Einsame Klasse. Felix Lill

Einsame Klasse - Felix Lill


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lief’s bei dir heute?«, fragte ich und gab ihr übers Bett gebeugt einen Kuss.

      »Ganz gut. Waren einige Leute da.«

      »Lädst du mich beim nächsten Mal wieder ein?«

      »Wenn wir dann noch zusammen sind«, entgegnete sie, und ich wusste nicht, ob das jetzt ernstgemeint war oder ein seltener Anflug schwarzen Humors.

      Es folgten inbrünstige Liebeserklärungen. Das konnten wir immer noch gut. Auch wenn süße Worte nicht die Sorgen in unseren Köpfen tilgen konnten, konnten sie doch für eine Zeit den Konflikt zwischen uns beilegen. Auch das war viel wert, wir wollten ja nicht streiten. »Schlaf gut«, sagten wir uns gegenseitig, umarmten uns, machten die Augen zu. Vorm inneren Auge sah ich wieder die Ergebnisse, die meine flüchtige Recherche zum Thema »Singles Japan« am Vormittag ausgespuckt hatte. An unsere Probleme hatte ich mich längst gewöhnt, mich mit eigentlich allem arrangiert. Auch deshalb, weil ich mir einen Ausstieg aus dieser Zweisamkeit wie den Untergang vorstellte. Hier in Japan mussten also schon viele Menschen untergegangen sein. Aber mein Sitznachbar im Flugzeug hatte so ganz und gar nicht den Eindruck erweckt, untergegangen zu sein. »This is the future of love«, hatte er gesagt. Was auch immer das bedeutete, ob die Interaktion mit dem Avatar für ihn nur ein Spiel war, oder echte Gefühle hervorrief. Mir jedenfalls kam der Gedanke, aus der Liebe ein Spiel zu machen, fremd vor. Mit den kostbarsten Ressourcen des Lebens spielt man nicht, hatte ich als Kind gelernt.

      In dieser Nacht hatte ich einen Traum. In einem dunklen Raum hielt ich ein Tablet, auf dem das Gesicht einer virtuellen Frau mit fließend wechselnden Haarfarben und Frisuren erschien, das mich mit seinem neckischen Lächeln gleich in seinen Bann zog. Auch ihre Gesichtszüge veränderten sich, allerdings noch langsamer als die Haare. Mal sehr feminin, mal androgyn, mal älter, mal jünger. Einmal hatte sie Blumen im Haar. Von diesem Wechsel war ich fasziniert. Sie flirtete mit mir und ich spielte nach anfänglichem Zögern mit. Es war ja nur ein Spiel, dachte ich im Traum. Da wurde ihr Gesichtsausdruck streng. Sie hob einen Arm, voll behängt mit klimperndem Geschmeide, wie ein Kettenhemd vor sich und sagte: »Bald hast du nur noch mich.« Dieser Satz riss mich mit einem Ruck aus dem Schlaf. Offenbar war die heutige Auseinandersetzung mit Lena bei mir doch in tiefere Schichten gedrungen. Irgendetwas lief schief.

      An einigen Tagen traf Lena ihre neuen Kontakte direkt nach Feierabend auf ein Getränk. So vermied sie es auch, sich in der Rushhour in die vollgepackten U-Bahnen zu drängeln, kam aber trotzdem oft als Erste von uns beiden nach Hause. Dort schaute sie vom Bett aus Filme, las Bücher oder telefonierte mit ihren Freunden daheim. Zum Japanisch-Lernen fehlte ihr der Antrieb, sagte sie und ich dachte mir nichts dabei.

      Als ich an einem Abend kurz vor Mitternacht nach Hause kam, weil ich für die Nachmittagsdeadline der acht Stunden hinter Tokio liegenden Zeitungen in Europa einen Artikel über die Fußball-Klub-WM im Dezember 2012 in Japan schreiben musste, wich Lena meinem Lächeln zur Begrüßung aus. Mein Kuss interessierte sie auch nicht. »Alles in Ordnung?«

      »Ja«, sagte sie nur, mit starrem Blick auf ihren Laptop am Tisch in der Küche, in der man automatisch stand, wenn man diese unterdimensionierte Wohnung betrat.

      »Ist was?«, wollte ich wissen.

      »Es ist nichts«, meinte Lena.

      Kommentarlos machte ich mich bettfertig.

      Durch die hauchdünne Schiebetür, die das Schlafzimmer von der Küche trennte, hörte ich sie murmeln: »Ich dachte nur, wir wären zusammen hier.«

      Natürlich waren wir das, aber darum ging es ja nicht. Sie hatte recht, fand ich, und doch nicht, mir fehlten die Worte, oder zumindest die richtigen Worte. Möglichst geräuschvoll legte ich mich ins Bett und deckte mich zu, damit Lena hörte, dass ich noch nicht gleich antworten konnte. Ich wusste keine Antwort. Am liebsten hätte ich ihre Worte überhört. Der warme, aber scharfe Ton war der, den ich von ihr immer hörte, wenn sie nicht zufrieden war. Mich warf er zurück in die Sorgenzeit vor unserem Umzug, durch den wir all das doch eigentlich hinter uns lassen wollten. Ohne dass es einer von uns aussprach, hing da bei mir unter der Bettdecke plötzlich wieder diese Frage: Hat es mit uns dann noch einen Sinn? Dann. Dieses Wort wurde immer mitgesagt, kennzeichnend für die aktuellen Umstände, die zwar nie dieselben waren, aber immer wieder Grund genug zur Unruhe lieferten. Ich wollte das nicht vertiefen. Als ich mich, nochmal möglichst hörbar, liegend umdrehte, sagte ich: »Wir sind zusammen. Ich bin glücklich darüber, dass wir es sind.«

      »Worüber bist du glücklich, Felix. Was willst du? Was wird aus uns?« Sie kam zu mir ans Bett. Mit ernstem Gesicht.

      Sie war also wirklich nicht zufrieden. Nicht mehr? Seit wann? Ich wollte das fragen, aber lieber nicht wissen. In den knapp fünf Jahren, die wir nun ein Paar waren, schaukelten uns die Grundsatzfragen immer wieder hin und her. Einer von uns stand dann auf dem dünnen Brett, von dem er in die kalte See gestoßen werden konnte. Was aus uns werden würde, so genau hatte ich darüber nicht nachgedacht. Für mich musste ich das auch nicht. Es war simpel und absolut. »Seit wir uns kennengelernt haben, wollte ich einfach mit dir zusammen sein, Lena.«

      »Und jetzt muss man nichts mehr dafür tun?«

      »Was meinst du?«

      »Ach, egal. Du checkst es einfach nicht.«

      Tat ich tatsächlich nicht.

      »Können wir nicht einfach eine normale Beziehung führen?«, fragte Lena hinterher.

      »Was ist denn nicht normal an uns?«, wollte ich wissen.

      »Wir sehen uns kaum, wir sprechen nicht mehr über die Zukunft, ich weiß nicht, was du willst. Wie geht es weiter mit uns?«

      Ein Umzug ans andere Ende der Welt, in eine gemeinsame Wohnung, setzte eigentlich doch ein deutliches Zeichen in Richtung unserer Zweisamkeit. Aber die Konflikte blieben dieselben. Lena wollte, dass wir mehr Dinge gemeinsam machten. Ich wollte das auch, aber oft fehlte die Zeit dafür, der Druck bei der Arbeit war am Anfang noch zu hoch, zugleich war Tokio zu faszinierend, als dass ich die Zeit hier nicht voll in mich aufsaugen wollte. Lena konnte dasselbe tun, wir konnten trotz allem auch Vieles gemeinsam erforschen, aber nach und nach wurde sie von einer Schwermut ergriffen, die ich an ihr noch nicht gekannt hatte. Zum Yoga, das sie hier für sich entdeckt hatte, ging sie kaum noch. Auf ihrem Gesicht sah ich immer seltener ein Lächeln, wir umarmten uns weniger, ich hieß auch nicht mehr Babe. Ich hielt das nur für eine Phase, denn einfach war es für uns beide nicht. Wir sprachen die Sprache gar nicht oder nur schlecht, wandelten ohne richtige Orientierungspunkte durch den Alltag, suchten noch nach unseren Plätzen. Uns hätte das zusammenschweißen können und das versuchten wir auch.

      Aber vielleicht kannten wir uns schon zu gut, oder zu lange, als dass wir unsere Missverständnisse in der Kommunikation noch einfach als solche benennen konnten. Ich vergriff mich in der Wortwahl, sie wurde laut. Die Harmonie, die wir beide suchten, war mit Gesprächen nicht wiederzubeleben. Diskutiert hatten wir schon alles. Den Fünfjahresplan, den ich weder aufstellen noch absegnen konnte, ihren zunehmenden Kontrolldrang, den ich immer weniger ertrug, einmal im Streit einen Polizeistaat nannte. Ich bereute das sofort, aber die Worte waren damit in der Welt, ab sofort gab es nur mehr Schaden zu begrenzen, den ich verursacht hatte. Ich vertraute Lena mehr als mir selbst, aber sie vertraute nach und nach uns beiden nicht mehr. Wie Jan und Anna, Lenas Freunde, die sich getrennt hatten, obwohl sie sich verstanden hatten, weil ihre Vorstellungen vom Leben und vom gemeinsamen Leben wohl doch zu unterschiedlich waren. Und es gab so viele andere. Überall schossen Freunde ihre Partner ab oder wurden in die Wüste geschickt, weil einer der beiden angeblich nicht ausreichend beziehungsfähig war. Alles andere, der gemeinsame Humor, die Interessen, der Sex, mochte gut funktioniert haben, aber irgendwas war immer.

      Dennoch. Unsere Revolution musste weiterleben. Wir waren noch nicht fertig, und Lena war trotz allem mein moralisches Vorbild. Weniger rachsüchtig als ich, weniger eigensinnig, weniger stur. Sie verhandelte nicht auf dem Flohmarkt, fuhr nicht schwarz und log nie. Falls sie doch log, dann so gut, dass ich es für ausgeschlossen hielt, weshalb es mich dann auch nicht störte. Sie durchschaute Dinge viel schneller als ich, vor allem zwischenmenschliche Situationen. Ehe ich bemerkte, dass jemand im Gespräch die eigene Geschichte hochjazzte, um eindrucksvoller zu wirken, hielt Lena


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