Leb wohl, Schlaraffenland. Roland Düringer

Leb wohl, Schlaraffenland - Roland Düringer


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und plötzlich regnet es.

      Clemens G. Arvay: Wir müssen uns anpassen.

      Roland Düringer: Stimmt. Wir müssen uns anpassen und gehen besser hinein, ins Trockene. Deine Kameras werden es uns danken.

      Vom Glücklichsein

      Dinge, die mich selbst bewegen, zu einem Lebensthema geworden sind, fließen immer in meine Arbeit ein. Daraus entwickelte sich auch das Projekt „Gültige Stimme“. Darin übe ich mich in der Kunst des Weglassens und sage dem Schlaraffenland Schritt für Schritt Lebewohl. In diesem aktuellen Experiment geht es mir darum, zu reduzieren, Dinge wegzulassen und neue Werkzeuge zu verwenden. Ich bin damit dem guten Leben auf der Spur. Oder besser: meinem guten Leben. Für andere wäre dieser Weg wohl alles andere als der Schlüssel zum guten Leben und würde sie nicht glücklich machen.

      Clemens G. Arvay: Trotz der Unterschiede von Mensch zu Mensch gibt es die Statistik, auf die die moderne Psychologie aufbaut: Ein positives Lebensgefühl – glücklich zu sein – hat offensichtlich auch gesellschaftliches Potenzial, da es nachweislich dazu führt, dass Menschen eher etwas für andere tun, und zwar gerne. Die Solidarität in der Gesellschaft erhöht sich unter diesen Umständen, was der bekannte Psychologe Peter Salovey als das Phänomen „Fühl dich gut und du tust etwas Gutes“ bezeichnet hat. Glaubst du, dass eine Gesellschaft, in der die Menschen positive Lebensgefühle haben, also ein gutes Leben führen, auch tatsächlich eine solidarischere Gesellschaft wäre?

      Roland Düringer: Ja, ich glaube tatsächlich, dass eine Gesellschaft von Menschen mit positiven Lebensgefühlen auch solidarischer wäre, wobei man meines Erachtens zwei Dinge grundsätzlich unterscheiden muss: „glücklich sein“ und „sich glücklich fühlen“. Aus diesem Grund spreche ich viel lieber vom guten Leben.

      Man kann sich, auch wenn man gerade nicht glücklich ist, dazu zwingen, sich glücklich zu fühlen. Das nennt man dann „positives Denken“. Ich glaube, dass viele Menschen ein unglückliches Leben führen und sich dennoch glücklich dabei fühlen können. Das unglückliche Leben wird sich erst im Alter als das entpuppen, was es war, wenn die Krankheiten kommen, die Unzufriedenheit, die Fragen: „Hätte ich doch damals, wäre ich doch … Wenn ich das gewusst hätte!“ Ein ganz und gar unglückliches Leben endet wohl mit dem Gedanken: „Um Gottes Willen, was hätte ich alles anders machen können!“ Das muss furchtbar sein, obwohl sich ein solcher Mensch in vielen Phasen seines Lebens vielleicht glücklich ge fühlt hat.

      Wenn jemand zum Beispiel schlechte Nahrung zu sich nimmt, ständig Fast Food oder industrielle Nahrungsmittel isst, dann fühlt er sich in dem Moment des Bestellens, des Kaufens oder des Essens glücklich. Ansonsten würden die Menschen es ja nicht so machen. Gerade bei Zucker, in welcher Form auch immer, ist das sehr gut sichtbar. Süß macht glücklich. Das vermeintliche Glück entpuppt sich dann später als großes Unglück, schon aus gesundheitlichen Gründen. Daher: Sich glücklich zu fühlen und wirklich glücklich zu sein – nämlich auf einem guten Fundament langfristig glücklich zu sein – sind zwei gänzlich verschiedene Phänomene. Ich glaube, dass viele Menschen in einer Lebenssituation stecken, in der sie latent unglücklich sind. Die Realität des persönlichen Unglücks wird immer wieder durch Glücklichfühl-Spitzen überspielt: „Ach, jetzt, indem ich dieses oder jenes erreicht habe, fühle ich mich endlich wieder glücklich.“ Dann falle ich wieder in ein Loch und: „Ach, jetzt muss ich wieder etwas tun, damit ich mich wieder glücklich fühle.“ Darum sind wir immer auf der Suche nach mehr, vermutlich, nach mehr Erlebnissen, nach mehr Anerkennung, mehr materiellen Dingen, was auch immer. Dabei geht es darum, immer wieder das Fundament des Leidens zu verlassen und ein Glücksgefühl in diesem Leiden zu erleben. Wir leben in einer Zeit, in der das sehr leicht möglich ist, weil man sich Glück scheinbar kaufen kann. Wenn ich überzeugt davon bin, dass mich dieses Fernsehgerät oder jenes Auto glücklich machen wird, dann kaufe ich es mir einfach. Ich kann es mir sogar kaufen, wenn ich es mir eigentlich nicht leisten kann, weil es mir ja jemand finanziert, nämlich meine Bank.

      Clemens G. Arvay: Interessanterweise stellte man fest, dass diese Art des Glückserlebens – eben zum Beispiel viel Geld zu gewinnen oder sich ein Objekt zu kaufen, ein neues Auto – zwar tatsächlich zunächst zu einem Glücksgefühl führen kann, aber man konnte auch nachweisen, dass solche Gefühle sehr schnell wieder abnehmen. Danach landet man unter Umständen wieder unter dem Glücksniveau, auf dem man davor war, im besten Falle auf demselben.

      Und je mehr man diese gekauften Glückserlebnisse – diese materiellen – braucht, desto weniger effektiv werden sie mit der Zeit.

      Roland Düringer: „Ein Schritt nach vorne, zwei Schritte zurück“, lautet dieses Prinzip. Da ich seit einem halben Jahr fast ausschließlich mit öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs bin, also den „Bürgerkäfig“ verlassen habe und mit der Bahn fahre oder mit der Straßenbahn, mit der U-Bahn und zu Fuß gehe, sehe ich viel mehr Menschen als zuvor und habe deutlich mehr Begegnungen. Was mir dabei auffällt, ist – ich weiß nicht, ob das jetzt neu ist oder ob das schon immer so war –, dass sehr viele Menschen gerade zu den Hauptverkehrszeiten, am Weg von oder zur Arbeit, in der U-Bahn stehen und die Mundwinkel hängen bis zu den Fersen. Diese Menschen werden natürlich ihre Gründe dafür haben, ihre Mundwinkel nach unten hängen zu lassen, aber es fällt mir eben auf. Ich glaube, dass ich stets mit einem Grinsen durchs Leben gehe, auch in der U-Bahn, obwohl es ja dort bekanntlich nicht immer lustig ist, aber bisweilen lustiger, als alleine im Bürgerkäfig im Stau zu sitzen.

      Wahrscheinlich aber stecken immer mehr Menschen in Lebenssituationen, in denen das Lachen schwerfällt und so sind wir auf der ständigen Suche nach dem Lachen, der Freude, dem temporären Glücksgefühl. Man möchte sich ja nach einem Arbeitstag auch zu Hause über etwas freuen können. Das kann etwas zu essen sein, vielleicht auch Alkohol, ein unterhaltsames Fernsehprogramm. Manche schauen sich womöglich einen Porno im Internet an. Oder sie haben im besten Fall Sex mit dem Ehepartner. Man sucht sich einfach irgendetwas, um wieder ein bisschen Glück zu empfinden, weil man eines ganz genau weiß: Wenn am nächsten Morgen der Wecker klingelt, beginnt das Unglück wieder. „Blah, blah, blah“, schon in der Früh quatscht dich jemand aus dem Radio an und versucht verzweifelt, Stimmung zu machen. Spätestens bei den aktuellen Staumeldungen ist die Stimmung aber wieder im Keller.

      Ich weiß, wovon ich spreche. Ich stecke zwar schon lange nicht mehr in einer solchen Arbeitswelt, aber ich war auch einmal dort und die Erinnerung an diese Zeit ist klar und deutlich. Schon während der Anfahrt zur Arbeit haben viele ihren Masterplan im Kopf: Du fängst um neun Uhr an und weißt schon, dass um viertel nach zehn die erste Kaffee- oder Rauchpause stattfindet. Das ist dann der erste Joker, um sich wieder ein bisschen glücklich zu fühlen. Dann gibt es um elf Uhr ein Stück Schokolade – wieder um ein wenig Glück zu erfahren. Danach geht es zum Mittagessen – das nächste Glückserlebnis. Zurück zur Arbeit und um halb zwei auf die Toilette gehen, am besten mit einer Zeitung, um ein wenig zu lesen, damit wieder ein bisschen Ablenkung und Glück aufkommt.

      Man sucht sich eben diese Ausreißer aus dem monotonen Arbeitsalltag und dem damit verbundenen Gefühl des Unglücks. Das trifft bestimmt nicht auf alle Menschen zu, allerdings habe ich sehr wohl das Gefühl, wenn ich Menschen beobachte, dass viele von ihnen wie in einem Kokon eingesponnen sind. Darin verstecken sie sich, vielleicht auch hinter dem iPhone oder einem sonstigen elektronischen Gerät. Sie verschließen sich, sie wollen das Rundherum eigentlich gar nicht wahrnehmen. Dabei gäbe es in einer U-Bahn so viel zu beobachten!

      In der U-Bahn hätte man auch die Möglichkeit, zu kommunizieren. Aber stell dir vor, das machst du. Stell dir vor, du sprichst in der U-Bahn jemanden an. Und wenn das dann noch dazu jemand tut, der so aussieht wie ich, mit Kugeln im Bart … Okay, ich bin diesbezüglich ein Sonderfall, denn mich kennen viele Menschen in Österreich. Wenn ich jemanden anspreche, dann zeigt das eine andere Wirkung auf die Menschen, als würde sie irgendjemand anderer anquatschen, der, so wie ich, Kugeln im Bart trägt.

      Es ist meistens so, dass die Leute mich ansprechen, was mir nicht unangenehm ist. Ich unterhalte mich gerne mit ihnen, weil jede Begegnung mit einem Menschen eine Erfahrung ist, die mich weiterbringt oder aus der ich etwas lernen kann. Selbst dann, wenn eine Begegnung unangenehm ist und man


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