Der Bund roter Löwe (2). Fulcanelli II. Richard Kölldorfer

Der Bund roter Löwe (2). Fulcanelli II - Richard Kölldorfer


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      Die Kutschenfahrt verlief alles andere als angenehm, denn die regennassen Fahrwege der französischen Provinz mit ihren handtiefen Löchern ließen meine alten Knochen erzittern.

      „Bist du sicher, dass sie dich empfangen werden?“, fragte ich Abdul. „Möglicherweise unterschätzt du die Berührungsängste der Mönche bezüglich anderer Konfessionen.“

      „Da mach dir mal keine Sorgen. Wir wissen doch nicht, ob sie mir gegenüber Ressentiments hegen. Andererseits, warte mal“, murmelte Abdul, während er ein Buch aus seiner Tasche kramte. „Sieh dir das mal an!“ Er hielt mir ein aufgeschlagenes Buch vor die Nase, in dem ein großes grünes Kreuz abgebildet war.“

      „Kennst du dieses Emblem?“, wollte er wissen.

      „Nein, keine Ahnung, aber ich hege den Verdacht, dass du mich umgehend darüber aufklären wirst.“

      „Stets zu Diensten“, brummte Abdul. „Dieses Symbol wurde ursprünglich auf der linken Schulter getragen. Es gab damals zu Zeiten der Kreuzzüge eine Menge seltsamer Orden, einer davon war der Lazarusorden, der sich, wie alle Ritterorden, zum Ziel gesetzt hatte, das Christentum zu verteidigen. Erst später widmete sich der Orden der Alten- und Krankenpflege. Rate mal, warum das Kreuz grün ist?“

      Theatralisch seufzend neigte ich meinen Kopf zur Seite und dachte nach.

      „Möglicherweise weil das grüne Kreuz über die grünen Satane des Orients triumphieren sollte?“

      „Ja, damit liegst du gar nicht so falsch“, schmunzelte Abdul. „Diese Gerüchte gab es wirklich.

      Der eigentliche Grund lag allerdings an der Großzügigkeit von Sultan Saladin, der sich während einer der zahllosen sinnlosen Schlachten mit einem Waffenstillstand einverstanden erklärte, um unnötiges Blutvergießen zu vermeiden. Aus Dankbarkeit und im Gedenken daran prangte genau dieses Kreuz auf den Schultern bzw. auf den Brust der Kampfkleriker.“

      „Kampfkleriker! Coole Sache!“, unterbrach Eric den Bericht Fulcanellis. Sie saßen gemeinsam im Kloster, tief in den Bergen … und Eric lauschte der Lebensgeschichte des Ordensbruders, während sie auf die Rückkehr ihrer Freunde warteten. „Das erinnert mich an die äußerst seltsame Band Type O Negative. Deren seelisch divergenter Band-Leader, Gott hab ihn selig, gestaltete aufgrund seiner skandinavischen Vorfahren eine eigene Flagge, die genauso aussieht, wie die Norwegens, nur in grün-weiß. Außerdem ist auf jedem Platten-Cover fast ausschließlich die Farbe Grün zu finden. Ich glaube, das hat irgendetwas mit Grönland zu tun.“

      „Ich fürchte, der Vergleich hinkt“, meinte Fulcanelli.

      „Leuchtet mir ein“, gab Eric kleinlaut zu. „Wollte auch mal was sagen, worüber du nicht Bescheid weißt.“

      „Na, das ist dir gelungen, wenngleich sich in meinem Kopf keine Verbindung zwischen dem Lazarusorden und dieser ominösen Band ergeben will.“

      „Ja, das ist kein einfaches Unterfangen“, klönte Eric. „Sobald ich den „Missing Link“ gefunden habe, werde ich dich umgehend darüber informieren.“

      „Ausgezeichnet“, schmunzelte Fulcanelli und fuhr in seiner Erzählung fort.

      Das Buch der Heilung hatte ich mittlerweile durchgesehen und fand, dass es durchaus Praktiken beinhaltete, die in die europäische Medizin integriert werden sollten. Vor allem was prophylaktische Methoden betraf, war die arabische Medizin der europäischen weitaus überlegen. Grundsätzlich waren die Methoden ausgegorener, was ich darauf zurückführte, dass es in der arabischen Medizin kaum Tabus bezüglich der Anatomie des menschlichen Körpers gab. Das wiederum konnte Abdul nicht bestätigen. Im Gegenteil: Das Experimentieren mit menschlichen Leichen war wie in Europa streng verboten, worauf mir Abdul einige Suren des Korans zeigte, die mir verdeutlichen sollte, dass das Innere des menschlichen Körpers heilig war. Wieder ergaben sich mehr Fragen, als beantwortet wurden. Wie konnten dann Methoden entwickelt werden, die darauf beruhten, die menschliche Anatomie vollständig erschlossen zu haben?

      „Warum hat sich die arabische Medizin früher und eindeutig tauglicher entwickelt als die europäische“, wollte ich wissen. „Die Voraussetzungen sehen für mich ähnlich aus.“

      „Soviel ich weiß, war die Verquickung von Religion und Wissenschaft, einer Übereinkunft der du höchst skeptisch gegenüberstehst, in der moslemischen Medizin fortgeschrittener“, antwortete Abdul. „Tatsächlich waren die Auslegungen der christlichen Lehren bezüglich Medizin kontraproduktiv.“

      „Kannst du das ausführen? Ich kann mir wirklich nicht vorstellen, wie du das meinst.“

      „Die Heilung von Krankheiten ist im Koran ausdrücklich erwünscht. Laut den heiligen Schriften hätte Allah für jede Krankheit, außer einer, ein Heilmittel herab gesandt und das beinhaltet sowohl physische als auch psychische Leiden.“

      „Außer für eine Krankheit? Welche soll das sein?“, fragte ich erstaunt.

      „Das Alter.“

      „Natürlich, das Alter“, nickte ich „wenngleich ich das jetzt nicht im engeren Sinn zu den Krankheiten zähle. Du hast mir mal erzählt, dass die arabische Medizin nicht abgeneigt war, jegliche Strömung einfließen zu lassen, solange sie funktional waren. Das heißt, das Wissen über Anatomie entstammt womöglich chinesischer oder indischen Lehren?“

      „Nein, nicht unbedingt, es heißt vor allem, es gab Mediziner, die sich unter Einsatz ihres Lebens, über die Regeln des Korans hinweggesetzt haben.“

      „Ja, das klingt plausibel“, sinnierte ich. „Andererseits nehme ich an, dass es in Europa ebenfalls Menschen gab, die sich über Verbote hinweggesetzt haben.“

      „Mag sein. Vielleicht liegt es an der Abgrenzung gegenüber anderen Lehren. So genau lässt sich das jetzt nicht mehr nachvollziehen.“

      Die Gespräche verkürzten uns die Zeit und ließen uns die Schlaglöcher der kaum befestigten Landstraßen vergessen. Kurz bevor die Sonne untergegangen war, mieteten wir uns in einem Gasthaus ein. Zum purpurnen Hahn stand über der Pforte geschrieben. Müde von der Reise gingen wir recht früh zu Bett, schließlich sollte unsere Fahrt nach Sonnenaufgang fortgesetzt werden und unsere morschen Knochen verlangten nach einer ausgedehnten Regenerationsphase. Ein zerfließender Mondstrahl bahnte sich den Weg durch das kleine Fenster. Abduls Schnarchen war nicht gerade wohltuend für meine empfindlichen Ohren und so glitt ich erst nach Stunden in einen dumpfen Dämmerzustand.

      Irgendein ungewohntes Geräusch verleidete mir das friedliche Schnarchen Abduls, an das ich mich mittlerweile gewöhnt hatte. Ein metallisches Klicken und Scharren pflanzte sich den Weg durch meine Gehörgänge in mein Gehirn. Jäh erhob ich mich und lokalisierte das Geräusch, das mich endgültig um den Schlaf brachte. Jemand machte sich an der von innen versperrten Tür zu schaffen. Ungläubig starrte ich in die Dunkelheit, zögerte einen Augenblick, und versuchte Abdul so leise wie möglich wach zu rütteln.

      „… was ist denn los, verflixt?“, greinte Abdul.

      „Pst, leise. Es versucht sich jemand zu unserem Zimmer Zutritt zu verschaffen“, flüsterte ich.

      Sofort schien Adrenalin in Abduls Blut einzuschießen. Er richtete sich auf und entstieg dem Bett, was ich nur den Geräuschen zu Folge eruieren konnte, denn ich konnte bestenfalls Schemen wahrnehmen.

      „Wir müssen jeder einen Sessel zu fassen kriegen“, krächzte Abdul. „Schnell jetzt.“

      „Gut. Verschanzen wir uns damit hinter der Tür.“

      Tapsend glitt ich mit kleinen Schritten durch die Dunkelheit. Gerade als ich matten Lichtschein durch den Türspalt dringen sah, umfassten meine Hände einen der Sessel, den ich über meinen Kopf hob und wie ein Tier vor dem Sprung ausharrte. Zentimeter für Zentimeter weitete sich der Lichtkegel. Gerade als der Spalt breit genug war, erschien ein vermummter Kopf.

      „Aaarrgh“ hörte ich Abdul schreien, der auf die Gestalt zustürmte. Noch ehe diese reagieren konnte, schmetterte Abdul ihr den Sessel gegen den Schädel. Ein dumpfes Krachen


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