Leb wohl, Schlaraffenland. Roland Düringer

Leb wohl, Schlaraffenland - Roland Düringer


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Wenn ich die Fähigkeit besitze, jemand anderen zu erkennen, mich in ihn hineinzuversetzen und seine Verhaltensmuster zu übernehmen, dann kann ich auch meine eigenen Verhaltensmuster ändern, weil ich ja weiß, wie das geht. Ich muss bloß den Schlüssel dazu finden. Ich bin felsenfest davon überzeugt, dass wir zwar schon mit einer gewissen inneren Programmierung auf die Welt kommen – das kann man jetzt den „Dämon“ nennen, der in uns wohnt, die Seele, den Geist oder das Göttliche, wenn man so will. Ich bin mir aber auch sicher, dass vieles erst durch äußere Einflüsse im Laufe unseres Lebens mit uns geschieht. Das kleine göttliche Lebewesen, das Kind, erkennt sich zunächst nur durch die anderen, also durch Mama und Papa. Erst durch andere erfährt es, was es eigentlich selbst ist, nämlich kein kleiner Gott, sondern vielleicht nur Kevin. (lacht)

      Ich glaube daher, dass, wenn ich äußere Rahmenbedingungen verändere, sich zwangsweise mein Verhalten und vielleicht sogar mein Seelenleben verändern. Bei mir war das im Zusammenhang mit dem Garten sogar sehr deutlich der Fall. Frage mich nicht, wie ich auf die Idee eines Gartens gekommen bin. Ich war damals so weit weg von einem Garten wie die meisten Menschen vom Dirigieren eines Symphonieorchesters. Ich hatte keinen Bezug zum Garten, bis ich mir einfach dachte: „Garten? Damit habe ich in meinem Leben noch nie experimentiert.“ Im Falle eines Gartens macht man das natürlich, indem man sich einen anlegt und einfach geradewegs mit dem Gärtnern anfängt. Und das habe ich getan.

      Ein Garten ist wie ein lebender Organismus. Mit Gärten zu experimentieren ist vergleichbar mit dem Beobachten von Menschen. In beiden Fällen wollte ich verstehen, wie sie funktionieren. So war also auch mein Garten für mich ein Experiment und er hat einiges in meinem Leben in Bewegung gesetzt.

      Leben ist Wandel

      Meine Beziehung zur Natur und zum Lebendigen hat sich durchs Gärtnern verändert und mein Verhältnis zur Nahrung wurde regelrecht auf den Kopf gestellt. Auch meine Beziehung zu Menschen wurde durch den Garten bereichert, weil ich plötzlich andere Leute traf und zu schätzen lernte, die mit mir einen gemeinsamen Nenner hatten. Davor hatte ich sehr viel Kontakt mit Menschen, die von sich behaupteten, sie hätten Benzin im Blut. Etwas Dümmeres kann man nicht sagen. Sie hatten wohl eher einen Benzinwurm im Hirn, wie auch ich ihn habe – noch immer. Mein Interesse an Motoren und Maschinen ist ja nicht verschwunden, es ist nur hinter andere Lebensbereiche zurückgetreten.

      Plötzlich traf ich aber Menschen, die „einen Garten im Blut“ hatten. Und den haben wir – so meine ich – alle in unseren Adern fließen, schon deshalb, weil es ja die Gärten sind, die uns letztendlich nähren. Das war eine schöne Erfahrung, ein bereicherndes Experiment, weil ich durch den Garten nach und nach zwar kein anderes, aber ein verändertes Leben führte. Eine Veränderung im Leben kann jeder Mensch herbeiführen, bloß versuchen es so manche auf viel aufwendigeren Wegen, nämlich zum Beispiel durch einen Ortswechsel. Das bedeutet: „Ich flüchte vor meinem Leben, ich ziehe in eine andere Stadt, in ein anderes Land, wechsle von der Stadt aufs Land, verlasse meine Familie, suche eine neue Familie, suche ein anderes Leben.“

      Als viel schöner empfinde ich es, wenn das Leben bleibt, wie es ist, und man ganz bewusst die Dinge verändert, die man gerne verändern möchte. Ich habe das durch das Anlegen eines Gartens erreicht. Sicher, es hätte auch anders kommen können, und das Gärtnern hätte mir nach einem halben Jahr furchtbar auf die Nerven gehen können. Ich hätte zu dem Schluss kommen können, dass ich zum Beispiel zu ungeduldig für einen Garten bin, weil ich gewohnt war, mechanisch zu denken und zu agieren. Baue ich einen Motor zusammen, so „wächst“ er vor mir genau so, wie ich ihn zusammenschraube. Aber so läuft das beim Gärtnern eben nicht.

      Würde ich mit der Herangehensweise des Mechanikers meinen Garten bewirtschaften, so würde das nicht klappen. „Ich setze meine Tomatenpflanze jetzt ein und punktgenau am Tag X muss dann die erste Frucht reif sein.“ Würde ich es nicht ertragen, wenn es nicht genau so kommt, wie ich es berechnet habe, dann würde ich mit meinem Garten furchtbar unglücklich werden. Wenn man sich aber auf den Garten und die Pflanzen einlässt, kann man sehr viel daraus lernen. Denn: „Es ist nicht entscheidend, was Sie aus Ihrem Garten machen, sondern entscheidend ist, was Ihr Garten aus Ihnen macht.“ Dieser Satz war in der TV-Serie „Der Wilde Gärtner“ in jeder Episode unser Schlusssatz.

      Nachdem der Garten nun Teil meiner Lebensgeschichte war, dachte ich bei mir: „Das war ein so schönes Erlebnis, eine so gute Erfahrung für mich, die möchte ich anderen Menschen weitergeben.“ Vielleicht gibt es da draußen viele Menschen, die sich nicht vorstellen können, dass ein Garten irgendetwas kann, sondern Gärten eher mit Spießertum, mit Schrebergärten, mit „alten Leuten“ in Verbindung bringen oder einfach meinen, Gärtnern sei konservativ und keiner würde das heute mehr brauchen. Ich wollte diesen Menschen zeigen, dass ein Garten eigentlich viel mehr zu bieten hat. So entstand die TV-Serie „Der Wilde Gärtner“. Zu dieser Zeit war mein Garten für mich bereits Normalität, also kein Experiment mehr. Irgendwann muss ein Experiment schließlich aufhören, ein Experiment zu sein. Entweder, indem man es beendet und sagt: „Okay, ich habe mir das angesehen, jetzt lasse ich es bleiben“, oder aber das Experiment wird zu einem Teil des eigenen Lebens.

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      Für Roland Düringer ist der Garten ein Teil seines Lebens geworden.

      Das Leben in meinem Garten wurde zu meinem Leben und es lebt sich gut darin – auch wenn man sich manchmal ärgert oder wenn man unglücklich ist. Dieses Jahr, 2013, erlebe ich eine Saison, in der ich mit dem Garten eigentlich unglücklich bin, weil ich mich in diesem jahr erstmals wirklich außerordentlich bemüht habe, weit mehr als sonst – das ist wahrscheinlich der Fehler, weil ich dadurch Erwartungen hatte – und jetzt spielt das Wetter nicht mit2. So bemüht wie in diesem Jahr war ich um meinen Garten zum letzten mal im ersten Jahr, in dem ich mit dem Gärtnern anfing. Zu Hause, auf der Fensterbank, steckte ich Samen in die Erde, um die Jungpflanzen selbst großzuziehen. Ich legte ein Gartentagebuch an, in dem ich dokumentierte, wann ich welche Pflanzen einsetzte. Ich engagierte mich dieses Jahr wirklich sehr in meinem Garten.

      Im Frühjahr gingen dann einige Pflanzen aufgrund der plötzlichen Kälte zugrunde – als dieser starke Regen kam und in den Tälern entlang von Flussläufen Überschwemmungen brachte. Durch das nasse Wetter vermehrten sich die Nacktschnecken und diese fressen mir gerade so ziemlich alles aus meinem Garten weg. Von meinen Kürbispflanzen ist fast nichts mehr übrig, ich habe aber noch ein paar in Reserve, die ich einpflanzen werde. Für einen Berufsgärtner wäre das alles ein Misserfolg. Ich ging in letzter Zeit, als es so oft regnete, beinahe jede Nacht zweimal mit einer Stirnlampe durch den Garten, um Schnecken aus meinen Beeten aufzusammeln. Das macht unglücklich, erscheint mir sinnlos, denn am nächsten Tag sind ohnehin wieder Schnecken da. Dennoch ist dieses „Unglück“ Teil eines guten Lebens.

      Ich sehe den Sinn meiner Berufung darin, über Dinge zu sprechen, die mich gerade selbst bewegen und die ich durchs Tun verinnerlicht habe. So werden die Worte glaubwürdig und die Geschichten werden in Form von Bildern im Kopf nachlebbar.

      Am besten spricht man über Autos, wenn man sich mit Autos auskennt, redet über das Häuserbauen, wenn man die Baumaterialien kennt und weiß, wie man es macht – wenn man die Höhen und Tiefen des Hausbaus selbst erlebt hat. Das ist, so glaube ich, das Allerwichtigste, wenn man etwas zu sagen hat, und ich bin – zum Glück ein Mensch, der immer etwas zu sagen hatte, auch schon in der Schule. Ich meine damit nicht, dass ich das Sagen hatte. Etwas zu sagen zu haben bedeutet auch, etwas zu fragen zu haben. Ich sprach zwar nicht viel, nicht pausenlos, wenn ich aber den Mund aufmachte, war es mir wichtig. Ich hielt zum Beispiel im Deutschunterricht sehr gerne Referate, was andere Schüler gar nicht gerne taten. Das war auch der Grund, weshalb ich auf die Bühne ging: Weil ich etwas zu sagen hatte, was ich mir von der Seele reden wollte; weil ich Menschen beobachtete und mich fragte: „Warum funktionieren sie so oder so?“ Mir kamen viele Verhaltensmuster von Menschen schon immer ein wenig seltsam vor. Oft verstand ich das Verhalten nicht oder sah überhaupt keinen Sinn dahinter, außer dass es der Anpassung an die Erwartungen der Gesellschaft diente. Auf der Bühne darüber zu sprechen war mir ein Anliegen und ich wollte Menschen, die ich nicht verstand, spielen, um denen, die im Publikum saßen, eine Art


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