Meine Seele gehört dir. Lisa Lamp

Meine Seele gehört dir - Lisa Lamp


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ich Emilia, die mich jeden Montag und Mittwoch zur Schule abholte. Ihre langen braunen Haare streiften das Lenkrad und glitzernde grüne Augen zwinkerten mir zu, als ich zu ihr in das Fahrzeug stieg und sie den ersten Gang einlegte.

      »Bereit für einen neuen Tag in der Hölle?«, erkundigte sich Em belustigt und meine Stimmung hob sich.

      Emilia war, trotz der vielen Nachhilfestunden, schlecht in Mathematik, weil sie den logischen Zusammenhang nicht nachvollziehen konnte. Deshalb hatte sie angefangen, die Schule, die sie einst geliebt hatte, jeden Tag mehr zu hassen. Der Druck, immer zu den Besten gehören zu müssen, hatte ihren Hass weiter geschürt und das Verhältnis zu ihrer Mom zerstört, die ihr ähnlich wie meine eigene Erzeugerin alles abverlangte.

      Aber auch in unserer Freundschaft war durch Ems schlechte Leistungen ein Knick entstanden. Je schlechter ihre Noten wurden, desto mehr hatte Emilia das Gefühl, sich mit mir messen zu müssen, auch wenn es nur um Banalitäten ging, wie, wer früher seinen ersten Kuss erlebte oder wer schneller die neue Handtaschenkollektion im Schrank hatte. Em war bei allem die Erste und das schien ihr Selbstwertgefühl zu stärken. Obwohl es mich manchmal nervte, war es mir das wert, sie an meiner Seite zu haben.

      Lachend nickte ich und Em fuhr los, wobei sie immer fünf Meilen oberhalb der Geschwindigkeitsbegrenzung lag. Sie war eine vorsichtige Fahrerin und hatte noch nie einen Unfall verursacht, doch sie wurde mindesten zweimal in der Woche wegen überhöhter Geschwindigkeit angehalten. Kein Polizist würde der Tochter des Staranwalts deshalb den Führerschein wegnehmen, aber es hagelte saftige Geldstrafen, über die Em sich freute. Sie legte es darauf an, ihren Dad zu verärgern, um wenigstens ein paar Minuten am Tag von ihm beachtet zu werden.

      Kurze Zeit später kamen wir, mit Kaffee vom nächsten Supermarkt bewaffnet, bei der einzigen Schule im Ort an. Wie vor jedem klassischen Schulgebäude wuselten auch bei uns die Schüler umher und versuchten, zu ihrem Spind zu gelangen oder noch einmal die Vokabeln, die in der nächsten Stunde geprüft werden würden, zu wiederholen.

      Sobald ich aus dem Auto stieg, begann mein ganzer Körper zu zittern. Kälte kroch in meine Knochen und ich musste die Jacke enger um meine Schultern ziehen. Frustriert kniff ich meine Augen zusammen und setzte meine Sonnenbrille auf, während ich mich wieder einmal über das Wetter ärgerte. Wir befanden uns mitten im Winter, aber die Sonne schien brutal auf uns hinab und kündigte den nahenden Frühling an. Schnell rannten wir über den Vorhof und wollten schon ins Gebäude gehen, um uns vor den eisigen Temperaturen in Sicherheit zu bringen, als ein lauter Krawall unsere Aufmerksamkeit auf sich zog. Auf dem Parkplatz schlugen zwei Jungs, die nicht älter sein konnten als Em und ich, aufeinander ein. In der Nähe stand ein Mädchen mit einem hinterhältigen Grinsen im Gesicht und ergötzte sich sichtlich an der Situation. Ihre Lippen waren belustigt verzogen, sie wickelte eine Strähne um ihren Finger und hob arrogant das Kinn, als wollte sie damit beweisen, dass sie großartig genug war, sodass sich zwei Kerle um sie zankten. Widerlich.

      »Diesmal bist du zu weit gegangen, Gonzalez«, rief der Hüne mit braunem Haar und boxte seinem Gegner in die Magengegend.

      Alejandro Gonzalez zahlte es seinem Angreifer heim, indem er ihm direkt ins Gesicht schlug und einen Tritt gegen das Schienbein verpasste.

      »Komm runter, Alter. Ich habe deine Freundin nicht angefasst«, verteidigte der Schwarzhaarige sich und wäre die Situation nicht so ernst gewesen, hätte ich gelacht.

      Alejandro fickte jede, die sich ihm anbot. Er war ein Casanova, der alles vögelte, was nicht bei drei auf den Bäumen war. Die Frauen lagen ihm zu Füßen, rannten ihm regelrecht hinterher, denn sie fanden ihn atemberaubend. Auch ich musste zugeben, dass der Latino mit den braunen Augen, die an flüssige Schokolade erinnerten, nicht zu verachten war, wenn man seinen miesen Charakter außer acht ließ.

      Kurz vor meinem sechzehnten Geburtstag hatte ich mich Hals über Kopf in ihn verliebt. Naiv wie ich damals war, hatte ich ihm sogar meinen ersten Kuss geschenkt. Am Tag danach hatte er kaum ein Wort mit mir gesprochen. Ich war am Boden zerstört gewesen.

      Natürlich hatte ich versucht, mit ihm zu reden, aber ab diesem Tag hatte er mich geschnitten und sich für immer verändert. Er fing an, sich zu prügeln, zu rauchen und jeden Tag eine andere Schnalle abzuschleppen. Lange hatte ich dabei zugesehen und mir gewünscht, die Zeit zurückdrehen zu können, weil ich dachte, ich hätte etwas falsch gemacht. Doch irgendwann hatte ich die Hoffnung aufgegeben und mein Leben weitergelebt. Na gut, nicht irgendwann, sondern nachdem Alejandro beschlossen hatte, so gut wie jedes Mädchen auf der Schule zu vögeln und anschließend wegzuwerfen. Seitdem hatte ich nur noch negative Gefühle in Bezug auf Alejandro, die leider manchmal mit mir durchgingen, wenn wir aneinandergerieten.

      Wieder prügelte Alejo auf das Gesicht seines Gegners ein, der einfach nicht aufhörte, ihn zu beleidigen. Ein widerwärtiges Geräusch war zu hören, als die Nase des Hünen brach und Blut aus seinen Nasenlöchern spritzte. Die umstehende Masse riss schockiert die Augen auf, außer ein paar Anfeuerungsrufen schritt jedoch niemand ein, um den Kampf zu beenden. Das Blut des Verletzten verteilte sich auf den Kontrahenten und immer wieder knallte einer von ihnen auf den harten Boden.

      Allein vom Zusehen hatte ich schon Schmerzen. Wie mussten sich die Kämpfenden erst fühlen?

      Ein weiteres Knacken erklang, aber ich konnte nicht erkennen, welcher Knochen in Mitleidenschaft gezogen oder welcher der beiden verletzt wurde. Fäuste flogen durch die Luft, Kinnhaken wurden ausgetauscht und zur Krönung trat Alejo seinem Angreifer in den Schritt. Der Hüne fluchte und verzog schmerzhaft das Gesicht, bevor er sich erneut brüllend auf Alejo stürzte, der unfaire Mittel nutzte, um schnellstmöglich aus dem Kampf herauszukommen. Sicher nicht, um in den Unterricht zu gehen, wahrscheinlicher war eher, dass er sich die nächste halb nackte Schülerin suchen würde, deren Freund ihm morgen eins aufs Maul hauen wollte.

      »Hört sofort auf mit dem Schwachsinn oder ich hole die Rektorin«, schrie ich, als der Hüne nun seinerseits anfing die Nase von Alejo zu bearbeiten, der seine Arme erhoben hatte, um sein kantiges Gesicht zu schützen.

      Sein Kinn war bereits rot verfärbt. Bestimmt würde die Stelle anschwellen.

      Verärgert starrten mich die Schaulustigen an, doch ich hatte nur Augen für die Streitenden, die ihre Zurschaustellung von Muskelkraft unterbrochen hatten.

      »Was mischst du dich überhaupt ein, Streberin?«, zischte Alejandro und tastete seine Rippen auf Verletzungen ab.

      »Wenn zwei testosterongesteuerte Halbwüchsige ihre primitiven Konfliktlösungsversuche vor der ganzen Schule austragen, kann ich als Schulsprecherin nicht wegsehen. Stellt euch vor, jemand schaut sich euer inkompetentes Verhalten ab und wird auch zum Vollpfosten!«, verteidigte ich mich und setzte ein selbstbewusstes Grinsen auf, obwohl ich mich alles andere als das fühlte.

      Alejandros Blick ließ meine Knie weich werden und ich spürte, wie mein Mund trocken wurde. Seine Augen strahlten mich an und seine geröteten Wangen ließen ihn verboten gut aussehen. Obwohl mein Verstand Alejo abgrundtief hasste, schien mein Herz das noch nicht begriffen zu haben. Es pochte in meiner Brust und ich verdankte es der Kälte, dass niemand sich fragte, warum ich plötzlich rot anlief.

      »Entschuldigen Sie bitte, Eure Königliche Hoheit, dass wir keinen roten Teppich ausgerollt haben, als Sie uns mit Ihrer Anwesenheit beehrt haben«, konterte er und deutete eine Verbeugung an, die ihn wie einen Butler aus dem achtzehnten Jahrhundert wirken ließ. Fehlten nur noch der Anzug und die weißen Handschuhe.

      Sein Gegner war schon längst im Hintergrund verschwunden und wieder mal hieß es Alejandro gegen Isabella. Auch wenn ich peinlichst darauf achtete, mich nicht in Alejos Nähe aufzuhalten, kam es zwischendurch immer wieder zu Auseinandersetzungen der unangenehmen Art. Selbst wenn ein Gespräch normal startete, endete es, wie gerade eben, in einer Katastrophe.

      »Eure Hoheit?«, wiederholte ich angesäuert und bahnte mir einen Weg durch die Schüler, die mir bereitwillig Platz machten.

      Sie erwarteten eine große Show und leider bekamen sie diese meist geliefert, wenn der Schulcasanova und ich uns gegenüberstanden. Das Lächeln auf meinen Lippen war verrutscht und nun zierte eine ausdruckslose Maske mein Gesicht, während es in meinem Hirn ratterte.


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