Mit Gott die Welt verändern. John Eldredge

Mit Gott die Welt verändern - John Eldredge


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nun aber daran liegt, dass ihr im Glauben erwachsen werdet, wollen wir nicht bei den Anfangslektionen der Botschaft von Christus stehen bleiben, sondern uns dem zuwenden, was zur Reife im Glauben gehört. Wir wollen nicht von Neuem über die Dinge reden, die das Fundament bilden: über die Abkehr von Taten, die letztlich zum Tod führen, und über den Glauben an Gott, über die Bedeutung der Taufe im Unterschied zu anderen Waschungen und über die Handauflegung, über die Auferstehung der Toten und über das letzte Gericht mit seinem ewig gültigen Urteil (Hebräer 6,1-2).

      Stopp mal – Heilung durch Handauflegung gehört zum Lernstoff für Anfänger? Diese Unterrichtsstunden muss ich verpasst haben. Aber klar ist: Wir sind aufgerufen, erwachsen zu werden. Und wie sorgt Gott dafür, dass wir im Glauben wachsen? Was sind seine Methoden? Situationen, die uns fordern, die uns anstrengen, die uns zwingen, über die Grenzen dessen hinauszugehen, was wir glaubten aushalten zu können – genau die Situationen, die uns ins Gebet treiben.

      Diese Grundannahme ist wichtig, und zwar aus einem einfachen Grund: Sie verändert unsere Erwartungen. Wer ins Fitnessstudio geht, ist wohl kaum überrascht oder verärgert, wenn der Trainer ihn zu schweißtreibender Atemlosigkeit antreibt; genau deswegen geht man ja hin. Aber wenn Sie nach einem langen Arbeitstag abends auf die Couch sinken und Ihre Familie würde jetzt noch Höchstleistungen von Ihnen erwarten, würden Sie vermutlich aus der Haut fahren. (Vielleicht dämmert Ihnen ja schon, was das mit manchen Gefühlen zu tun hat, die wir Gott gegenüber gelegentlich haben.)

      Bilbo, Jill und Eustace werden einberufen. Und plötzlich finden sie sich in Winkeln der Welt vor, die gefährlich sind, und sehen sich ungeahnten Gefahren ausgesetzt. Was mich zu einer zweiten entscheidenden Grundannahme bringt, wenn wir lernen wollen, wirksam zu beten – eine Grundannahme über unser Leben, die die Bibel voraussetzt.

      Wir befinden uns im Krieg

      Als im Herbst 2014 die ersten Nachrichten durchdrangen, dass IS-Terroristen Kinder erschossen, waren wir alle erschüttert. Wir erhielten etliche verzweifelte E-Mails, in denen Menschen uns baten, für sie zu beten. Islamische Extremisten zogen durch irakische Dörfer und erschossen Männer, Frauen und Kinder. Christliche Familien standen besonders im Visier (sicher haben Sie die Nachrichten auch gelesen). Die Familien wurden aus den Häusern getrieben, und wenn die Eltern sich nicht von Jesus lossagten, erschoss man die Kinder vor ihren Augen. Es war – und bleibt – entsetzlich.

      Diese Nachrichten waren mir noch sehr präsent, als ich einen Abschnitt der Weihnachtsgeschichte las, den wir oft übersehen:

      Als Herodes merkte, dass die Sterndeuter ihn getäuscht hatten, war er außer sich vor Zorn. Er schickte seine Leute nach Bet­lehem und ließ in den Familien der Stadt und der ganzen Umgebung alle Söhne im Alter von zwei Jahren und darunter töten. Das entsprach dem Zeitpunkt, den er von den Stern­deutern in Erfahrung gebracht hatte. Damals erfüllte sich, was durch den Propheten Jeremia vorausgesagt worden war: „Ein Geschrei ist in Rama zu hören, lautes Weinen und Klagen: Rahel weint um ihre Kinder und will sich nicht trösten lassen, denn sie sind nicht mehr da“ (Matthäus 2,16-18).

      Die Parallele springt ins Auge. Legen wir eine Schweigeminute ein.

      Diesen Abschnitt der Weihnachtsgeschichte habe ich noch in keinem Krippenspiel aufgeführt gesehen. Für die meisten Christen, die in den USA aufgewachsen sind, existiert dieser Völkermord nicht – und schon gar nicht gehört er zu unserem Verständnis von Weihnachten. Was unser Bild von Weihnachten prägt, sind Weihnachtsgrußkarten und idyllische Krippenszenen in Parks, Kirchen und auf vielen Wohnzimmertischen. Nichts gegen Weihnachtskrippen; ich liebe sie auch. Aber ich bin überzeugt, dass sie etwas anderes erzählen als die ursprüngliche Geschichte.

      Schon kurz vor dem Kindermord des Herodes gibt es einen dramatischen Moment:

      Als die Sterndeuter abgereist waren, erschien Josef im Traum ein Engel des Herrn und sagte: „Steh auf, nimm das Kind und seine Mutter und flieh nach Ägypten! Bleib dort, bis ich dir neue Anweisungen gebe. Denn Herodes wird das Kind suchen lassen, weil er es umbringen will.“ Da stand Josef mitten in der Nacht auf und machte sich mit dem Kind und dessen Mutter auf den Weg nach Ägypten. Dort blieb er bis zum Tod des Herodes (Matthäus 2,13-15).

      Auch diese Szene könnte direkt aus dem heutigen Nahen Osten sein – Flüchtlinge, die um ihr Leben fliehen und im Ausland Schutz suchen. Auch dies habe ich noch kaum je in einem Weihnachts­szenario abgebildet gesehen (zumindest nicht im Amerika des 20. und 21. Jahrhunderts). Ich verstehe, dass unsere Weihnachtstraditionen uns teuer sind. Aber sie sind noch etwas: Sie sind irreführend. Sie wecken jede Menge angenehme und lauschige Gefühle, Assoziationen und Erwartungen – oftmals ganz unbewusst – darüber, wie das Leben als Christ sich für uns gestalten wird. Die Auslassungen, die darin enthalten sind, sind allerdings gefährlich – genauso gefährlich, wie wenn man die IS-Terroristen ignorieren würde.

      Der pubertäre Teil in mir sagt: „Mach mal halb lang. Gott ist allmächtig, er herrscht über hundert Milliarden Galaxien; gegen seine Macht ist eine Atomexplosion nur ein Niesen. Sein Sohn – und damit der Plan zur Rettung der Welt – war in höchster Gefahr. Warum hat der Allmächtige denn nicht seine himmlischen Heerscharen geschickt, um den kleinen Jesus zu beschützen?“ Ja, wirklich – warum musste ein Engel mitten in der Nacht die ganze Familie verstohlen und heimlich jenseits der Grenze in Sicherheit bringen? Herodes und seine Geheimpolizei sind doch Nichtse vor dem lebendigen Gott.

      Die Geschichte sollte uns nachdenklich machen. Was glauben wir eigentlich, was in dieser Welt vorgeht? Und wie Gott in der Welt wirkt? Auf jeden Fall sollte sie uns veranlassen, unser Verständnis des Betens zu überdenken. Mit „Ich habe gebetet; er hat sich nicht gerührt“ scheinen wir gravierend danebenzuliegen, das machen diese beiden Geschichten klar. Vielleicht hilft uns ein Bericht über Daniel und die Art, wie er gebetet hat. Es beginnt mit einem Gebet und mit ziemlicher Verwirrung:

      Im 3. Regierungsjahr des persischen Königs Kyrus empfing Daniel, der Beltschazar genannt wurde, eine Botschaft von Gott. Sie kündigt eine Zeit großer Not an und wird sich ganz sicher erfüllen. In einer Vision wurde Daniel diese Botschaft erklärt (Daniel 10,1; Hfa).

      Daniel ist beunruhigt. Wer wäre das nicht? Warum diese Vision über sehr schlimme Zeiten? Ich hab nicht darum gebeten. Was mag das bedeuten? Was tut er? Er widmet sich dem Gebet und er fastet. Drei Wochen lang. Allein dieses kleine Detail unterscheidet Daniel von uns. Die längste Zeit, die ich je gefastet habe, waren drei Tage. Und das ist mir auch schon sehr schwergefallen. Am Ende dieser Fastenzeit spaziert Daniel im antiken Weltreich Babylon an den Ufern des Tigris entlang. Das gefällt mir. Ich laufe gern beim Beten. Und plötzlich erscheint ein echter, leibhaftiger Engel des Herrn. Wir wissen, dass er sehr echt und sehr lebendig gewesen sein muss, denn die Männer, die Daniel begleiten, bekommen „plötzlich große Angst“ und laufen um ihr Leben. Daniel läuft nicht fort; er kann sich nicht rühren; er liegt mit dem Gesicht am Boden, fast wie in Trance (faszinierend, all diese Einzelheiten in den Texten, nicht?).

      Doch eine Hand berührte mich und rüttelte mich wach. Ich konnte auf die Knie gehen und mich mit den Händen abstützen. Der Mann sprach zu mir: „Gott liebt dich, Daniel! Steh auf und achte auf meine Worte, denn Gott hat mich zu dir geschickt.“ Zitternd stand ich auf. „Hab keine Angst!“, ermutigte er mich. „Du wolltest gern erkennen, was Gott tun will, und hast dich vor ihm gedemütigt. Schon an dem Tag, als du anfingst zu beten, hat er dich erhört. Darum bin ich nun zu dir gekommen. Aber der Engelfürst des Perserreichs stellte sich mir entgegen und hielt mich einundzwanzig Tage lang auf. Doch dann kam mir Michael zu Hilfe, einer der höchsten Engelfürsten. Ihm konnte ich den Kampf um das Reich der Perser überlassen. Ich bin jetzt hier, um dir zu erzählen, wie es mit deinem Volk weitergeht. Denn was du nun von mir erfährst, wird sich in ferner Zukunft erfüllen“ (Daniel 10,10-14; Hfa).

      Haben Sie es bemerkt? Schon am ersten Tag, als Daniel betet, erhört Gott ihn. Und er sendet einen Engel, um die Antwort persönlich zu überbringen. Aber die Überbringung der Antwort verzögert sich um drei Wochen, weil ein mächtiger gefallener Engel das Perserreich (in dem Daniel lebt) in seiner Gewalt hat und den Weg versperrt. Ein Engel Gottes muss sich seinen Weg nach Babylon erst erkämpfen und, so erfährt Daniel im Verlauf ihrer Begegnung, das wird beim Rückweg auch wieder der Fall sein.

      Die


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