NachtTaxi. Thorsten Amrhein

NachtTaxi - Thorsten Amrhein


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mich beherrschen und versuche den Rückzug vorzubereiten:

      »Du bist mir wirklich sympathisch«, sage ich mittlerweile nicht mehr ganz wahrheitsgemäß.

      Sofort schießt sie dazwischen: »Sympathisch, sympathisch! Mein Nachbar oder meine Putzfrau oder sonst noch tausende von Leuten sind mir auch sympathisch!« Ich bin abermals erstaunt über ihre barsche Reaktion.

      »Für mehr braucht es nun doch etwas länger«, entgegne ich. Ja was erwartet sie denn? Soll ich ihr nach einer Stunde meine große Liebe gestehen? Oder ganz im Gegenteil sagen, dass ich sie nur bumsen will? Sie will wahrscheinlich wirklich nur sexuell begehrt werden, sich jung und attraktiv fühlen.

      »Oh diese deutschen Männer sind so kompliziert!«, ruft sie hilflos aus. »Willst du oder willst du nicht?«

      »Ich will schon«, sage ich halbherzig, »aber ich bin mir unsicher, ob ich es wirklich machen soll. Ich weiß, dass ich dieses Abenteuer nie vergessen würde. Aber ist es das wert, dafür meine Ehe aufs Spiel zu setzen?«

      »Liebst du deine Frau?«

      »Ja. Sie hat mir auch mehrmals klar gemacht, dass es das Schlimmste für sie wäre, wenn ich fremdginge. Bekäme sie es heraus, könne sie mir unter keinen Umständen verzeihen.«

      »Ich werde dich zu nichts zwingen, nicht ins Bett zerren und dich vergewaltigen. Ich sage dir nur: Ich will dich! Ich meine nicht Sex. Das kann, muss aber nicht sein. Ich will deinen Körper spüren.«

      Nach weiteren, anscheinend nicht deutlich genug gewordenen Versuchen meinerseits, mich langsam zu verabschieden, startet sie ihre Schlussoffensive.

      »Jetzt ist es gleich 6 Uhr und deine Schicht ist um.«

      »Ja, aber gerade deshalb müsste ich noch etwas fahren, weil ich jetzt so viel Zeit, sprich Geld, verloren habe. Mein Chef wird sich über den schwachen Umsatz sicherlich nicht freuen.«

      Ohne auf meinen Einwand zu reagieren, fährt sie fort: »Was möchtest du machen? Willst du dich erst mal duschen? Du kannst dich dann hier schlafen legen, mit mir oder ohne mich, wie du willst.«

      »Aber meine Frau wartet auf mich. Es tut mir leid. Es liegt wirklich nicht an dir.« Ich ziehe mir langsam die Jacke an, stehe auf und gehe zur Eingangstür. Sie folgt mir wortlos. An der bereits von mir geöffneten Tür streichele ich ihr noch tröstend den Arm. Aber sie will kein Mitleid. Sie nimmt es natürlich sehr persönlich und denkt bestimmt: »Wäre ich zehn Jahre jünger, hätte er mich garantiert nicht abgewiesen«.

      Falls der eine oder andere Leser an der Telefonnummer Interesse haben sollte, so muss ich ihn leider enttäuschen: Meine Frau hat mit einem gefährlichen Blitzen in ihren Augen die betreffende Seite aus meinem Notizbuch gerissen, sie mit wütendem Schwung in die Toilette geworfen und heruntergespült.

      Meine Weggefährten

      Zwei Damen, die zweifellos schon vor über einem halben Jahrhundert das Licht der Welt erblickt haben, steigen in meinen Wagen ein. Sie haben keine Kosten und Mühen für die Instandhaltung ihrer vergänglichen Hülle gescheut. Ihr reichlich gefülltes Bankkonto tragen sie mit aufwendiger Frisur, Make-up und Garderobe zu Markte.

      Zunächst fällt mir nur der Gegensatz zwischen ihrer imposanten äußeren Erscheinung und ihrem niedrigen sprachlichen Niveau auf. Die beiden sind eine seltsame Mischung aus feinen Gesellschaftsdamen und Kneipenwirtinnen. Als ich, durch diese Seltsamkeit wachgerüttelt, genauer hinsehe, entdecke ich jedoch auch innerhalb des Äußerlichen und Sprachlichen eine Widersprüchlichkeit. Meine Nachbarin hat etwas zu viel des Guten auf ihr Gesicht aufgetragen, das deshalb ein bisschen vulgär wirkt. Andererseits hat das Gespräch durchaus etwas von einer gepflegten Konversation gehobener Kreise.

      Meine Begleiterinnen erscheinen mir als seltsame Zwitterwesen: Entweder haben sie sich zu den Abgründen der Vulgarität herabgelassen, oder sie sind aus ihnen aufgestiegen – dabei allerdings auf halbem Weg steckengeblieben. Ich kann weder feststellen, woher sie kommen, noch einschätzen, welcher Schicht sie sich momentan mehr verbunden fühlen.

      Nach einigen Minuten unterbricht die schräg hinter mir sitzende Dame das Gespräch mit ihrer Bekannten: »Wo sind wir hier eigentlich?« Noch ehe ich antworten kann, verrät sie plötzlich ihre erotischen Fantasien: »Stell dir vor, der Taxifahrer fährt uns in irgendeine verlassene, dunkle Gegend und vergewaltigt uns dann beide!«

      »Das schafft er nicht«, sagt meine Beifahrerin.

      »Und wenn doch?«

      »Ach, zwei alte Frauen wie wir …«

      »Ich bin erst 45!«

      »Wie viele Jahre eigentlich schon?«

      »Na gut, du hast mich erwischt: Ich bin schon 47. Ja, ja, da ist der Ofen aus.«

      »Wie sollten wir das unseren Freunden erklären, wenn wir eine halbe Stunde später mit auf Halbmast hängendem Schlüpfer, aufgeknöpfter Bluse und verschmiertem Gesicht erschienen?«

      »Wir müssten dann wohl die Wahrheit sagen: ›Wir sind vergewaltigt worden – aber schön war’s!‹« Beide freuen sich köstlich.

      »Wir zahlen dann natürlich keinen Cent. Der Taxifahrer hat ja dafür seinen Spaß gehabt. Eigentlich müssten wir etwas bekommen.«

      »Jeder am besten 100 Euro, das wäre wohl angemessen.«

      »So lustige Gäste haben Sie nicht jeden Abend, wie?«

      »Nur wenn ich getrunken habe fange ich an wie ein Wasserfall zu reden. Sonst bin ich ganz still.«

      »Sie können bestimmt ein Buch schreiben von Ihren Erlebnissen. Ich habe schon einen Titel für Sie: Meine Weggefährten. Merken Sie sich den Titel.«

      Die Dame hinter mir verabschiedet sich mit einem raffinierten Fluch, der hiermit in Erfüllung gegangenen ist: »Versuchen Sie mich zu vergessen – es wird Ihnen nicht gelingen!«

      Filmreife Szene

      Eine Menschentraube steht vor einem Chinarestaurant, die Asiaten diskutieren laut miteinander und gestikulieren wild dabei. Ich nähere mich im Schritttempo.

      Als eine junge Asiatin mein Taxi sieht, löst sie sich sofort von der Gruppe, kommt zu mir herüber und öffnet die Beifahrertür. Sie bleibt aber draußen stehen und spricht erregt mit den anderen, die ein Stück näher an mein Taxi herangerückt sind. Ich kann kein Wort verstehen, sie sprechen chinesisch für mich. Der Lautstärkepegel nimmt stetig zu, ein heftiger Streit ist im Gange. Zeitweise schreien alle Beteiligten durcheinander. Ich warte mindestens fünf Minuten, doch der Disput scheint kein Ende zu nehmen. Das Mädchen macht keine Anstalten, sich ins Taxi zu setzen, während sie zur Menge gewandt immer verzweifelter spitze Laute hervorstößt.

      Plötzlich springt sie blitzartig auf den Sitz, schlägt die Tür zu und sagt aufgeregt: »Bitte schnell, Türen zu machen! Fahren Sie!« Während ihrer Worte kommt es neben meinem Taxi zu einem Tumult, irgendjemand wird von den anderen zurückgehalten. Ich suche nach dem Knopf für die Zentralverriegelung, kann ihn aber nicht finden. Dieses ältere Mercedes-Modell besitzt anscheinend gar keinen.

      Als ich anfahre, reißt jemand aus der Menge die Wagentür hinten rechts auf. Meine Beifahrerin schreit laut auf: »Neiiiinnn! Fahren Sie, schnell, schnell!« Die Verzweiflung der jungen Frau veranlasst mich zu einem Kick down, die alte Mercedesautomatik kommt aber nicht in die Gänge. Der junge Mann streckt bereits einen Fuß ins Taxi. Die Angst des Mädchens überträgt sich auf mich. Ich fühle mich plötzlich selbst in Gefahr und gebe ohne Rücksicht auf Verluste weiter Vollgas, ich will ihn abschütteln. Der Mann greift mit einer Hand an die halb geöffnete Tür, mit der anderen klammert er sich an den Türrahmen, eines seiner Beine hat er schon im Auto untergebracht, mit dem anderen hüpft er auf dem Asphalt hinterher. Mit letzter Kraft hechtet er auf die Rückbank. Ich stoppe.

      Die anderen Asiaten rücken nach und der Streit geht munter weiter. Das Mädchen schreit nun im Auto mit vermutlich ihrem Freund auf der Rückbank. Sie scheint vor ihm eine panische Angst zu haben. Nach einer Weile fleht sie mich


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