Wir können machen, was wir wollen. Nina Pourlak

Wir können machen, was wir wollen - Nina Pourlak


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diese Teile an den Balkon zu montieren. Jetzt wollen sie dort viel verändern, meinte die russische Dame von der Hausverwaltung, weniger Hartz-IV-Empfänger, mehr Künstler – als ob das in Berlin nicht meistens das Gleiche wäre. Und Blumen werden auch angepflanzt, bald soll es sogar einen eigenen Kotti-Honig geben, geliefert von einem Bienenstock, der direkt auf dem Dach haust.

      Ich weiß nicht so ganz, wie ich in das Konzept passe, wahrscheinlich haben sie gedacht: Erzieherinnen, die basteln doch immer so viel, die sind ja fast so was wie Künstler, jedenfalls sind es aber keine Hartz-IV-Empfänger, und das ist schon mal gut, und deswegen habe ich auch die Wohnung so schnell bekommen, kaum dass ich mir in den Kopf gesetzt hatte, mich zu verändern. Ich hab mich vorher extra noch mal bei der Hausverwaltung versichert, dass niemand aus meiner Kindergartengruppe dort wohnt, damit ich nicht gleich wieder in die Falle gehe und als Notfall-Babysitter für den ganzen Block herhalten muss.

      Keine Ahnung, wie oft ich in diesem Leben noch neu anfange. Wie viele Male diese Waschmaschine irgendwo hingetragen wird, ein Nachsendeantrag gestellt und der Name auf dem Klingelschild erst mal mit Sticker überklebt wird.

      Wie oft ich mir meine neue Telefonnummer einprägen werde und wie oft ich mich daran gewöhnen muss, in einem neuen Zimmer aufzuwachen, was ab dann mein Zuhause ist.

      Im Treppenhaus stinkt es nach Pisse, und so ein völlig verpeilter Typ kifft auf der Terrasse und schwafelt dabei seltsames Zeug. Was sagt er da? Ahh. Herzlich willkommen.

      Anscheinend mein neuer Nachbar. Na spitze. Meine Freundinnen gucken mich vor der Abfahrt skeptisch an, mit diesem Können-wir-dich-überhaupt-hier-alleine-lassen-Blick. Ich sag: Ja doch, Leute, zischt ab, ich wohne ja jetzt schließlich hier, das ist mein neues Zuhause. Das beruhigt die aber kaum, eher im Gegenteil, würde ich sagen. Sie fangen dann auch noch mal davon an, ob ich vielleicht in einer Krise stecke und ob es mir unbedingt guttäte, ausgerechnet hierhin zu ziehen, zu all den ganzen Verrückten und Durchgedrehten, und ob sie mir noch ein paar Bücher ausleihen sollen.

      Manchmal glaube ich wirklich, ich bin ihr Lieblingsthema. Wenn man jemanden hat, über dessen Leben man reden kann, muss man sich immerhin nicht so intensiv den Kopf über sein eigenes zerbrechen, oder? Ich hab gesagt, mir geht es wunderbar, vor allem jetzt, wo ich endlich umgezogen bin und meine Ruhe habe. Sie sollen sich mal keine Sorgen machen. Jeder, der ein Herz hat, ist im Winter in Berlin ein bisschen melancholisch, oder? Die Selbstmordrate ist auch ziemlich hoch, aber das sag ich nicht, das würde die nicht beruhigen. Vor allem, weil ich jetzt in einem Hochhaus wohne.

      Als sie endlich alle gegangen sind, mit ihrem selbstgebackenen Kuchen und ihren Hausratsversicherungen und Lebensweisheiten und allem, hab ich also angefangen, meine Kartons auszupacken, und alles irgendwie provisorisch in windschiefe Regale gestellt. Bestimmt bleibt es jetzt erst mal ewig genauso stehen. Mein ganzes Leben ist irgendwie immer noch provisorisch wie diese schiefen Regale. Buhuhu.

      Jetzt werde ich aber wirklich ziemlich melancholisch. Die Wohnung ist mir noch fremd, aber wenn ich aus dem Fenster gucke, sehe ich auf einmal nicht nur den Hinterhof, sondern das ganze heftige Leben da draußen. Alles leuchtet und rennt herum auf dem Weg, wieder woandershin, wo vielleicht irgendjemand wartet. Es beruhigt einen irgendwie, dass da draußen was passiert und man nicht allein auf der Welt ist. Dass alle nach irgendwas suchen und immer weiterlaufen, nicht nur man selbst. Man käme sich sonst so verloren vor, oder? Als wäre man der Einzige, der noch nicht herausgefunden hat, worum es geht und was genau das Ziel der ganzen Sache hier ist.

      So ein Umzug stellt einen aber auch vor lauter nahezu unlösbare Aufgaben, wie zum Beispiel das Anschließen von Waschmaschine und Geschirrspüler, diese höchst anspruchsvolle Fernsehsenderprogrammierung und das Andübeln von irgendwelchen Brettern im Bad als nahezu unpackbare Herausforderung.

      Ich will aber auf keinen Fall noch mal meine Freundinnen und Kolleginnen fragen, das hat heute schon gereicht. Ich kann mir richtig vorstellen, wie die zu Hause dann zu ihrem Freund sagen: „Hilf doch bitte mal der armen Hannah, diese Sachen anzubringen, sie hat doch sonst niemanden. Sie ist doch so allein. Sie braucht wirklich dringend unsere Unterstützung.“ Und der Typ dann so, halb genervt, halb gönnerhaft, entgegnet: „Na, gut, dann werden wir der Kleinen mal helfen. Wir sind ja nicht so … “

      Und wenn er dann hier rumsteht, glotzt er mir die ganze Zeit auf den Po und erzählt mir, dass es bei ihnen zu Hause im Bett schon lange nicht mehr so richtig rundläuft. Und ich nicke, bis der Geschirrspüler wieder geht und die Bretter angebracht sind, und versuche dann, den Typen so schnell wie möglich aus der Wohnung zu bekommen, was gar nicht so einfach ist. Hinterher behauptet er zu Hause dann noch gefrustet, ich hätte ihn angemacht. Und seine Freundin tut so, als wüsste sie nicht, was wirklich vorgefallen ist, und regt sich mit ihm auf: „Die scheint es ja wirklich nötig zu haben … Wir haben ihr doch wirklich nur helfen wollen, und dann so was. Dieses Biest. Undank ist der Welt Lohn.“ Auf der Arbeit redet sie dann zwei Wochen nicht mehr mit mir, dann wissen bald alle Bescheid – sogar die Eltern, und so weiter und so weiter. Eine einzige Katastrophe. Eier werden gegen meine Tür geworfen. Ein anonymes Schreiben erreicht mich Sonntagnachmittag.

      Irgendwann muss ich dann ganz bestimmt auswandern. Das alles nur, weil ich dachte, ich brauche dringend einen funktionierenden Geschirrspüler. Das alles nur, weil ich als einigermaßen mitteljunge Frau allein lebe. Das ist niemandem richtig geheuer. Wenn es zu lange geht, sieht es nach Herausforderung aus, als würde man das System in Frage stellen. Es kann doch nicht sein, dass sie keinen braucht? Mit der stimmt doch was nicht. Also wenn ich es mir recht überlege: Auf diesen ganzen Trubel kann ich wirklich verzichten, und genau deshalb werde ich mir nichts anmerken lassen!

      Es kann unter diesen Umständen allerdings leider wirklich sein, dass ich monatelang ohne Geschirrspüler und Bretter im Bad zubringe. Noch schlimmer ist die Waschmaschine, die kann ich eigentlich unter keinen Umständen entbehren. Nur weil ich niemanden fragen will. Dass im Rahmen eigenständiger Fernsehsendereinstellungsbemühungen bei mir die ARD auf Programmnummer 22 landet und Pro Sieben auf Nummer 2 und das ZDF dafür auf 44 und auf 1 der Offene Kanal, das ist noch das kleinste Problem …

      Dann orientiert man sich eben am besten an diesen Symbolen in der Ecke. Vielleicht sind die ja auch dafür da. Für alle, die es sonst nicht hinkriegen. Für Leute wie mich. Was soll’s. Ich wollte sowieso nicht mehr so viel fernsehen.

      Ich weiß, emanzipierte Frauen sollten das wirklich selbst hinkriegen, dieses ganze technische Zeug, sonst ist die ganze Frauenunabhängigkeitsnummer auch nur die reinste Heuchelei, aber ich bin absolut unfähig in dieser Hinsicht und dazu auch noch so wahnsinnig ungeduldig. Es muss jemand her, der mir helfen kann: ein Mann. Ein richtiger Mann, der solche Sachen kann, der das beigebracht bekommen hat von seinem Vater oder seinem Stiefvater oder dem Nachbarn, oder vielleicht ja auch von seiner Mutter, die eben andere Talente hat als ich. Kann doch sein. Aber wo soll dieser Mann auf einmal herkommen?

      Er soll nicht zum Bekanntenkreis gehören und auch nicht mit jemandem liiert sein, den ich kenne und dem ich dankbar sein muss aus den genannten Gründen.

      Bei meiner Arbeit im Kindergarten treffe ich auch nur auf verzweifelte, alleinerziehende Mütter und einige wenige Familienväter, die noch nicht davongelaufen sind und die ihre ganze Energie brauchen, um die Stellung zu halten. Die werde ich mal lieber nicht aus dem Tritt bringen. Es gibt wirklich keinen Beruf, in dem es unmöglicher ist, einen echten Mann kennenzulernen, als Erzieherin, ehrlich. Vielleicht noch Totengräber. Aber da gibt es immerhin noch die Angehörigen, die Trost und Nähe suchen. Ich vermute, selbst das ist allemal besser als im Kindergarten. Dort kriegt man, so weit das Auge blickt, nur gescheiterte Beziehungsmodelle vor Augen geführt, und alle, die da herumlaufen, sind bis auf die Kinder, einigermaßen verzweifelt.

      Bekiffte Nachbarn und Oberkellner aus umliegenden gastronomischen Einrichtungen werde ich lieber auch nicht als Handwerker konsultieren, weil diese Kandidaten es so an sich haben, auf meine Dankbarkeitsbekundungen in Naturalien zu spekulieren. Und weil ich ihnen danach auch noch jeden Tag begegne und nicht entrinnen kann, wäre das absolut keine gute Idee.

      Letztens hat meine Arbeitskollegin Susa ihren Mann auf so einem Internetportal entdeckt, weil er dort heimlich nach einer Zweitfrau suchte. Eine alleinerziehende Mutter aus meiner Gruppe hatte nämlich ein Date mit ihm, und als er beim Sommerfest


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