Erfolgreich mit Compliance. Barbara Neiger
und private Haushalte. Die inhaltliche Entwicklung der Betriebswirtschaftslehre konzentrierte sich zunächst auf das Rechnungswesen und auf Fragen der Kostenverursachung und der Finanzierung. In weiterer Folge wurden diese Teilgebiete durch die Untersuchung von Absatz-, Produktions- und Organisationsfragen erweitert.[24] Stand in der Wiederaufbauphase nach dem Zweiten Weltkrieg vorerst die kurzfristige Planung von Finanzströmen im Mittelpunkt, so entwickelte sich ab den 1960er-Jahren eine auf den Ergebnissen der Vergangenheit beruhende Langfristplanung mit Gewinnprognosen für weiter in der Zukunft liegende Perioden. Die Ölkrise 1973 und die zunehmende globale politische Destabilisierung machten deutlich, dass diese Vorgangsweise nicht mehr ausreichte, sondern eine Analyse des Umfeldes zur Identifikation von zukünftigen Risiken und Chance erforderlich wurde. Als Ergänzung zur betriebswirtschaftlichen Planungsrechnung fand das vorrangig in den USA entwickelte Konzept des strategischen Managements zunehmend auch in Deutschland und in ganz Europa Verwendung.[25]
Das Konzept einer strategischen Unternehmensführung lässt sich in den USA bis zum Anfang des 19. Jhdt. zu Frederick Winslow Taylor (1856-1915) zurückverfolgen. Im Gegensatz zur deutschen Betriebswirtschaftslehre, die sich als eine eigene Wirtschaftswissenschaft etablierte, ging es Taylor – der als Ingenieur aus der Praxis kam – um die Entwicklung eines Konzeptes für die tatsächliche Betriebsführung. Im Vordergrund standen Fragen der Verbesserung der Produktionsleistung (z.B. Gestaltung des Arbeitsplatzes, Entlohnungssysteme) und (noch) nicht Aufgaben der Gesamtführung eines Unternehmens. Die auch weiterhin von Praktikern wie Unternehmensleitern und Beratern getragene Managementlehre wandte sich in der Folge der Erstellung von Regeln und Prinzipien zu und den Fragen von Zusammenarbeit und Mitarbeiterführung. Durch das Hineintragen von Erkenntnissen aus anderen Wissenschaften wie Mathematik, Physik, Soziologie und Technik und letztendlich durch das Aufkommen von Computern entstand eine – nach wie vor – praxisorientierte Systemtheorie des Managements.[26] Als dessen Begründer und einer der wichtigsten Vertreter gilt Peter F. Drucker (1909-2005), der 1943 die Unternehmensführung und Arbeitsweise von General Motors untersuchte.[27] In seinem auf diesen Erkenntnissen basierendem Buch „Concept of the Corporation“ beschreibt Drucker den Konzern als eine Institution (als eine von vielen in einer Gesellschaft) zur Organisation menschlichen Handels zur Erreichung eines Unternehmenszwecks. Entscheidend für die Lösung der damit verbundenen Probleme sind die Unternehmensführung und die von ihr bestimmte Geschäftspolitik sowie die zur Umsetzung dieser Politik festgelegten Vorgangsweisen.[28] Konzerne (wie alle anderen Organisationen) können nicht überleben, wenn sie von einer oder von wenigen Personen abhängig sind. Es bedarf des Zusammenspiels von Managern und Mitarbeitern zur Errichtung eines Systems, das – basierend auf Leitbildern und Prinzipien – die Zielerreichung regelt. Und zwar so regelt, dass dieses System keine starre Planung darstellt, sondern die notwendige Flexibilität aufweist, damit die für die Zielerreichung notwendige Anpassung einzelner Schritte möglich wird.[29] Die zunehmende Erkenntnis über die Bedeutung der Einflüsse der Umwelt auf die Möglichkeiten und die Fähigkeiten eines Unternehmens, seine Ziele zu erreichen, führte zur Entwicklung des strategischen Managements. Die Chancen und Risiken, die sich aus dem Unternehmensumfeld ergaben, wurden ebenso analysiert wie die eigenen Stärken und Schwächen. Die Ergebnisse bilden die Grundlage für die Definition von Zielen und die Entwicklung einer Strategie, wie diese Ziele zu erreichen sind. Praktische Erfahrungen resultierten in einem Verständnis darüber, dass es zur erfolgreichen Implementierung von strategischen Maßnahmen die Akzeptanz der Mitglieder des Unternehmens bedarf. Unter diesem Gesichtspunkt erlangten die sog. soft facts – wie Aufbau- und Ablauforganisation, Personalmanagement, Unternehmenskultur sowie der Erhalt und die Verteilung von Information – eine eigenständige strategische Bedeutung.[30]
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass beide Strömungen einen wesentlichen Beitrag zur Entwicklung und Führung von Organisationen leisten. Die aus der Praxis kommende systemorientierte Managementlehre liefert die Werkzeuge für die Umsetzung und die Bewältigung von sich laufend verändernden Anforderungen. Die Betriebswirtschaftslehre steuert durch ein Planungskonzept die fundierten Grundlagen für eine solide Entscheidungsvorbereitung bei.
Aus der Betrachtung von Organisationen als Systeme ergeben sich einige Merkmale, die auf alle Organisationen unabhängig von Größe, Organisationsform oder Aufgabenstellung zutreffen.[31] Bei der Betrachtung einer Organisation als System – in Anlehnung an Biologie oder Ökologie –wird klar, dass alle Elemente ein Wirkungsgefüge bilden und ein Eingriff an einer Stelle Auswirkungen an einer anderen Stelle hat bzw. haben kann. Organisationen müssen deshalb in ihrer Gesamtheit betrachtet werden. Bei der Vornahme von Maßnahmen sind alle Systemkomponenten (Strukturen, Prozesse, Mitarbeiter, Kunden etc.) zu berücksichtigen. Organisationen sind keine statischen Gebilde, sondern dynamische Systeme, gekennzeichnet durch (fortlaufende) Veränderungen. Veränderungen sind einerseits aus der Organisation heraus bedingt, andererseits werden sie durch Einwirkungen aus der Umwelt verursacht. Daraus ergibt sich, dass Organisationen – als Teil eines Netzwerkes von wirtschaftlichen, juristischen und gesellschaftlichen Beziehungen – offene Systeme sind. Das abschließende Merkmal einer systemischen Betrachtung von Organisationen ist ihre Komplexität.[32] Diese ist jedoch nicht als unvermeidbares Übel zu sehen, sondern es sind eben die Vielzahl der Parameter, die es Organisationen erst ermöglicht, sich Anforderungen anzupassen und somit ihre Lebensfähigkeit zu erhalten.
Die Aufgabe und Bedeutung von Management-Systemen liegt darin, komplexe Systeme dadurch beherrschbar zu machen, dass das Verhalten (einer Vielzahl) von Menschen auf ein Ziel hin koordiniert wird.[33] Durch Gestaltung von Strukturen, Regeln und Abläufen und der kontinuierlichen Steuerung und Verbesserung aller Aktivitäten bilden Management-Systeme einen Rahmen für die einheitliche zielorientierte Organisationsausrichtung. Ein CMS nach ISO 37301 folgt diesem Ansatz. Die Zuteilung – als strukturelles oder statisches Element – von Aufgaben und Verantwortung für Compliance einer Organisation bei der Abwicklung ihrer Geschäftstätigkeiten wird unterstützt durch die Integration von Compliance-Maßnahmen (als dynamisches Element) in bestehende Verfahren, Abläufe, Prozesse etc.
1.3.2 Compliance-Management-Systeme
Durch die Gestaltung von Strukturen, Regeln und Abläufen und der kontinuierlichen Steuerung und Verbesserung aller Aktivitäten bilden Management-Systeme einen Rahmen für die einheitliche und zielorientierte Organisationsausrichtung. Nationale wie internationale Rechtsordnungen sehen vor, dass Organisationen eine (implizite) Aufsichts- und Kontrollpflicht zur Einhaltung von Gesetzen haben. Abgesehen von einigen Ausnahmen gibt es jedoch keine Vorschriften darüber, wie diese Aufsichts- und Kontrollmaßnahmen auszugestalten sind. Insbesondere gibt es keine für alle Organisationen gültige gesetzliche Vorschrift, die die Einführung eines Compliance-Management-Systems (CMS) vorschreibt.
Auf internationaler Ebene haben sich Compliance-Management-Systeme im Finanzsektor zur Bekämpfung von Geldwäsche entwickelt.[34] Dies ist auch in Österreich der Fall. Für Organisationen, die dem Wertpapiergesetz unterliegen, besteht gemäß § 18 Wertpapieraufsichtsgesetz (WAG) die Verpflichtung, eine unabhängige Compliance-Funktion auf Dauer einzurichten, die die Überwachung und regelmäßige Bewertung der Angemessenheit vorgeschriebener Verfahren sowie die Setzung von Maßnahmen zur Behebung etwaiger Mängel zur Aufgabe hat. Die ersten Maßstäbe für Compliance-Management-Systeme in Zusammenhang mit Anti-Korruptionsbestimmungen wurden in den USA und in Großbritannien gesetzt. In beiden Ländern kann ein angemessenes und wirksames Compliance- und Ethik-Programm eine Strafverfolgung beeinflussen, wenngleich in unterschiedlicher Ausprägung. Zahlreiche Staaten haben in den letzten Jahren in ihren Rechtssystemen die strafrechtliche Verantwortlichkeit für juristische Personen umgesetzt. Voraussetzung ist oftmals, dass zum Zeitpunkt der Verfolgung eine Fahrlässigkeit der Organisation vorliegt, d. h. die Organisation hat zuvor keine ordnungsgemäßen und geeigneten Maßnahmen errichtet und umgesetzt, mit dem das Risiko des Auftretens der verfolgten Straftat erheblich verringert werden sollte. [35]
1.4 Abgrenzung Governance – IKS – RMS – CMS
Im weiteren Sinne wird unter Governance alle Instrumente verstanden, die das Erreichen des Zweckes einer Organisation unterstützen und dabei eine ordnungsgemäße