Wir können machen, was wir wollen. Nina Pourlak
sie könnte es sich auch niemals vorstellen. Vielleicht ist es das, was mir am besten daran gefällt. Dass ich jetzt etwas nur für mich allein habe. Ein Geheimnis.
Hannah
Mein Fahrrad gibt röchelnde Geräusche von sich, es klingt genauso, wie ich mich fühle nach einem Tag Arbeit wie heute. Es quietscht auch extrem beim Bremsen, dann drehen sich alle nach mir um, an der Ampel. Die Klingel funktioniert überhaupt nicht, aber das Gute ist, meistens muss man ja auch bremsen, wenn man klingeln will, und dann quietscht es dafür eben richtig furchterregend, besser als jede Klingel. So laut und dramatisch, dass man schon den Aufprall erwartet wie bei einem Verkehrsunfall, wenn man es vorher quietschen hört.
Diese dämlichen pseudolässigen Hängehosen-Typen vom Fahrradladen meinten nach mehrtägiger Untersuchung, es sei wohl was kaputt. Klar, habe ich gesagt, ihr werdet es nicht für möglich halten, ihr Schlauberger, aber das hab ich auch schon gemerkt, deswegen habe ich dieses Fahrrad ja auch hergebracht. Ich dachte, es sei euer Part, das Teil zu reparieren.
Diese Jungs so arschcool: Ach so, stimmt ja, da war ja was, na gut, alles klar, machen wir. Ich meinte dann mindestens genauso lässig, dass ich allmählich eher das Gefühl hätte, die wollen, dass ich da immer wieder vorbeikomme. Vielleicht stimmt das ja auch, sagte einer dieser Typen, der mit den wuscheligen Haaren, und klimperte mit seinen Wimpern. Schön, zischte ich dann, echt toll, du, ich fühle mich auch wirklich maximal geschmeichelt, aber dann kannst du ja einfach meine Telefonnummer auf diesem Kundenzettel anwählen, wenn du mich vermisst, und mein Fahrrad trotzdem bald mal reparieren, o. k., das brauche ich nämlich zufälligerweise. Danke. Er hat sich dann wohl noch mal dran probiert, aber leider nur mit mäßigem Erfolg.
Mein Fahrrad hat mittlerweile jedenfalls komplett kapituliert. Es ist letztens in der Gneisenaustraße zusammengebrochen wie ein lahmes Pferd unter seinem Cowboy in der Wüste. Immer langsamer ist es geworden, immer müder. Und es hat heftig geschnaubt. Ich bin abgestiegen, damit es leichter wurde, und hab es angefeuert wie ein Motivationstrainer, komm, Pferdchen, noch ein bisschen. Du schaffst es. Da vorne ist eine Quelle. Aber es hustete und prustete und ging in die Knie. Und jetzt steht es da einsam und allein in Kreuzberg vor ’ner Turnhalle angebunden und wird wahrscheinlich bald schon von schwedischen Touristen und Flaschensammlern ausgeweidet. Adieu, Fahrradkorb. Adieu, kaputte Klingel.
Und angerufen hat natürlich auch niemand – nicht dass ich jetzt unbedingt darauf gewartet hätte – aber trotzdem. Eine ganz tolle Aktion. Glück auf der ganzen Linie, mal wieder. Man könnte sagen: Ich hab ein Händchen für so was. Ich hab ein Talent zur Verschreckung. Ich krieg auch schon so Bücher ausgeliehen, von besorgten Freundinnen, anderen Erzieherinnen und alleinerziehenden Müttern aus meiner Gruppe: „Simply Love Strategy“, und wie das alles heißt. „So finden Sie den Mann fürs Leben.“ „Die 88 Regeln zum Glücklichsein. Programmieren Sie einfach Ihre innere Festplatte um, damit Sie die Unglücksserie beenden können. Das System verändern heißt sich selbst verändern.“
Chaka!
Sie drücken mir diese peinlichen Frauen-Sachbücher in der Mittagspause in die Hand und dazu noch ganz fest die Daumen. Teilweise haben sie echt Stellen mit Textmarker angestrichen, die sie selbst am wichtigsten fanden.
Da bekommt man die interessantesten Tipps: „Niemals zuerst anrufen. Überhaupt niemals anrufen. Höchstens zurückrufen.“ – „Nach jedem Essen ein Kaugummi.“ – „Auf keinen Fall vor dem fünften Date von Heirat sprechen. Nicht einmal einen Satz sagen, in dem das Wort Heirat drin vorkommt. Am besten nicht einmal ein Wort, das überhaupt mit H anfängt.“
Zu mir sagen sie dann: „Bei mir hat es ja auch geklappt“, oder: „Du bist als Nächste dran. Ich spüre das.“ Klingt irgendwie nicht so positiv, eher wie eine Drohung: „Du bist als Nächste dran.“ Nimm dich in Acht. Pass bloss auf. Die Falle schnappt bald zu. Das ist nämlich genau deren Irrtum: Ich will gar nicht dran sein!
Ich guck mir ihre luschigen Freunde von der Seite an und erinnere mich an all die haarsträubenden und teilweise intimen Katastrophen, die sie mir schon über ihr Zusammenleben mit diesen Typen erzählt haben, all die bescheuerten Kompromisse, die sie eingehen müssen, all die Kränkungen und Betrügereien in ihrer ach so beneidenswerten Beziehung, und dann denke ich bloß: Das hat mir grade noch gefehlt. Es muss noch eine andere Möglichkeit geben, glücklich zu werden auf dieser Welt. Am liebsten würde ich einfach sagen: Das, was du hast, das will ich doch gar nicht. Ich meine, es ist ja schön, wenn du damit zufrieden bist. Wirklich. Freut mich. Aber für mich wäre es nun mal nichts!
Das versteht echt niemand. Und das will man ja so auch nicht konkret aussprechen. Dass man lieber alleine ist als mit irgend so einem Heini – wie ihrem Freund – auf Trostpflasterbasis vereint.
Dieses Lied von „Ich & Ich“ hasse ich ja übrigens auch: Du bist mein Pflaster. Oh man. Wer will schon ein Pflaster sein, oder? Ich meine, Pflaster, ja, die sind dazu da, die Wunde abzukleben, dann saugen die den Eiter auf und den ganzen anderen Schmodder, und danach, wenn alles geheilt und wieder gut ist, landen sie grabbelig und eklig im Mülleimer, und keiner will sie noch haben. Schönen Dank für das Kompliment.
Das muss man sich also mal klarmachen. Dass man die genauso bemitleidet, wie die einen bemitleiden, wenn man alleine nach Hause geht, weil sie miteinander nach Hause gehen müssen, immer und immer wieder, weil sie gar keine andere Wahl haben, das können die sich gar nicht vorstellen. Die tun die ganze Zeit so, als ob jeder dringend ’ne Begleitung braucht, um durchs Leben zu gehen. In Wirklichkeit wollen sie sich lieber mit mir befassen als mit ihrer eigenen verkorksten Situation, so sieht‘s aus! Die sind im Stillen auch noch neidisch auf die zahllosen Vorteile meines Personenstandes:
Zum Beispiel hat man so viel freie Zeit als Single … Man kann im Bett liegen und Sachen aus Zeitschriften ausschneiden, ohne dass einen irgendjemand fragt: Was machst du da, und wofür soll das überhaupt gut sein? Man kann Fischstäbchen essen und Toast mit Nutella, als wäre man zwölf, und keiner kommt mit seinem dussligen Jamie-Oliver-Kochbuch um die Ecke und setzt einen mit irgendwelchen Spezialrezepten unter Druck, als ob es nicht genug Restaurants in dieser Stadt gebe und als ob es darauf ankäme, seine ganze Sippe am Leben zu erhalten und soundso viele hungrige Mäuler zu stopfen.
Man kann sich jemand ausdenken, der einem gefallen würde, und sich vorstellen, wie er einen besuchen kommt oder wie man ihn zufällig trifft, zum Beispiel auf einer Wiese, und was dann alles Wildes passieren würde. Es ist erheblich schwieriger, sich so etwas vorzustellen, wenn neben einem jemand liegt und schnarcht.
Last, not least: Man kann aus einer attraktiven Altbauwohnung mit nachbarlichem Familienanschluss und Mietergemeinschaft in einer hübschen Seitenstraße am Ufer von Kreuzkölln in einen gigantischen hässlichen anonymen Wohnklotz direkt am Kotti umziehen, nur weil man das Eiscafé in der Straße hasst, ohne dass man sich groß rechtfertigen muss, oder vielleicht noch jemanden um Erlaubnis fragen. Und weil es in der neuen Wohnung eine Badewanne gibt und eine Terrasse und weil man von oben auf die ganze Welt sehen kann und keiner Fragen stellt über Zukunft und Familienplanung und den Sinn des Lebens.
Ich packe jedenfalls grade die Kartons. Tschüss, Eiscafé. Tschüss, Mutterherde. Den nächsten Sommer werdet ihr ohne mich auskommen müssen.
Minka
Meine Mutter sagt immer, man muss auch ein Talent zum Glücklichsein haben. Es gibt so viele Leute, die könnten eigentlich total glücklich sein, objektiv betrachtet haben sie vielleicht sogar viel mehr Grund dazu als andere, doch nur weil sie sich immer so viele Sorgen machen oder sich mit anderen vergleichen oder eifersüchtig und missmutig sind oder Drogen nehmen und sich selbst zerstören, werden sie niemals glücklich sein so wie zum Beispiel Amy Winehouse und alle, von denen sie sonst noch so gelesen hat in den Frauenzeitschriften.
Mein Vater sagt immer, das entscheidet man gar nicht selbst. Vergleiche sind immer da, du kannst ihnen nie entkommen: Wenn zwei Mädchen zusammen ausgehen, dann vergleicht man sie doch sofort miteinander, das würde jeder Mann tun. Jeder guckt, wer die Hübschere ist, automatisch. Die beiden Mädchen selbst wahrscheinlich auch. Wie ein unausgesprochener Wettbewerb. Die Frage ist also eher, wie man diesen ganzen Wettbewerb aushalten kann. Jeden Tag. Wie sehr es einem gelingt, das zu vergessen