Meine Seele gehört dir. Lisa Lamp

Meine Seele gehört dir - Lisa Lamp


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rief meine Mom aus der Küche und ich war sogar zu müde, um sie zu korrigieren.

      Jahrelang hatte ich sie gebeten, mich nicht Isabella, sondern Isa zu nennen, doch sie wehrte sich strikt, meinen schönen Namen zu verschandeln, wie sie selbst sagte. Dass ich ihn nicht mochte, ignorierte sie dabei gekonnt.

      »Ja«, schrie ich, bevor ich meinen Pyjama auszog und zusammengelegt auf der Kommode neben den Handtüchern ablegte.

      Es war ein Ritual, das ich mir seit meiner frühesten Kindheit eingeprägt hatte. Niemals würde meine Wäsche zerknüllt auf dem Boden in einer Ecke liegen, wie es bei den meisten Jugendlichen der Fall war.

      »Sehr gut. Beeil dich, sonst kommst du zu spät!«, hörte ich noch, bevor ich unter die Dusche sprang und meine Umgebung ausblendete.

      Ich liebte meine Mom, aber seit sie nicht mehr arbeitete, überwachte sie jeden meiner Schritte. Das war für ein Mädchen mitten in der Pubertät eine Qual.

      Unter dem Duschkopf ließ ich das heiße Wasser über meinen Körper fließen und lehnte mich an die Wand, um zu entspannen und den Halbschlaf abzuschütteln. Ich hatte einen anstrengenden Tag vor mir. Zum einen mussten wir in Kunst unsere Bilder fertigstellen, zum anderen war es dringend nötig, den Stoff in Literaturgeschichte zusammenzufassen, wenn ich dieses Jahr meinen Notendurchschnitt halten wollte. In nicht einmal drei kurzen Wochen würde die Prüfungsphase beginnen und ich fühlte mich absolut unvorbereitet, obwohl ich schon seit Tagen lernte.

      Nachdem ich fertig war und meine Haut trocken rubbelte, verschwand die Müdigkeit ein wenig und meine Motivation kehrte zurück. Ich schlüpfte in die weiße Bluse, die ich mir gestern zurechtgelegt hatte, und zog meinen schwarzen, perfekten Faltenrock an, der knapp meine Knie bedeckte. Kürzer wäre nuttig gewesen und länger zu prüde.

      Ich band mir die blonden Haare zu einem Zopf, da sie mir sonst ins Gesicht fielen, und legte mir die Silberkette meiner Grandma um, die ich seit ihrem Tod täglich trug. Ich hatte meine Granny geliebt. Sie hatte mich verteidigt, mich mit ihrer unbeschwerten Art aufgeheitert und mir das Gefühl gegeben, ihr eigenes kleines Wunder zu sein. Der Verlust war hart für mich gewesen. Plötzlich war da niemand mehr, der meine Tränen trocknete oder mich zum Lachen brachte. Stattdessen hatte ich einen grauen Grabstein, auf dem ihr Name stand und die Erinnerung an schrottreifes Metall, das mit viel Fantasie entfernt an ein Auto erinnerte, in dem sie stets saß, ehe ein betrunkener Fahrer sie gerammt hatte.

      Ein letztes Mal kontrollierte ich mein Aussehen im Spiegel und schluckte die aufkommenden Tränen hinunter, bevor ich die Treppe hinablief, um zu frühstücken.

      »Du siehst fantastisch aus, Engelchen«, meinte mein Dad, wofür ich ihm ein Lächeln schenkte.

      Dad war vollkommen anders als meine Mom, auch wenn er kaum da war, um das zu beweisen. Er hätte mich ebenfalls schön gefunden, wenn ich mit Jogginghosen und Turnschuhen aus dem Haus gegangen wäre, während Mom mir bereits einen Vortrag hielt, wenn ich Socken zu offenen Schuhen anzog oder mehr als drei Farben trug.

      Mein Dad küsste mich auf den Kopf und ich schaufelte mir seelenruhig Pancakes mit Butter, Marmelade und Ahornsirup auf den Teller. Von meiner Mom kassierte ich dafür einen angeekelten Blick, aber den versuchte ich, so gut es ging, zu ignorieren und die Schuldgefühle wegzuschieben. Mir war bewusst, wie viele Kalorien ich gerade in mich hineinstopfen wollte, doch heute war mir einfach danach. Zur Not würde ich das Abendessen ausfallen lassen, um nicht zuzunehmen. Das reichte meiner Mom allerdings nicht. Ihr wäre es am liebsten, ich würde auf Frühstück und Abendessen verzichten, um ja kein Gramm zuzulegen. Dabei hatte ich nie mit Übergewicht zu kämpfen gehabt, ganz im Gegensatz zu Mom. Sie hatte als Jugendliche zu viel auf den Rippen gehabt. Vielleicht hatte sie deshalb solche Panik, wenn es um mein Gewicht ging. Es war sehr mühsam für sie gewesen, so dünn zu werden, wie sie es jetzt war. Meine Mutter hatte mit Gewichtsproblemen gekämpft, bis sie Dad traf und ihr die Meinung anderer wichtiger wurde, als ihre Liebe zu Schokolade und Co.

      Ich widmete mich lieber Liliane, meiner kleinen Schwester. Sie war wie ich mit einem flachen Bauch gesegnet. Dennoch passte sie nicht ins Familienbild. Sie hatte das Aspergersyndrom, weshalb sie von meinen Eltern vor der Gesellschaft versteckt und privat unterrichtet wurde. Das war auch der Grund, warum Mom immer zuhause war. Ganz verstehen konnte ich das Verhalten meiner Familie nicht. Ich liebte meine Schwester und auch, wenn sie manchmal eigenartig auf alltägliche Situationen reagierte, hielt ich sie für das süßeste Mädchen, das ich kannte. Mit ihren acht Jahren war sie schon schlauer als viele, die doppelt so alt waren wie sie. Aber was tat man nicht, um die Nachbarn glauben zu lassen, man hätte ein hoch begabtes, statt ein in ihren Augen fehlerhaftes Kind? Richtig: alles.

      Mom hatte ihren Job gekündigt, die Putzfrau und die Köchin entlassen und traf ihre Freundinnen nur noch außer Haus, wenn Lilly Unterricht bei ihrer Lehrerin hatte. Die war sogar dazu gezwungen gewesen, eine Verschwiegenheitsklausel zu unterschreiben, bevor sie anfangen durfte.

      »Hörst du mir überhaupt zu, Isabella?«, unterbrach Mom meinen Gedankengang und klopfte neben mir auf den Tisch.

      »Entschuldige, was hast du gesagt?«, fragte ich, aß etwas von den Pancakes und schenkte mir ein Glas Milch ein.

      »Ich habe dich gefragt, ob du schon mit Emilia gesprochen hast. Schrecklich, was da passiert ist.«

      ›Ja, wahnsinnig schrecklich‹, dachte ich sarkastisch.

      Emilia war seit Jahren meine beste Freundin oder das, was dem am nächsten kam. Wahrscheinlich, weil wir sehr ähnlich aufwuchsen und unsere Eltern zusammen arbeiteten. Ihr Vater war ein Spitzenanwalt in einer Kanzlei, die meinem Dad gehörte. Wir hatten praktisch keine andere Wahl, als uns anzufreunden, immerhin spielten wir bereits im Sandkasten zusammen. Trotzdem wusste ich, dass unsere Beziehung eher einer Zweckgemeinschaft glich. Ich war in der Schule beliebt und nahm Emilia auf jede Party mit, sodass sie ebenfalls zu den Coolen gehörte. Dafür war Emilia immer an meiner Seite und ich lief nie Gefahr, allein zu sein.

      »Sie hat ein C in Geschichte geschrieben und keinen Unfall gehabt, Mom«, antwortete ich genervt und stellte die Milch wieder in die Mitte des Tisches, woraufhin Lilly anfing zu kreischen.

      Verdammt! Ich hatte das Päckchen auf einen anderen Platz zurückgestellt und das mochte meine Schwester absolut nicht. Schnell verschob ich die Milch an die richtige Stelle und streichelte Liliane über den Arm, um sie zu beruhigen. Sie war nicht anstrengend, aber sie hatte ihre Eigenheiten und eine davon war, dass jedes Lebensmittel seinen Platz am Tisch hatte, weil sie sonst durcheinander kam.

      »Wenn du mich fragst, ist ein C genauso schlimm, Isabella«, konterte Mom und ich musste den Drang unterdrücken, die Augen zu verdrehen.

      »Was ist, wenn ich ab jetzt nur noch Cs nach Hause bringe? Oder Ds? Hast du mich dann nicht mehr lieb?«, wollte ich wissen und aß ein weiteres Stück meiner Pancakes, während ich auf das Urteil meiner Eltern wartete, das prompt kam.

      »Du bist keine C-Kandidatin, Isabella. Du bist für mehr bestimmt«, wiederholte Dad die Floskel, die ich schon kannte, seit ich allein aufs Töpfchen gehen konnte.

      Bei Dad wusste ich, dass er nur Moms Worte wiedergab, aber Mom glaubte den Schwachsinn wirklich, das sah ich an ihrem Gesichtsausdruck. Zwischen ihren gezupften Augenbrauen hatte sich eine Falte gebildet und ihre Lippen waren gespitzt.

      Diese Diskussionen waren gefährlich, weil sie zu Konflikten führten, die ich nie gewann und am Ende arbeitete ich nur noch härter. Trotzdem hätte ich das Gespräch gerne weitergeführt, um zu erfahren, ob meine Mom mir knallhart sagen würde, dass ich dann nicht mehr ihre Tochter wäre, doch es hupte vor der Tür, bevor ich zu einer Erwiderung ansetzen konnte. Ich liebe dich, Em! Eilig stopfte ich mir noch zwei Bissen in den Mund und packte meine Sachen zusammen. Ich verabschiedete mich von meiner Familie, wobei ich Lilly, die mit einem ihrer zwei blonden Zöpfe spielte, wie jeden Morgen genau zwei Mal auf den Scheitel küsste. Meine Schwester mochte Routine. Es war eine ihrer Macken, die ich so sehr an ihr liebte, weil ich bei ihr immer Ruhe und Struktur fand, egal, wie chaotisch mein Leben gerade war.

      Kapitel 2

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