Leb wohl, Schlaraffenland. Roland Düringer

Leb wohl, Schlaraffenland - Roland Düringer


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lassen, noch schwerer; immer mehr, mehr, mehr. Da bekommt man vielleicht sogar 50 Jahre lang lauter positive Rückkopplungen und erst spät merkt man: „Hoppla, wir haben etwas übersehen. Wir sind über das sinnvolle Maß hinausgeschossen.“ Die Folgen unseres Verhaltens, das wir in den letzten Jahrzehnten an den Tag gelegt haben, spüren wir ja jetzt noch nicht. Wir denken nur darüber nach, was passieren könnte, das ist aber eine virtuelle Geschichte. Ob beispielsweise wir beide überhaupt noch die wahren Folgen spüren werden, das wissen wir nicht. Unsere Nachfahren, die nächsten Generationen, die Kinder, die Enkel, die Urenkel, werden sie ganz bestimmt spüren. Für uns, kurzfristig gedacht, gibt es relativ wenige Gründe, unser Handeln zu verändern. Es ist so, als würden wir mit einem Motorrad fahren und fahren und fahren und dabei wissen, dass es ohnehin nicht dich aus dem Sattel reißen wird, sondern erst den nächsten, der aufsitzen wird. Genau das ist das Traurige an gesellschaftlichen Diskussionen, wenn es zum Beispiel um den Klimawandel und ähnliche Probleme geht. Nehmen wir als Beispiel den CO2-Ausstoß: Wie viele Kilogramm an CO2 ich ausstoße, kann ich nicht einmal sehen. Ich erhalte diesbezüglich keine unmittelbare Rückkopplung. Wie soll das unser Gehirn verstehen? Es begreift den Schaden nicht, den wir anrichten.

      Ein anderes Beispiel: Wenn ich auf meinem Acker eine Missernte verzeichnen muss, vielleicht wegen einer Überschwemmung oder weil der Frost kommt, dann stehe ich davor und sehe es: „Jetzt ist jetzt passiert!“ Und ich weiß: „Jetzt bin ich in einer schlimmen Situation, jetzt muss ich schauen, dass ich überlebe. Jetzt!“ Momentan scheint für uns noch alles zu funktionieren. Wo gibt es Probleme mit der Umwelt? Ich blicke in meinen Garten hinaus und kann die Frage stellen: „Wo bitte läuft da in unserer Umwelt etwas falsch?“

      Natürlich können wir derzeit auch nicht zu hundert Prozent sicher sein, dass alles, was Experten zum Beispiel über den Klimawandel sagen, wirklich stimmt. Wir wissen es nicht genau – auch die vielen Zukunftsforscher nicht, die sich ausrechnen, wie es im Jahr 2050 um das Klima stehen wird, und die schon jetzt voraussagen, um wie viel der Meeresspiegel steigen wird, die Gletscher abschmelzen werden, es hier Dürre, dort Überschwemmungen geben wird. Das ist nichts weiter als Kaffeesatzlesen. Keiner der Zukunftsforscher weiß, wie sich Menschen verhalten werden. Sie können nicht wissen, wie wir uns letztendlich verändern werden und ob wir nicht innerhalb von zehn Jahren vieles ganz anders machen werden. Vielleicht werden wir bis dahin vor gänzlich anderen Problemen stehen und der Klimawandel wird uns vollkommen egal sein, weil dann ganz unerwartet ein Virus auftauchen wird, oder wir dahinterkommen werden, dass irgendetwas in unsere Umwelt gelangt ist, das die Kinder so richtig krank machen wird. Eigentlich sind wir ohnehin schon fast so weit, wenn ich an all die zigfach geimpften Kinder denke, die Allergien und Nahrungsmittelunverträglichkeiten haben, während sich niemand fragt: „Warum ist das so?“ Oder man will es nicht sehen, und manche wissen vielleicht sogar, warum, verdienen aber Geld mit Pharmazeutika und Impfstoffen. Wenn das so ist, dann weiß ich: Da läuft etwas komplett schief.

      Ich glaube, auf der sichtbaren Ebene – damit meine ich die mit unseren Sinnen wahrnehmbare – scheint ja alles gut. Alles wächst, alles gedeiht, die Städte werden immer zahlreicher, die Siedlungen größer, Einkaufszentren entstehen. Du hast mehr und mehr Möglichkeiten, die Autos werden besser, werden sicherer und alles wird einfacher. Kommunizieren ist durch das Mobiltelefon leichter geworden, im Januar kann ich Erdbeeren kaufen, bin mit 20 Milchsorten versorgt, und so weiter. Auf dieser Ebene ist alles wunderbar, und dennoch dürfte der Mensch noch andere Sensoren haben, die uns bereits sagen, dass da irgendetwas nicht stimmt, dass da irgendetwas außer Balance ist – dass sich der Sturz schon drei Kurven zuvor ankündigt, du aber ohnmächtig bist, etwas dagegen zu unternehmen, weil es dein Betriebsmodus jetzt einfach nicht zulassen will.

      Das ist, so glaube ich, auch der Grund, weshalb viele Leute nicht glücklich sind. Sie holen sich dieses kurze Gefühl des Glücklichseins immer irgendwo, wofür es ja zahlreiche Angebote gibt. Sie sind aber im Innersten unzufrieden und leiden. Das äußert sich dann meistens in körperlichen Reaktionen, Krankheiten, psychischen Störungen, Depressionen oder Burn-out … wie auch immer man es nennt. All das muss einen Grund haben. Es muss einen Grund haben, warum so viele nur mehr auf hundertachtzig sind und eigentlich nicht mehr belastbar.

      Mir begegnen immer mehr Menschen, die sagen: „Dies muss sich ändern, jenes kann so nicht weitergehen. Das ist ja alles nur mehr Wahnsinn.“ Ich war neulich mit meiner Mutter bei ihrer Bank, weil sie da etwas zu erledigen hatte und mich dabeihaben wollte, um ihr zu helfen. Wir trafen ihre Bankbetreuerin, die ich persönlich nicht kannte – eine nette Dame. Wir plauderten ein wenig, dann sagte sie einiges, was ich mir von einer Bankangestellten nicht erwartet hätte: „Das gesamte System ist außer Rand und Band“, meinte sie. „Es wird alles zusammenbrechen, das geht so sicher nicht weiter, und es muss sich etwas ändern. Wir müssen erkennen, was wirklich einen Wert hat, und was nicht.“ Diese Frau steckt mitten im System, arbeitet bei einer Bank und verkauft Finanzprodukte. Sie weiß genau, was „los ist“, spürt die Probleme. Sicher gibt es auch viele Menschen, die diese Alarmsensoren nicht haben und die sich denken: „Ach, das wird schon alles gut gehen.“ Auch wenn du zum Beispiel merkst, dass dein Körper nicht mehr so funktioniert, wie er funktionieren sollte, dann sagst du vielleicht: „Ach was, das vergeht schon, das stecke ich schon weg.“ Du willst es nicht wahrhaben.

      Erst seit ich selbst mehr Ruhe gefunden und mehr Zeit habe, ist es mir möglich, unser Treiben etwas mehr von außen zu beobachten. Ich bin sozusagen in einem anderen Modus. Nicht nur ich bin das, es sind bereits viele Menschen, die kritisch beobachten und sich denken: „Es läuft etwas falsch.“ Ich wundere mich nicht mehr darüber, wenn ich in einer Zeitung einmal eine Headline sehe, in der steht: „Amokläufer …!“ Ich bin regelrecht dankbar dafür, dass es nur so wenige sind, die Amok laufen. Gründe zum Amoklauf bietet unsere Welt ja genügend. Ich befürchte, dass viele Menschen knapp davor stehen, irgendwann einmal auszurasten, weil sie einfach unter ständigem Druck stehen.

      Was ist Selbstverwirklichung?

      Clemens G. Arvay: Die Selbstverwirklichung ist offensichtlich ein sehr wichtiges menschliches Bedürfnis. Wir möchten uns in unserem Leben selbst verwirklichen, unser Wesen entfalten und das umsetzen, was wir als unseren inneren Auftrag empfinden. Gleichzeitig stehen aber viele vor dem Problem, dass in der Gesellschaft ein immenser Anpassungszwang herrscht. Anders zu sein bedeutet auch – und oft geht es dabei nur um Äußerlichkeiten –, nicht akzeptiert zu werden. Die Selbstverwirklichung hat ja etwas mit Individualität zu tun, scheitert aber daran, dass eben dieses „Individuell-sein“, dieses Anderssein, in vielen Fällen gesellschaftlich gar nicht respektiert wird. Was sind deine Erfahrungen mit dem Anderssein? Welche Steine werden einem da in den Weg gelegt?

      Roland Düringer: Bei der Selbstverwirklichung muss man meines Erachtens etwas vorsichtig sein, damit daraus kein Egotrip entsteht. Sich selbst zu verwirklichen darf nicht dazu führen, dass einem alle anderen egal sind. Wir leben ja in gewisser Weise in einer Zeit der Selbstverwirklicher. Es gibt Menschen, die sich uneingeschränkt selbst verwirklichen, weil sie die Möglichkeiten dazu haben und es auch tun. Manche gehen dabei buchstäblich über Leichen.

      Um mich selbst zu verwirklichen muss ich erst einmal das Selbst finden. Ich muss zuerst wissen: Was oder wen möchte ich verwirklichen? Ist es tatsächlich mein Selbst, das ich verwirkliche, oder will ich bloß mein Ego ausleben? Das Selbst zu verwirklichen ist viel schwieriger. Mit den üblichen Mitteln, die uns heutzutage meistens zur Verfügung stehen, funktioniert das oft nicht. Damit kannst du das Ich sehr leicht verwirklichen. Das Selbst jedoch – also das, was du eigentlich tief im Inneren bist, dieses Sein, das du in dir trägst und das in dir lebt –, das braucht im Grunde nur wenig zur Verwirklichung. Eben deswegen, weil es so wenig braucht, ist es so schwer zu finden. Was wenig braucht, muss nämlich nur selten seine Deckung verlassen.

      Ich erinnere mich daran, schon als Kind und in der Schule etwas anders als die meisten meiner Kollegen funktioniert zu haben. Ich hatte aber das Glück, bald Menschen kennengelernt zu haben, die ebenfalls anders waren. Ihnen war ihr Anderssein völlig egal und ich durfte dadurch sehr viel von ihnen lernen. Mein Mentor, der Schauspieler Herwig Seeböck, war einer von ihnen und ein immens wichtiger Begleiter. Ich kann es mir heute glücklicherweise leisten, anders zu sein. Ich kann es mir leisten, Kugeln


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