ROCK IM WALD - Ein Norbert-Roman. Andrea Reichart

ROCK IM WALD - Ein Norbert-Roman - Andrea Reichart


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lernst dein Weib gleich kennen!“, maulte sie und zog ihn zurück zu den Stühlen, dann setzte sie sich gemütlich hin und forderte ihn mit einer eindeutigen Geste auf, ebenfalls Platz zu nehmen.

      „Er findet sie süß?“

      Ben nickte, während er sich setzte. „Ja, da bin ich ziemlich sicher. Er hat die ganze Zeit gelächelt, als wir über sie sprachen.“

      „O Gott, wie ist sie denn so?“

      „Glücklich verheiratet.“

      „Nein!“

      „Doch.“

      „Mist.“

      „Ich schätze, das denkt Wolf auch.“

      „Sag ihm, er soll sie mal einladen.“

      „Hm“, Ben tat so, als müsse er erst darüber nachdenken, ob das wirklich eine so gute Idee war.

      „Wo wohnt sie denn?“

      „Keine Ahnung.“ Er versuchte, sich an die Adresse auf der Visitenkarte zu erinnern. „Doch, Moment, irgendwo hier in der Nähe, glaube ich.“

      „Was? Candrine Cook wohnt im Sauerland und ich weiß das nicht?!“ Laura war fassungslos. „Ist das eigentlich ihr richtiger Name?“, fragte sie neugierig,

      „Nein, das ist ihr Künstlername. Er stand auf der Rückseite der Karte.“

      „Du hast Candrine Cooks Visitenkarte in der Hand gehalten?“

      „Yep!“ Wie sie ihn ansah! Als handelte es sich bei dem Fetzen bedruckten Karton um eine Reliquie! Es war, als würde ein wenig von dem Glanz dieser Schriftstellerin, an die er Nacht für Nacht seine Frau verlor, plötzlich auf ihn abfärben.

      „Wow!“

      „Yep!“ Laura musste ja nicht wissen, dass er eigentlich stinksauer auf die Frau war. Für die Bücher, die sie schrieb. Obwohl er noch nie eins davon gelesen hatte.

      „Und?“

      „Was und?“

      „Wie heißt sie?“

      „Catrin irgendwas.“

      „Catrin irgendwas?“

      „Ich kann mich nicht mehr genau erinnern.“

      „Kannst du nicht oder willst du nicht?“

      „Himmel, Laura! Sie hieß Catrin irgendwas.“

      „Wo ein Catrin ist, da ist sicher noch mehr. Bitte!“

      „Kannst du sie nicht einfach googeln?“

      Laura sprang wortlos auf und eilte ins Haus.

      Oh nein, nicht das auch noch! Wenn seine Frau am Rechner saß, dann wurde es meist teuer, weil sie irgendwann auch etwas online bestellte. Er sprang auf und eilte hinter ihr her. Sie hatte sich gerade hingesetzt und wollte den PC hochfahren, da ergriff er ihre Hände.

      „Catrin Stechler.“ Das sollte ja wohl reichen.

      Laura schüttelte ihn ab. „Super, so finde ich sie leichter.“

      „Willst du mir allen Ernstes sagen, dass du seit Jahren die Bücher von ihr liest und dich noch nie dafür interessiert hast, wer dahinter steckt?“

      „Naja“, sagte Laura aufgeregt, während das Windows-Kleeblatt über den Monitor flackerte und die Erkennungsmelodie erklang. „Ich hätte nie gedacht, dass sie eine Deutsche sein könnte. Normalerweise kommen doch die ganzen tollen Romane aus Amerika. Was soll ich auf einer englischen Webseite?“

      „Jetzt tu nicht so, als könntest du kein Englisch.“

      „Was regst du dich denn so auf, Ben? Ich hab mich nie drum gekümmert, aber jetzt kümmere ich mich. Wolf fand sie süß, das ist doch wohl Grund genug, oder? Stell dir vor, wir laden sie mal hierher ein und überraschen Wolf dann damit!“

      Ben stöhnte auf. Das war sicher genau das, was sich sein Bruder wünschte: einen Abend mit seiner verheirateten Reisebegleitung … und deren Mann.

      Laura klickte sich bereits durchs Internet. „Wow, sie ist bei Facebook, schau mal!“

      Er riss die Arme hoch und rief laut: „Ein Skandal! Ruf die Kirchenältesten zusammen! Eine Autorin, die bei Facebook ist!“

      „Blödmann!“ Laura vertiefte sich bereits in die Meldungen, die auf der Autorenseite von Candrine Cook erschienen.

      Er dagegen starrte auf ihr Foto. Kein Wunder, dass sein Bruder gelächelt hatte. Die Frau war ja bezaubernd!

      „Ach du Scheiße!“, murmelte Laura.

      „Was ist?“

      „Ich glaube, du solltest deinen Bruder anrufen. Sofort!“

      Kapitel 11

      Wenn der Anlass nicht so entsetzlich gewesen wäre, sie hätte die Fahrt beinahe genießen können. Die Landschaft war wirklich wunderschön, die Nachmittagssonne, die zwischen dichten Wolken immer wieder hervorblitzte, ließ die grünen, dicht bewaldeten Hügel wie gemalt erscheinen.

      Mit einem Seufzer zwang sich Catrin, all ihre Aufmerksamkeit dem Verkehr zu widmen. Ihr Navi führte sie über kurvenreiche Straßen durch Ortschaften, die noch viel kleiner waren als die, in der sie lebte. Meine Güte, wer zog denn hier freiwillig hin? Sicher nur radikale Aussteiger, die von selbstgeerntetem Gemüse träumten.

      Inzwischen fuhr sie längst nicht mehr so schnell, wie es vielleicht erlaubt gewesen wäre, sondern versuchte, links und rechts der Fahrbahn Ausschau zu halten nach einem schwarz-braunen Hund mit weißer Blässe auf der Brust. Konnte es sein, dass Diva hier in der Nähe umherirrte?

      Die Straße, auf der Catrin nun schon seit einigen Kilometern fuhr, führte relativ steil bergauf. Sobald sie oben auf der Kuppe angekommen war, suchte sie einen Platz, an dem sie anhalten konnte. Ihr Navi sagte ihr, dass sie bald am Unfallort sein musste. Wenn Diva lebend aus dem Wrack entkommen und nicht zu schwer verletzt war, dann war nicht auszuschließen, dass sie sie von hier oben aus vielleicht sehen konnte.

      Ihr Handy ignorierte sie. Sie hatte es so eingestellt, dass jede Nachricht, die über Facebook kam, nun mit einem Signal angekündigt wurde, aber das war keine gute Idee gewesen. Als sie von der Autobahn fuhr, hatte sie zum ersten Mal angehalten und die Nachrichten gelesen. Es konnte ja sein, dass jemand Diva bereits entdeckt hatte. Dann begriff sie jedoch, dass sie sich mit ihrem Hilfeschrei keinen Gefallen getan hatte. Ihre Fans waren vollkommen außer sich, ihre Seite wurde mit gut gemeinten aber belanglosen Postings überflutet.

       „Wir lieben dich und sind bei dir!“

       „Hier, ein Schutzengel für die liebe Fellnase!“

       „Wir drücken dir so die Daumen!“

       „Wie kann ich helfen?“

       „Oh, du Arme! Ich sende dir alle Kraft, die ich habe!“

      So ging es weiter und weiter. Hundertfach. Tausendfach. Unmöglich, aus all den Nachrichten vielleicht die eine herauszufiltern, die helfen konnte! Verdammt! Und wie oft ihr Aufruf geteilt worden war! Mehr als vierzig Mal!

      Inzwischen ignorierte sie das ständige Klingeln.

      Langsam drehte sich Catrin um die eigene Achse und ließ den Blick schweifen. Wälder, Wälder und noch mal Wälder, die bergauf und bergab nahtlos ineinander überzugehen schienen. Buchstäblich. Soweit das Auge reichte.

      Eine bodenlose Verzweiflung wallte in ihr auf. Angesichts der endlosen Weite, in der ihre schwangere Hündin verlorengegangen war, überfiel sie tiefste Mutlosigkeit. Wie in Gottes Namen sollte sie, sollte überhaupt irgendjemand in diesem Meer aus endlosen Verstecken Diva finden?

      Catrin lehnte sich an ihren Wagen und verbarg ihr Gesicht in den Händen.


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