Leas Steine. Susanne Zeitz
die gestorben sei, was Klara aber verneint. Marianne versetzt Klara daraufhin in Hypnose: Sie führt sie in das Alter von drei Jahren zurück. Klara geht einen Weg entlang. Plötzlich steht sie vor einem großen, schmiedeeisernen Tor, das verschlossen ist. Das Weitergehen wird ihr verwehrt. Marianne fragt sie, was sie sieht, wenn sie durch die Eisenstäbe des Tores schaut. Klara kann nichts erkennen, denn dahinter ist alles schwarz. Aber aus der Ferne ertönt Meeresrauschen und sie hört das bitterliche Weinen eines Kindes. Als Klara beginnt, unruhig zu werden, führt Marianne sie aus der Hypnose zurück. Die Türe zu ihrer Kindheit scheint noch fest verschlossen zu sein!
Klara erzählt viel von ihrer verhärteten, abweisenden Mutter und dem Vater, der die Familie verlassen hat, als sie gerade fünf Jahre alt war.
»Wie sind deine Gefühle zu ihnen?«
»Wenn ich an meine Mutter denke, dann fühle ich Schmerz über ihre Ablehnung und auch Ärger und Wut. Trauer über ihren Tod fühle ich momentan nicht. Meinem Vater kann ich seinen Weggang nicht verzeihen!« Auch von ihrer Ehe mit Jens berichtet sie und das erste Mal kann sie mit jemandem über den Schmerz und den Hass sprechen, mit dem sie seit bald zwanzig Jahren lebt. Auch ihm könne und wolle sie nicht verzeihen.
Klara geht nach dieser schmerzhaften Stunde bei Marianne mit Sunny spazieren. Die Erinnerungen kommen ganz unvermittelt und mit einer solchen Klarheit, dass sie sich auf eine Bank setzen muss. Sie erlebt wieder die Freude ihrer Schwangerschaft. Sie ist jetzt schon im fünften Monat. Ihr Baby, es wird ein Mädchen, ist lebhaft und strampelt. Sie freut sich, die Bewegungen ihres Kindes zu spüren. Sie wollen sie Lena nennen. Auf diesen Namen haben sie sich endlich geeinigt. Lena, mein kleiner Schatz, spricht sie in Gedanken mit ihr. Ich freue mich, wenn du bald bei uns bist. Jens kommt an diesem Tag früher nach Hause, denn sie sind am Abend zu einer Party eingeladen. Klara hat keine Lust und möchte zu Hause bleiben und es sich auf der Couch gemütlich machen, doch Jens überredet sie mitzukommen. Auf der Heimfahrt passiert es dann. Jens merkt zu spät, dass die Straße gefroren ist. Er fährt zu schnell und kommt ins Schleudern. Das Auto überschlägt sich und bleibt auf dem Dach an einem Baum liegen. Als Klara wieder zu sich kommt, liegt sie schwer verletzt im Krankenhaus. Jens hat Glück gehabt, er ist nur leicht verletzt. Klara aber hat ihr Kind verloren! Sie gibt Jens die ganze Schuld an dem Unglück. Er hat ihr Kind umgebracht! Das kann und will sie ihm niemals verzeihen. Daran zerbricht ihre Ehe.
Klara hat in den vielen Jahren nie darüber gesprochen, auch die Trauer hat sie nicht zugelassen. Nun kann sie endlich um ihr Kind weinen und trauern.
Die Tage vergehen und Klara geht es mit jedem Tag ein wenig besser.
»Marianne, soll ich die Medikamente absetzen? Was meinst du?«, fragt sie eines Tages.
»Das musst du selbst entscheiden. Du kannst die Tabletten schrittweise absetzen, aber sage mir dann bitte Bescheid.« Klara beginnt wieder zu malen. Oft sitzt sie stundenlang am See, schaut den majestätisch dahingleitenden Schwänen zu, beobachtet die Fischreiher, die auf einem Bein stehend, stundenlang mit ihrem Blick in die Ferne schweifen und freut sich an den Entenfamilien, die aufgeregt piepend ihre Runden drehen. Sie erfreut sich am hohen Schilfgras, das sich sachte im Wind wiegt und das im Sonnenlicht silbern glänzt. Die Natur lässt sie jede Menge Motive entdecken und es entstehen hübsche Blumenaquarelle und stimmungsvolle Landschaftsbilder in Acryl. Das Malen, die Ruhe und der Frieden, den der See mit seiner schönen Umgebung ihrer Seele schenkt, lassen sie mit jedem Tag mehr gesunden. Sie hat noch einen weiten Weg vor sich, das ist ihr mittlerweile klargeworden, denn in der Tiefe ihrer Seele ist ein Schmerz verborgen, der angeschaut und geheilt werden möchte, doch sie fühlt, dass sie auf einem guten Weg ist.
Mittlerweile sind drei Wochen vergangen. Klar geht es ohne ihre Medikamente gut. Sie ist aktiver und das nebelige Gefühl, wie sie zu Marianne sagt, sei weg. Manchmal träumt sie ihren üblichen Traum, aber er ängstigt sie nicht mehr. Marianne hat ihr erklärt, dass Träume aus dem Unbewussten aufsteigen können, um Botschaften zu vermitteln, um zu zeigen, dass vielleicht etwas im Leben nicht in Ordnung ist oder auch um Tageseinflüsse verarbeiten zu können.
Panikattacken hat sie hier keine mehr bekommen.
Sie sitzen sich unter dem Apfelbaum gegenüber und genießen seine schattige Kühle, denn der Sommer hat sich am Bodensee niedergelassen und Hitze mitgebracht. Marianne sieht Klara prüfend an.
»Ich denke, dass deine Zeit hier bald vorbei ist. Du hast deinen Schmerz um den Verlust deines Kindes endlich zugelassen und konntest darum trauern. Das ist ein Erfolg. Die Panikattacken und die Angstgefühle sind bisher nicht wiedergekommen und du hast gelernt, was du tun kannst, wenn die Angst wieder auftreten sollte. Doch ich habe bei dir den Eindruck gewonnen, dass du noch sehr viel Wut und Groll in dir trägst. Wenn du wirklich ganz gesund werden möchtest, dann solltest du Vergebungsarbeit leisten, bei deinen Eltern und bei deinem Mann. Ich könnte mir vorstellen, dass es gut wäre, wenn du dich auf die Suche nach deinem Vater begibst. Ich habe so ein Gefühl, dass das dir weiterhelfen könnte. Vielleicht bringt dir ein Gespräch mit ihm Klarheit und Erkenntnisse über deine Kindheit. Ich kann dir im Moment nicht mehr weiterhelfen, du musst nun allein weitergehen.«
Klara schaut Marianne bestürzt an.
»Aber wie soll ich ihn denn finden, ich weiß ja gar nicht, wo er lebt!«
»Wenn du ihn finden möchtest, dann wird sich zum richtigen Zeitpunkt eine Türe öffnen. Vertraue auf deine Führung.«
»Wer soll mich denn führen?«
»Gott wird deine Seele führen und dir den richtigen Weg zur richtigen Zeit aufzeigen. Aber du musst es wollen!« Klara steht ärgerlich auf. Sie braucht jetzt Bewegung. Mit Sunny macht sie sich auf zu einem Spaziergang zum Campingplatz. Sie ist enttäuscht von Marianne. Sie lässt mich einfach allein. Meinen Vater finden! Auch wenn ich seine Adresse hätte, möchte ich ihn nicht sehen! Es ist gemein, mich jetzt wegzuschicken! Wenn Klara aber ehrlich zu sich wäre, dann müsste sie zugeben, dass sie das behütete Leben hier genießt und Angst davor hat, sich zuhause dem Alltäglichen zu stellen. Bei Marianne fühlt sie sich geborgen und beschützt.
Sie läuft mit schnellen Schritten auf einem Feldweg an den Gewächshäusern entlang zum Campingplatz. Unterwegs muss sie einige Male stehenbleiben und sich mit einem Tuch den Schweiß von der Stirn wischen, denn die Sonne scheint heiß auf den schattenlosen Weg. Sunny sieht ab und zu mit erstaunten Blicken zu hier hinauf. Sie kommt zum Restaurant, setzt sich an einen Tisch mit See Sicht und bestellt eine Cola, in der köstlich kalte Eiswürfel schwimmen. Sunny hat sich unter den Tisch verzogen und schlabbert ausgiebig das kalte Wasser aus dem Hunde Napf, den Klara vor ihr auf den Boden gestellt hat. Klaras Blick verliert sich in der Weite des Sees. Langsam wird sie ruhiger. Ich habe Angst vor dem Alltag daheim, gesteht sie sich ein. Ich möchte so gerne wieder arbeiten. Was ist, wenn die Angst wiederkommt? Sie hat in den letzten Wochen in einer heilen Welt gelebt, irgendwann muss sie sich dem alten Leben wieder stellen, das ist ihr bewusst. Margo hat sie sehr unterstützt, aber auf die Dauer kann sie die Galerie nicht allein führen, das ist ihr klar.
Mittlerweile sind alle Tische draußen besetzt und etliche Leute haben sich mit ihren Fotoapparaten und Stativen am Strand niedergelassen. Kurz darauf weiß Klara auch warum. Die Sonne versinkt als riesiger Feuerball im See, verfärbt den Himmel rot und zeichnet eine orangerote Bahn auf das Wasser. Es ist ein grandioses Schauspiel, das die Natur hier bietet und das viele Fotografen mit ihren Kameras einfangen möchten. Klara spürt, wie die rote Kraft des Feuerballs auch ihre Seele mit Kraft und Energie erfüllt. Dumm, dass ich so ärgerlich reagiert habe, denkt sie. Marianne gibt sich so viel Mühe mit mir.
Sie haben schöne, harmonische Tage miteinander verbracht. Die Gespräche mit ihr haben bei Klara einiges aufgedeckt, sie sieht jetzt vieles klarer.
Doch diese Vergebungstheorie kann sie nicht teilen. Sie kann ihnen nicht vergeben und nach ihrem Vater zu suchen, kommt für sie schon gar nicht in Frage.
Als Klara nach Hause kommt, dämmert es bereits. Sie findet Marianne auf der Terrasse hinter dem Haus. Von dort hat man einen wunderschönen Blick direkt auf den See. Marianne hat viele Kerzen angezündet und sitzt, eine zufrieden schnurrende Manu auf dem Schoss, vor einem Glas Rotwein, das rubinrot im flackernden Kerzenlicht leuchtet.
»Hallo,