365 Schicksalstage. Johannes Sachslehner

365 Schicksalstage - Johannes Sachslehner


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wegen Hochverrats, „Geheimbündelei“ oder der Verbreitung verbotener Druckschriften sind an der Tagesordnung; am 25. Juni 1888 wird vom Abgeordnetenhaus im Reichsrat ein „Sozialistengesetz“ mit zweijähriger Geltungsdauer verabschiedet, das starke Einschränkungen des Versammlungsrechts sowie die strenge Überwachung des Vereinswesens und der „sozialistischen“ Presse vorsieht.

      Kammerer und Stellmacher werden am 28. Februar 1884 verhaftet, unter Ausschluss der Öffentlichkeit und der Presse (!) werden beide zum Tode verurteilt und hingerichtet: Stellmacher am 8. August 1884 im Landesgericht, Kammerer, der 1882 vom Infanterieregiment Nr. 84 desertierte, in der Alser Kaserne.

       Die Lawinenkatastrophe 1954 in Vorarlberg

      Der Schnee lässt im Winter 1953/​54 in Vorarlberg ungewöhnlich lange auf sich warten. Zu den Weihnachtsfeiertagen wirbeln zwar einige Flocken durch die Täler, von einer richtigen Winterlandschaft aber zeigt sich weit und breit keine Spur. Das ändert sich plötzlich am 9. Januar: Es beginnt in großen Flocken stark zu schneien. Die Schneehöhe wächst rasch, innerhalb von 24 Stunden fallen bei Temperaturen von minus fünf bis minus sieben Grad bis zu 1,7 Meter Neuschnee; der starke Wind führt oberhalb der Baumgrenze zu enormen Schneeverfrachtungen, dazu kommt, dass der lockere Neuschnee mit dem kompakt gefrorenen Altschnee keine Verbindung eingehen kann – die Lawinengefahr steigt im ganzen Land dramatisch.

      In der Nacht vom 10. auf den 1. Januar schneit es noch immer, viele Verkehrsverbindungen sind bereits unterbrochen, zahlreiche Orte von der Außenwelt abgeschnitten und auch per Telefon nicht mehr erreichbar. Es beginnt eine unheimliche Serie schwerer Lawinenabgänge mit dem Zentrum Großes Walsertal: So verschüttet um sechs Uhr früh in Sonntag-Boden eine Lawine fünf Bauernhöfe und eine Sennerei, sechs Tote sind zu beklagen; kurz nach zehn Uhr zerstört im Gemeindegebiet von Blons eine Lawine, die sich vom Hohen Falv löst, 26 bäuerliche Anwesen, sechs Alphütten und drei Seilbahnstationen, 77 Menschen werden verschüttet, 27 können nur mehr tot geborgen werden. Um 12.45 Uhr fordert ein Lawinenabgang in Bartholomäberg-Lutt vier Tote, um 13.30 Uhr tötet eine Lawine in St. Gerold drei Menschen. Um 19 Uhr abends löst sich von den Hängen des Mont Calv eine Lawine und rast auf den Ortskern von Blons zu – zehn Bauernhöfe, vierzehn Ställe, eine Sennerei und drei Seilbahnstationen werden von ihr mitgerissen, darunter auch zwei Gebäude, in denen die Opfer der ersten Lawine des Tages versorgt worden sind. Von den 40 verschütteten Menschen sterben 21. Um 19.30 Uhr zerstört eine Lawine in Hittisau im Bregenzer Wald den Bauernhof der Familie Lipburger, sieben Menschen finden den Tod; um 20.45 Uhr fordert eine Lawine vom „Ruha Egg“ in Bartholomäberg 19 Menschenleben.

      Erst am nächsten Tag wird das ganze Ausmaß der Zerstörungen sichtbar; es beginnt ein Großeinsatz der Hilfsorganisationen, zahlreiche Freiwillige aus dem In- und Ausland kommen in die Katastrophengebiete, wo die Überlebenden mit bloßen Händen nach ihren verschütteten Angehörigen suchen; erstmals werden auch Hubschrauber eingesetzt.

      Die Vorarlberger Nachrichten klagen über das „ungeheure Leid“, das mit der Katastrophe über das Land gekommen ist: „Der weiße Tod hat uns heimgesucht, und die Heimstätten friedlicher Menschen, Haus und Hof mitgerissen und vielen Bewohnern ein kaltes Grab bereitet. … Wir neigen uns in Ehrfurcht vor den Bahren der bereits Geborgenen und beten um das Leben jener, die noch unter dem weißen Leichentuch begraben sind.“

       Das Hofdekret über die Klosteraufhebungen

      Es ist ein wahrer Paukenschlag im Rahmen der josephinischen Reformen. Ein kaiserliches Dekret verfügt die Aufhebung kontemplativer Ordenshäuser, der gesellschaftliche Nutzen wird dabei zum entscheidenden Kriterium: Wer sich nicht dem Unterricht in Schulen, der Krankenbetreuung und der praktischen Seelsorge widmet, hat in Josephs Augen keinen „Wert“ für den Staat und ist „unnütz“; dazu kommt, dass ihm die Klöster als „Quellen des Aberglaubens“ und des „religiösen Fanatismus“ gelten. Von 915 Klöstern, 780 Männer- und 135 Frauenklöstern, bleiben im deutschsprachigen Teil der Monarchie einschließlich Böhmen, Mähren und Galizien 388 erhalten. Die Dotation des „Religionsfonds“, in dem die Vermögen der Klöster zusammengeführt werden, steigt auf 35 Millionen Gulden; die Gebäude versucht man sinnvoll für die Allgemeinheit zu nützen.

      Abgewickelt werden die Klosteraufhebungen von einer „Geistlichen Hofkommission“, zu deren umfangreichen Aufgaben auch die Gründung neuer Pfarren gehört – damit soll eine bessere seelsorgerliche Betreuung der Gläubigen gewährleistet sein. Die Kirche reagiert auf diese spektakuläre Aktion mit der Reise von Papst Pius VI. im Frühjahr 1782 nach Wien; in den Gesprächen mit dem Heiligen Vater bleibt Joseph II. allerdings im Wesentlichen bei seinen Entscheidungen. Das emotionslose Urteil des Kaisers: „Unsere Verhandlungen haben schließlich zu nichts geführt.“

       Kaiser Joseph II. bleibt in den Gesprächen mit Pius VI. bei seinem Reformkurs: der Papst beim Besuch der Michaelerkirche in Wien. Gouache von Anton C. Kaliauer, 1782.

       Das Josephinische Strafgesetz

      Mit Patent vom 13. Januar 1787 wird von Joseph II. das Allgemeine Gesetzbuch über Verbrechen und derselben Bestrafung, ausgearbeitet von der „Kompilationshofkommission“ der Obersten Justizstelle, verkündet und tritt noch am selben Tag in Kraft. Das neue Strafgesetzbuch löst die umstrittene Constitutio Criminalis Theresiana aus dem Jahre 1768 ab und setzt zukunftsweisende Maßstäbe: Erstmals wird in den habsburgischen Erblanden die Todesstrafe im ordentlichen Strafverfahren abgeschafft, vorgesehen bleibt sie nur mehr für Verfahren vor dem Standgericht, also in der Militärgerichtsbarkeit. Endgültig abgeschafft sind nunmehr auch alle Verstümmelungsstrafen wie das Ohrenabschneiden, das man einst so gerne bei den widerspenstigen Bauern angewandt hatte. Ausdrücklich wird noch einmal die Folter als Instrument zur Wahrheitsfindung verworfen; „Ketzerei“, „Zauberei“ und „Hexerei“ sind keine Verbrechen mehr.

      Joseph, der Nützlichkeitsfanatiker und aufgeklärte Despot, setzt auf Verurteilungen zu schwerer, der Allgemeinheit dienender Arbeit; eine dieser neuen Sonderstrafen, die als Äquivalent für die Todesstrafe dienen, ist die Verurteilung zum „Schiffsziehen“ im Osten des Reiches, einer Strafe von bizarrer Härte, die an die Galeeren alter Zeit erinnert. Das Ziehen der Schiffe entlang der Flüsse Save, Kulpa, Donau, Drau und Theiß kommt einem Todesurteil gleich: Nur wenige der Unglücklichen, die zu dieser qualvollen Sklavenarbeit auf den sumpfigen Treppelwegen verurteilt werden, überleben die unmenschlichen Bedingungen länger als zwei Jahre. Penibel wie immer überwacht Joseph genau die Durchführung seiner Anordnungen und zeigt sich taub gegen alle Vorhaltungen, die die Inhumanität dieser Strafe anprangern. Auch sonst bleibt so manches inhumane Element im Kanon der Strafen bestehen: das Brandmarken mit glühendem Eisen, das Stehen am Pranger und die Prügelstrafe sowie „langwierige“ Gefängnisstrafen bis zu hundert (!) Jahren. „Verbrecher“ erhalten ihren Status weiterhin in den Körper eingebrannt und eingebleut, werden so vor der Gesellschaft als „Ausgestoßene“ gebrandmarkt. Josephs Neffe Franz II./​I. wird mit dem „Kriminalpatent“ vom 2. Januar 1795 die Todesstrafe für das Delikt „Hochverrat“ wieder einführen.

       Der Täufer Leonhard Schiemer

      Seine Lehre birgt Explosivstoff und fordert weltliche und kirchliche Obrigkeit gleichermaßen heraus: Für jeden echten Christen, so verkündet der Täufer-Apostel Leonhard Schiemer, sei der Verzicht auf privates Eigentum selbstverständlich, ebenso der Verzicht auf Gewalt. Und nur der „innere Mensch“ sei fähig, das unmittelbare Wort Gottes zu hören, jenes Wort Gottes, das den Menschen zur opferbereiten Nachfolge


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