Gestalt-Traumatherapie. Группа авторов
verweigerte es oft, doch es herrschte Essenszwang. Alles musste aufgegessen werden, auch wenn es nicht schmeckte. Wiederholt musste sie das Gegessene erbrechen. Danach wurde sie gezwungen, das Erbrochene wieder aufzuessen, woraufhin sie es wieder erbrach und wieder gezwungen wurde – so ging das immer wieder. In den nächsten Ferien, als ihre Eltern sie abholten, erzählte sie ihnen alles. Diese beschwerten sich bei der Heimleitung. Doch sie wurden beschwichtigt, dass dies alles nur Erfindungen ihrer Tochter seien, da diese nicht im Heim bleiben wolle. Dies sei auch von anderen Kindern bekannt. Die Eltern glaubten den »Expertinnen«. Sie erzählte es zu Hause auch ihrer Großmutter, die sie über alles liebte. Diese glaubte ihr. Bei ihrer Rückkehr nach den Ferien wurde sie von ihrer Schulschwester halb totgeschlagen, mit dem Kopf wieder und wieder an der Wand geknallt, bis sie blutete. Ihr wurde erzählt, dass die Schwestern, wenn sie ihren Eltern noch einmal solche Lügen über das Heim erzählen würde, dafür sorgen würden, dass sie für immer im Heim bleiben müsse und nie mehr nach Hause dürfe. Sie glaubte das, als sechsjähriges gehörloses Mädchen. Sie erzählt, dass sie darüber fast verrückt geworden sei. Das einzige, was sie aufrecht gehalten hatte, war der Gedanke an die Großmutter, die ihr geglaubt hatte. Die Großmutter glaubte ihr auch bei den nächsten Besuchen und nur ihr erzählte sie davon. Sie bat sie, doch zu versuchen es in dem Heim trotzdem auszuhalten, da es die einzige Möglichkeit für Bildung für sie sei. Heute noch könne sie viele der Speisen nicht essen oder riechen, die es damals im Heim gegeben habe. In der Folgezeit gelang es ihr trotzdem eine Berufsausbildung abzuschließen und sich gut in die Gehörlosengemeinschaft zu integrieren.
Als 45-Jährige erlebte sie Arbeitsplatzkonflikte mit einer unsicheren neuen Chefin, die keine Erfahrung mit Gehörlosen hatte und die sie anschrie, sie solle schneller arbeiten. Zeitgleich verstarb auch ihre hochbetagte Großmutter. Dies löste eine Reaktivierung des Traumas mit massiven Intrusionen, Hyperarousal, Vermeidungen, Arbeitsunfähigkeit für vier Jahre aus. Die Klientin hatte die strengen Schwestern als Überlebensstrategie introjiziert. Selbsthass, massive Selbstabwertung, permanente Selbstkritik. Diese Introjekte verbündeten sich nun mit der Chefin, woraufhin es zum völligen psychischen Zusammenbruch der Klientin kam, mit massiven Ängsten, Selbstvernichtungsphantasien und der völligen Arbeitsunfähigkeit.
Die Entwicklung von Gegenstrategien, über die erstmalige Wahrnehmung und Differenzierung ihres Körpergefühls, einer Körper-Awareness und einer achtsamen Haltung für sich und die eigenen Bedürfnisse waren der primäre Fokus im Rahmen einer vierjährigen Langzeittherapie.
Nach einer EMDR-Intervention zur Auflösung der Intrusionen der Schulschwestern nach dem ersten Jahr glitt die Klientin aufgrund eines unbemerkten dissoziativen Prozesses in eine deutliche Verschlimmerung. Durch den visuellen Doppelmodus von Gebärdensprache und visueller Verarbeitung/Mimik bei der Intervention war der dissoziative Prozess nicht deutlich zu erkennen. Es folgte ein dreiwöchiger Psychiatrieaufenthalt mit Einverständnis der Klientin. Danach ging es ein Jahr nur über supportive Gestalttherapie weiter, danach zwei Jahre mit innerer Dialogarbeit und der Einnahme der Perspektive der Überlebenden. Das Aufspüren und die Identifizierung der Täterintrojekte, die als Top-dog-Attacken verstanden werden können, über die Wahrnehmung eigener Körpergefühle, stereotyper Denkinhalte und Stuhlarbeit brachte die Wende. Es schien, als sei in dem Moment, in dem sie ihr wahres, auf angenehmen Körpergefühlen beruhendes Selbst wieder gefunden hatte, die Macht des Bösen schneller gewichen, als alter Schnee in der Frühlingssonne schmilzt. Es erfolgte eine Arbeitserprobung am alten Arbeitsplatz auf lange entwickelten Wunsch der Klientin. Seit einem Jahr arbeitet die Klientin wieder erfolgreich und weitgehend angstfrei in ihrem alten Beruf.
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