen erhält als jede andere Partei, ist in jedem Fall auch ein trauriges Zeugnis für die naserümpfende, spießig gewordene Linke, die in ihren schlechtesten Momenten zugleich den Eindruck erweckt, einen Klassenkampf ›von oben‹ zu betreiben: eine Rebellion der tadellosen Vier-Zimmer-Altbau-Bourgeoisie gegen das schrecklich vulgäre, unaufgeklärte und politisch unkorrekte Proletariat.« 8

      Die Verwirrung über die gelernten Kategorien »gut«, »böse«, »rechts«, »links« ist auch deshalb so vollständig, weil sich ohne den psychologischen Mechanismus der Abspaltung kaum verstehen lässt, warum die Vertreter einer »Vier-Zimmer-Altbau-Bourgeoisie« heutzutage als Verfechter einer neuen Weltordnung auftreten, die ebenso kulturmarxistische wie globalkapitalistische Züge trägt. Im Schlusskapitel wird noch deutlich, dass sich das politische Koordinatensystem des 20. Jahrhunderts komplett ad absurdum führt. Auf globaler Ebene


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