NachtTaxi. Thorsten Amrhein

NachtTaxi - Thorsten Amrhein


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Dummkopf sein? In Anbetracht des sich anbahnenden sexuellen Abenteuers steigert sich meine Erregung immer weiter, je näher der erwartete Anruf kommt.

      Gegen 4 Uhr klingelt tatsächlich mein Handy und Natascha bestellt mich zu der Disko, an der ich sie abgeliefert habe. Als ich ankomme, verabschiedet sie sich gerade von ihren beiden Freunden. Als sie mich bemerkt, beeilt sie sich einzusteigen. Wir sitzen nun allein im Taxi und ihre Lockerheit von der Hinfahrt ist verschwunden. Wir führen die Fahrt über einen belanglosen Smalltalk, unterbrochen von Phasen peinlicher Stille. Es kommt mir vor, als habe sie Angst vor ihrer eigenen Courage bekommen. »Es waren nur ganz junge Leute in der Disko«, greift sie das zum Erliegen gekommene Gespräch wieder auf, »die hätten alle meine Kinder sein können! Kennst du nicht eine gute Möglichkeit zum Tanzen für etwas reifere Leute?« Nach einigem Nachdenken nenne ich ihr zwei Locations. »Wie oft gehst du abends weg?«, erkundigt sie sich umgehend. Als ich nicht gleich antworte, mutmaßt sie sofort: »Wahrscheinlich nur einmal im Jahr«, womit sie gar nicht so falsch liegt und mir erneut ein Schmunzeln ins Gesicht zaubert. Wir machen noch einen kurzen Zwischenstopp an einer Tankstelle, um Zigaretten zu holen. Schließlich stehen wir vor ihrer Wohnung, sie bezahlt und nun bin ich gespannt, ob alles nur ein Spielchen war oder ob sie es ernst gemeint hat.

      »Jetzt kommst du aber noch mit rein, auf einen Kaffee.«

      »Eigentlich muss ich noch mindestens zwei Stunden arbeiten.«

      »Ach komm schon, dann fährst du danach eben noch ein bisschen.«

      »Na gut«, gebe ich mir einen Ruck.

      »Ich weiß, was du jetzt denkst«, sagt sie beim Betreten ihres Flures.

      Wir gehen in die Küche.

      »Oh, hier sieht es etwas unordentlich aus. Wir haben vorhin zu Abend gegessen.« Sie räumt den Tisch ab, ich lege meine Jacke ab und setze mich.

      »Bist du nervös? Du brauchst keine Angst zu haben.«

      »Nein, nein«, lüge ich schnell. Sie macht mir einen Kaffee und schaltet das Radio mit einiger Mühe ein, da es sich im obersten Fach ihres Küchenregals befindet. Sie setzt sich mir direkt gegenüber und zündet sich eine Zigarette an.

      »Ich bin verheiratet und habe zwei Söhne. Der Große ist 18, der Kleine sechs«, legt sie gleich alle Karten auf den Tisch. »Mein Mann ist in Kanada«, schiebt sie leicht vorwurfsvoll nach.

      »Was macht er denn beruflich?«, frage ich.

      »Er ist selbstständig und muss sehr viel reisen.«

      Dann gibt sie mir zu verstehen, dass sie eigentlich einen wunderbaren Mann hat und alles in Ordnung ist, bis auf die Tatsache, dass er meist nicht zu Hause ist.

      »Da wir beide verheiratet sind«, sagt sie, »gibt es keine gemeinsame Zukunft für dich und mich. Es wäre also nur eine Affäre.« So versucht sie, eventuelle Ängste meinerseits, dass sie mehr als ein Liebesabenteuer will, abzubauen. Auch bei ihrem Alter schummelt sie nicht: »Ich bin vierzig«, sagt sie frei heraus, »und wie alt bist du?«

      »37«

      »Ich bin Ausländerin, in Russland war ich Lehrerin. Hier in Deutschland konnte ich meinen Beruf leider nicht weiter ausüben. Ich verstehe alles sehr gut, nur mein Sprechen ist nicht perfekt.«

      »Ich finde, du sprichst sehr gut deutsch.«

      »Aber anscheinend nicht gut genug für eine Anstellung als Lehrerin in Deutschland. Daher bin ich nun schon lange Hausfrau. Nun erzähl mal was von dir. Wie lange bist du schon Taxifahrer?«

      »Sieben Jahre.«

      »So lange schon? Was hast du vorher gemacht?«

      »Ich bin eigentlich Bauingenieur.«

      »Oh, du bist nicht dumm«, ist sie überrascht, »ja es ist im Moment bestimmt schwierig, eine Arbeit zu finden.« Sie setzt wie selbstverständlich voraus, dass ich auch als Ingenieur arbeiten will und so breite ich ihr meine Lebensphilosophie aus. »Ich brauche nicht viel Geld, Luxus interessiert mich nicht, ich habe dafür lieber mehr Zeit, um über das Leben und die Welt nachzudenken. Taxi fahren ist für mich der ideale Job, weil ich sogar während der Arbeitszeit, nämlich in der Wartezeit zwischen zwei Fahrten, meinen Interessen nachgehen kann: Philosophie, Astronomie, Quantenmechanik, Schach. Ich bin mit meinem Leben, so wie es ist, sehr zufrieden.«

      Dafür kann sie erwartungsgemäß, wie die meisten Menschen, kein Verständnis aufbringen und versucht mir sogar zu zeigen, dass ich mir etwas vormache. Ich merke immer deutlicher, dass wir so gar nicht auf der gleichen Wellenlänge liegen. Wir diskutieren noch einige Zeit weiter, bis sie wieder auf den eigentlichen Grund unseres Treffens hinarbeitet.

      »Ich bin keine fünfundzwanzig mehr, aber ich fühle mich noch jung, nur mein Körper ist es nicht mehr. Das ist mein Problem. Im Herzen bin ich noch ein junges Mädchen. Wo ist die schöne Zeit geblieben?«, fragt sie wehmütig.

      Anstatt ihr in irgendeiner Form Komplimente zu machen, was sie wohl erhofft hat, versuche ich sie zu trösten: »Ja, da müssen alle Menschen durch. So ist das Leben nun mal. Männer haben es da allerdings leichter mit dem Älterwerden. Bei Frauen achtet man leider nur aufs Äußere.« Sie unterbricht mich mit einer kreisenden Handbewegung: »Ja, immer weiter so, sprich dich nur aus.« Da merke ich erst, dass ich auf dem falschen Dampfer bin und kann meinen aufkommenden Lachreiz nur mit Mühe zu einem Lächeln abmildern: »Nein, nein, so habe ich das nicht gemeint.«

      »Ich gefalle dir nicht«, stellt sie fest.

      Sie schreibt mir unaufgefordert ihre Handy- und Festnetznummer auf. »Wir können uns ja mal zu viert treffen: Du und deine Frau und ich und mein Mann«, schlägt sie vor.

      »Ja, das könnten wir mal machen«, erwidere ich zögernd. Sie bemerkt sofort mein Erstaunen und die Unschlüssigkeit in meiner Stimme. Ich kann mir auf ihren Vorschlag auch keinen Reim machen.

      »Ja. Ja. Du sagst immer nur Ja! Sag doch mal was du denkst!«, fährt sie mich an. Ich bemerke immer wieder ihre unterschwellige Verachtung gegenüber den »typischen« Männern. Diese Grundeinstellung hat bei ihr vielleicht dazu geführt, Männer nur noch als reine Sexobjekte zu betrachten, da man sie wohl ihrer Meinung nach sowieso zu nichts anderem gebrauchen kann.

      »Ich bin dir zu alt.« Dabei blickt sie mich durchdringend an, als wolle sie sagen, dass ich nichts vor ihr verheimlichen könne und sie längst den wahren Grund erkannt habe, warum wir immer noch nicht zusammen im Bett sind.

      »Nein. Deine Augen sind noch ganz jung«, versuche ich ihr zu schmeicheln, aber ihr folgender Blick gen Himmel heißt so viel wie: »Spar dir deinen Schmäh und sei endlich ehrlich«.

      Auf einmal fällt ihr das schreckliche Hintergrundgedudel auf. »Mein Gott, was ist denn das? Deutsche Schlagermusik!« Beim Versuch, eine CD in ihrem HiFi-Gerät zum Laufen zu bringen, muss sie auf ihren Stuhl steigen. Dabei stürzt sie fast herunter. Ich kann gerade noch aufspringen und sie stabilisieren – die erste gänzlich unerotische Berührung meinerseits. Sie ist nicht mehr nüchtern, aber noch klar bei Verstand. Ich bin mir nicht sicher, ob es Berechnung war oder ob sie wirklich Gleichgewichtsprobleme hatte.

      »Willst du etwas Wein probieren?«, fragt sie.

      »Ich rauche nicht und trinke normalerweise weder Alkohol noch Kaffee.«

      »Das ist nicht normal!«, ruft sie entsetzt aus, »was magst du denn?« Ich überlege für ihren Geschmack zu lange. »Ja ich weiß schon, Lesen und so. Aber was sonst noch?«

      »Ich kann mich bei Süßigkeiten und Chips nicht zurückhalten. Aber Alkohol schmeckt mir erstens nicht und zweitens werde ich nur müde, egal wie viel ich trinke.«

      »Koste doch mal meinen Rotwein«, ignoriert sie meine Erklärung. »Ich möchte mich nur noch einmal richtig …« Sie beendet den Satz nicht und guckt mir nur in die Augen. Während ich, wegen des – womöglich mit Vorsatz, vielleicht aber auch nur wegen ihrer inneren Hitze – geöffneten Fensters vor mich hinzittere, nimmt sie meine Hand und streichelt zärtlich über meine Finger: »Oh, dir ist kalt. Du hast so schöne lange Finger.«

      In


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