365 Schicksalstage. Johannes Sachslehner

365 Schicksalstage - Johannes Sachslehner


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eine angeblich 212 Millionen Schilling (= etwa 15,4 Millionen Euro) teure Uranerzaufbereitungsanlage, die im italienischen Chioggia im Auftrag der Schweizer Firma Zapata AG verladen worden ist – tatsächlich handelt es sich um Schrott. Persönlich anwesend bei den Verladungsarbeiten ist der Drahtzieher dieses Geschäfts, der Prokurist der Wiener Hofzuckerbäckerei Demel, Udo Proksch (1934 – 2001), Gründer des Clubs 45 und umtriebiger Netzwerker. Zusammen mit seinem Komplizen, dem deutschen Staatsbürger Hans Peter Daimler, hat Proksch dafür gesorgt, dass die Fracht der „Lucona“ bei der Bundesländer-Versicherung auf diesen vorgetäuschten Wert versichert worden ist; mit an Bord werden in Chioggia auch Sprengstoff und ein entsprechender Zündmechanismus geschmuggelt …

       Riss bei seinem Untergang sechs Menschen mit in den Tod: der Frachter Lucona.

      Um 14 Uhr verlässt Kapitän Jacob Puister aus Holland das Steuerhaus und legt sich schlafen; seine Frau Adriana, genannt „Janette“, nimmt auf der Brücke ein Sonnenbad; das Steuer übernimmt der 1. Offizier Jacobus Nicolaas „Joop“ van Beckum. Als dieser um 16 Uhr in den Kartenraum geht, um die Position zu bestimmen, zerreißen plötzlich zwei gewaltige Explosionen die Stille – Vorder- und Mittelschiff sind schwer beschädigt, das Leck so riesig, dass die „Lucona“ bereits nach einer Minute zu sinken beginnt. Der Kapitän, seine Frau, der 1. Offizier und weitere drei Besatzungsmitglieder können im letzten Moment über Bord springen und sich in ein Dingey retten; sechs Menschen sterben.

      Der so raffiniert eingefädelte Coup scheitert: Die Bundesländer-Versicherung schöpft Verdacht und zahlt die Versicherungssumme nicht aus; die Ermittlungen gegen Proksch stocken jedoch, da seine Freunde in eder Politik ihn jahrleang abschirmen. Erst die peniblen Aufdeckungsarbeiten der Journalisten Gerald Freihofner und Hans Pretterebner – 1987 erscheint dessen Bestseller Der Fall Lucona – führen zur Einsetzung eines Untersuchungsausschusses und zur Verhaftung von Proksch und Daimler; ein Tauchroboter spürt das Wrack der „Lucona“ auf. 1992 wird Udo Proksch wegen sechsfachen Mordes zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt; er stirbt 2001 in der Haftanstalt Graz-Karlau.

       Der „Herrgott von Auschwitz“ und die „Bestie“

      Das Montelupich-Gefängnis in Krakau. Ursprünglich als Kaserne für die k. u. k. Armee Ende des 19. Jahrhunderts erbaut, wird das düstere Gebäude am nördlichen Rand des Stadtzentrums 1905 Sitz eines Militärgerichts, bald darauf adaptiert man es auch als Gefängnis. Während der deutschen Besatzungszeit dient es der Gestapo als „Sicherheitspolizeigefängnis“, Mord und Folter sind an der Tagesordnung; auch Oskar Schindler, mit Hilfe von „Schindlers Liste“ der Retter von 1.000 Juden aus dem KZ Pł​aszów, wird hier zweimal kurz festgehalten. Nun jedoch ist für die Polen der Tag der „Abrechnung“ gekommen: Gleich 21 Hinrichtungen stehen an diesem Wintertag des Jahres 1948 an: 19 SS-Männer und zwei Frauen finden sich auf der Todesliste, alle in den Krakauer Auschwitzprozessen zum Tode verurteilt. Unter den 21 Delinquenten sind auch ein Österreicher und eine Österreicherin: Maximilian Grabner, der Leiter der Politischen Abteilung im KZ Auschwitz, genannt der „Herrgott von Auschwitz“, und Maria Mandl, genannt „die Bestie“, die als „Arbeitsdienstführerin“ von August 1943 bis Januar 1944 gemeinsam mit dem „Schutzhaftlagerführer“ Franz Hößler im Frauenlager Auschwitz über Leben und Tod bestimmt hat.

      Maria Mandl, 1912 als Tochter eines Schuhmachermeisters im oberösterreichischen Münzkirchen geboren, beginnt ihre „Karriere“ als Aufseherin im Oktober 1938 im KZ Lichtenburg; am 15. Mai 1939 wird sie „Kommandoführerin“ im KZ Ravensbrück und beeindruckt die vorgesetzten SS-Stellen durch die grausame Misshandlung von inhaftierten Frauen. Anfang Oktober 1942 wird sie ins KZ Auschwitz-Birkenau versetzt, wo sie ein wahres Schreckensregiment errichtet. Da sie Musik liebt, fördert sie das Mädchenorchester von Auschwitz, in dem Alma Rosé, die Nichte Gustav Mahlers, als Dirigentin mitwirkt.

      Maximilian Grabner, 1905 in Wien geboren, verdient sich in den 1920er Jahren seinen Lebensunterhalt noch als Holzfäller; 1932 tritt er der NSDAP bei, 1938 der SS und wird 1940 nach Auschwitz versetzt. Sein „Aufgabenbereich“: das Verhören und Foltern von Häftlingen und die berüchtigten „Bunkerentleerungen“, bei denen Häftlinge willkürlich erschossen werden – Grabner entwickelt dabei eine Mordlust, die selbst der SS unheimlich wird: Er wird am 1. Dezember 1943 von seiner Funktion entbunden und von SS-Richter Konrad Morgen wegen Korruption und der Erschießung von 2.000 Häftlingen ohne Exekutionsbefehl angeklagt. Der Prozess der SS gegen ihn verläuft im Sande; nach Kriegsende wird Grabner in der Nähe von Wien verhaftet. Bei einer Gegenüberstellung mit dem ehemaligen KZ-Häftling Hermann Langbein meint er: „Ich habe nur mit Rücksicht auf meine Familie mitgewirkt an der Ermordung von 3 Millionen Menschen.“

       Der Bergsturz am Dobratsch

      Es ist zwischen 15 und 16 Uhr, Vesperzeit, ein Wintertag „bei hell scheinender Sonne“. In der Villacher Domkirche feiern etwa 500 Gläubige mit einem Nachmittagsgottesdienst das Fest Pauli Bekehrung, als sich plötzlich der Himmel mit „finsterem Gewölk“ überzieht und die Erde zu beben beginnt. Der Hauptstoß dauert etwa zwei Minuten – lang genug, um das Gotteshaus in den Grundfesten zu erschüttern und einstürzen zu lassen; alle Besucher der Messe kommen ums Leben, ganz Villach liegt in Trümmern. Auf dem Hauptplatz „bricht Wasser in solcher Menge auf“, dass es scheint, „als ob ein Fluss die Fläche erfüllt hätte“, in den zerstörten Häusern wütet eine Feuersbrunst und zerstört „allen Besitz“; zudem fallen „viele starke Burgen in sich zusammen: Federaun, Kellerberg, Hollenburg und andere Festen, die man gar nicht nennen kann“.

      Gleichzeitig „zerspaltet“ sich „der Berg vor dem Gesichte gegenüber Mitternacht“, der Dobratsch. 150 Millionen Kubikmeter Fels stürzen von der südöstlichen Flanke des Berges ins Gailtal und verschütten, wie es in einem alten Bericht heißt, „17 Dörfer, 3 Gschlösser und 9 Gotteshäuser“; das herabgestürzte Geteinsmaterial bewirkt, dass die Gail aufgestaut wird und ein etwa drei Kilometer langer See entsteht, „Häuser und Dörfer, Güter und Leute“ ertrinken darin. Nach einigen Tagen durchbricht die Gail die Gesteinsmassen und überflutet nun das Land flussabwärts, wieder ertrinken zahlreiche Menschen – insgesamt, so schätzt man, fordert die Katastrophe an die 10.000 Menschenleben.

       150 Millionen Kubikmeter Fels stürzen zu Tal: der Bergsturz am Dobratsch.

      Viele glauben das Ende der Welt für gekommen, setzt doch danach auch in anderen Teilen Kärntens im Gefolge der schweren Pestepidemie dieses Unglücksjahres ein „großes jämmerliches Sterben“ ein, in welchem „kaum der vierte Teil der Menschen“ übrig bleibt: Es seind gächling junge und alte, gesund und frölich mit selzamen reden gestorben, auf allen strassen hat man tote cörper ligen funden. Dazu „regnet es auch Blut“ und etliche Flüsse färben sich „rotfarb wie Blut, sonderlich die Gurcken, Drau und die Glan“ – für die Menschen ein Zeichen für Umkehr und Buße, die Geißlerzüge finden immer mehr Zulauf. Und als man in Wolfsberg angeblich „blutige Hostien“ findet, richten sich Wut und Hass wieder einmal gegen die Juden – im September 1349 kommt es in Niederösterreich zu Pogromen.

       Der Friede von Karlowitz

      Knapp nach Mitternacht, als die Sterne nach Meinung der türkischen Unterhändler am günstigsten stehen, wird im hölzernen Konferenzhaus nahe den Ruinen von Karlowitz (Sremki Karlovce) der Schlusspunkt hinter einen beinahe 16 Jahre lang währenden Krieg gesetzt: Rami Mohammed, der Reis Effendi der Hohen Pforte, akzeptiert mit Siegel und Unterschrift die harten Bedingungen des Kaisers und seiner Verbündeten, es sind dies Polen, die Republik Venedig, der Kirchenstaat und Russland.

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