Wagnisse in aller Welt. Egon Erwin Kisch

Wagnisse in aller Welt - Egon Erwin Kisch


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durch brei­te Grä­ben von ihr ge­schie­den, führt fest­ge­stampft ent­lang, doch ist die auf­re­gen­de Ju­gend­lek­tü­re von Ver­fol­gun­gen da­von­ja­gen­der Wüs­ten­räu­ber über Salz- und Sand­ge­län­de nicht ohne nach­hal­ti­gen Ein­druck ge­blie­ben, und man muss die Ge­fahr ver­kos­ten. Der Hengst scheint gleich­falls sei­nen Karl May ge­le­sen zu ha­ben, er will nicht über den Gra­ben, er bockt, ihm das Zau­ber­wort »Rih« ins Ohr zu flüs­tern oder die Sure des To­des auf­zu­sa­gen wür­de kaum et­was fruch­ten, selbst die wü­tends­ten Fer­sen­hie­be fruch­ten ja nichts, er bockt nur.

      Erst die nie­der­klat­schen­de Nil­pferd­peit­sche zwingt ihn zum Sprung. Jetzt saust er mit damp­fen­den Nüs­tern, als be­fürch­te er, die Geis­ter, die da un­ten woh­nen und ihre sil­ber­grau­en Köp­fe em­por­stre­cken, könn­ten ihn an den Fes­seln pa­cken und hin­ab­zie­hen in den schlam­mi­gen Sand, den san­di­gen Schlamm. Oh­ne­hin sin­ken trotz des tol­len Ga­lopps die Pfer­de­hu­fe tief, tief in den Bo­den.

      Den zwei­ten Satz über den Stra­ßen­gra­ben, den auf den si­che­ren Weg zu­rück, tut der Gaul wil­lig, es be­darf kei­nes Fer­sen­hiebs und nicht der Nil­pferd­peit­sche, noch wei­ter­hin bebt Un­ru­he un­ter dem Sat­tel, sie legt sich erst, bis das Reich der Flit­ter­ge­spens­ter auch rechts und links ver­schwun­den ist und die ver­trau­te Wüs­te­ne­be­ne wie­der be­ginnt.

      Nach ei­ner Stun­de spren­gen von der Wel­le am Ho­ri­zont zwei Rei­ter her­an. Das Pferd des einen ist ein Schim­mel, pracht­voll auf­ge­zäumt, die Steig­bü­gel sind Häu­schen aus ge­trie­be­nem Sil­ber, Tur­ban und Haïk des Rei­ters aus Sei­de und der Bur­nus aus gold­be­stick­tem blau­em Stoff.

      Er grüßt und fragt, wo­hin man rei­te. Denn er ist der Kaid der nächs­ten Stadt und be­sorgt, man könn­te ein In­spek­tor der Ver­wal­tung oder ein Steu­er­kon­trol­leur sein. Man ist we­der ein In­spek­tor der Ver­wal­tung noch ein Steu­er­kon­trol­leur, was der Kaid er­leich­tert hört. Er hat beim Mi­li­tär­kom­man­dan­ten zu tun, des­halb der ras­sigs­te Schim­mel­hengst und das fest­lichs­te Zaum­zeug, die Of­fi­zie­re wer­den al­les nei­disch mus­tern, die­weil sein Dai­ra das Ross vor dem Tor am Zü­gel hält. Im Üb­ri­gen wünscht er gute Rei­se, wor­auf man er­wi­dert, ihn (der sich so­wie­so be­rei­chert) möge Gott be­rei­chern, Al­lah jer­ze­kek.

      Rast im Ne­ger­dorf. Die Kin­der ha­ben kaum je­mals einen Wei­ßen ge­se­hen, wie es scheint, nur sel­ten ein Pferd. Sie schrei­en ein­an­der ihre Be­mer­kun­gen über den Fremd­ling zu, un­be­küm­mert dar­um, dass man sie ver­ste­hen kön­ne – ver­steht doch nicht ein­mal ein Ara­ber die Spra­che der Ruar­ha, der schwar­zen Mu­sel­ma­nen.

      Drei­jäh­ri­ge, vier­jäh­ri­ge Mäd­chen, alle an der Schlä­fe tä­to­wiert, kni­en auf der Stra­ße, die Ärm­chen in den Staub stüt­zend, denn auf ih­rem Rücken ist eine Last fest­ge­bun­den: ein Säug­ling. Der schläft. Flie­gen krie­chen ihm in die Na­sen­lö­cher, in die Au­gen und in den Mund, ohne ihn zu we­cken. Auch die, die wach sind, Er­wach­se­ne und Kin­der, stört es nicht, wenn auf ih­rem Ge­sicht dich­te Flie­gen­schwär­me schmau­sen, kei­ne Hand­be­we­gung ver­scheucht sie.

      Wie elend ist die­ses Dorf. Die en­gen Gas­sen sind manch­mal über­wölbt, manch­mal auch un­ten zu­sam­men­ge­scho­ben, wo sich die Lehm­hüt­ten zu ei­ner Art Bank aus­buch­ten. Da­rauf hocken, da­mit die Flie­gen et­was zu fres­sen ha­ben, die Män­ner des Dor­fes und dö­sen, ne­ben sich einen Kes­sel, in dem Boh­nen in Was­ser ko­chen. Nur vor ei­ner Tür ar­bei­ten zwei Män­ner; sie flech­ten Pal­men­zwei­ge, nach­dem sie sie durch einen Biss längs­seits ge­spal­ten ha­ben, zu Mat­ten.

      In man­chen Gäss­chen, hei­ßen Röh­ren, kön­nen die auf Eseln rei­ten­den Kna­ben ihre Bei­ne nicht sprei­zen, der­art nah ste­hen die Hüt­ten ein­an­der ge­gen­über. Die Ka­me­le muss man aus ei­ni­ger Ent­fer­nung für Strau­ße hal­ten, so klein sind sie, so ma­ger ihr Hals, ihre Bei­ne. Als Haus­tür dient ein Ge­flecht aus Pal­men­blät­tern, bes­ten­falls ei­ni­ge Kis­ten­bret­ter. Selbst das Mau­er­werk der Pries­ter­grä­ber ist nicht in­takt – wie fern liegt Nor­dal­ge­ri­en, wo man die Grüf­te der Ma­ra­buts mit Op­fer­ga­ben schmückt, mit bun­ten Sei­den­tü­chern, mit be­stick­ten Fah­nen, mit blau­en Ka­cheln, mit gol­de­nen Halb­mon­den, mit kost­ba­ren Tep­pi­chen, mit rie­si­gen Strau­ßen­fe­dern, und wo fast nir­gends, als ein­zi­ges von den Ara­bern an­er­kann­tes Wun­der­werk des Wes­tens, eine große Em­pi­re-Stand­uhr fehlt, die man auf den er­beu­te­ten Schif­fen der Gi­aurs fand!

      Zwei, drei Kauf­manns­lä­den, je eine Dat­tel­waa­ge hängt dar­in, ein Kar­ton mit win­zi­gen Fläsch­chen bil­ligs­ten Par­füms, ka­na­ri­en­gel­be Tü­cher, Le­der­täsch­chen für Amu­let­te, ei­ni­ge Streich­höl­zer­päck­chen, Spie­gel und Glas­per­len.

      Nicht ein­mal ein Kaf­fee­haus gibt es, der kleins­te Duar der brau­nen Ara­ber hat ih­rer zehn. Nur sü­ßen Pfef­fer­minz­tee kann man be­kom­men, der Kauf­mann be­rei­tet ihn, und da er fünf­zig Fran­ken nicht zu wech­seln ver­mag, macht er eine gleich­mü­ti­ge Hand­be­we­gung, schenkt dem Gast die Ze­che.

      Der schwingt sich wie­der aufs Pferd, das die Ju­gend stau­nend um­steht, ein Kna­be hält den Half­ter, er­hält eine Zi­ga­ret­te, o Sen­sa­ti­on: eine fer­ti­ge Zi­ga­ret­te!, man rei­tet wei­ter, um den Bordj, der zum Nacht­quar­tier aus­er­se­hen ist, noch vor Son­nen­auf­gang zu er­rei­chen, in­sch’ Al­lah, wenn Gott will.

      1 is­la­mi­scher Hei­li­ger <<<

      Kei­ne Ope­ret­te kann das Hofle­ben ei­nes exo­ti­schen Mon­ar­chen läp­pi­scher dar­stel­len, als es das Sei­ner Ho­heit des Beys von Tu­nis ist.

      Be­kannt­lich ist Tu­nis nicht etwa fran­zö­si­sche Ko­lo­nie, son­dern ein selbst­stän­di­ges Reich, das un­ter fran­zö­si­schem Pro­tek­to­rat steht. Das heißt, der Bey hat ohne Wi­der­spruch das an­zu­ord­nen, was der fran­zö­si­sche Ge­ne­ral­re­si­dent von ihm ver­langt, und das Volk hat ohne Wi­der­spruch zu ge­hor­chen, denn der Bey ist ab­so­lu­tis­ti­scher Re­gent.

      Die­ses Sys­tem hat den Vor­teil, dass die Ein­ge­bo­re­nen für ihr Un­glück nur den an­ge­stamm­ten Mon­ar­chen ver­ant­wort­lich ma­chen könn­ten, und sol­ches ver­bie­tet ih­nen die Re­li­gi­on; fer­ner hat das Pa­ri­ser Par­la­ment, des­sen Op­po­si­ti­on zum Bei­spiel die Maß­nah­men der fran­zö­si­schen Re­gie­rung in Al­ge­ri­en un­an­ge­nehm kri­ti­siert, in tu­ne­si­sche Din­ge nichts hin­ein­zu­re­den. Was geht’s die fran­zö­si­sche Re­gie­rung an, was der Bey von Tu­nis, ein Selbst­herr­scher, ver­fügt?

      Die Thron­fol­ge­ord­nung von Tu­nis kommt die­ser Re­gie­rungs­wei­se sehr zu­stat­ten. Stirbt ein Bey, so wird we­der sein Sohn noch ein ge­wähl­tes Mit­glied der Fa­mi­lie sein Nach­fol­ger, son­dern der äl­tes­te Prinz aus dem seit zwei­hun­dertzwan­zig Jah­ren re­gie­ren­den Hau­se der Hus­se­ni­ten. So ist der neue Fürst ge­wöhn­lich fünf­und­sech­zig Jah­re alt und hat nicht Lust und Tem­pe­ra­ment, sich durch un­be­son­ne­nen Wi­der­stand den Le­bens­abend zu ver­gäl­len.

      Ge­gen­wär­tig schwingt Mo­ham­med el Ha­bib Bey das Zep­ter, der schon vor sech­zig Jah­ren – da­mals


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