ROCK IM WALD - Ein Norbert-Roman. Andrea Reichart

ROCK IM WALD - Ein Norbert-Roman - Andrea Reichart


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knurrte Jürgen draußen und hievte sich schwerfällig aus dem Gartenstuhl. „Ich geh nur eben rüber und hol mein Gewehr“, sagte er und wollte sich auf den Weg zu seinem Haus machen, da sprang Gaby auf.

      „Das kommt nicht infrage, Jürgen!“, herrschte sie ihn an. „Du hast schon getrunken, du rührst das Ding heute nicht mehr an.“

      „Was?“, fragte er verblüfft.

      „Du hast mich genau verstanden“, beharrte Gaby. „Das Gewehr bleibt hier.“

      „Willst du Diva erschießen, wenn ihr sie findet?“, mischte sich Ulrike ein.

      „Nein, aber …“

      „Kein Aber, Herr Schulte!“ Gaby funkelte ihren Mann wütend an. „Berührst du in deinem Zustand heute noch eine Waffe, dann lernst du mich kennen!“

      „Ruuuuhe!“, knurrte Ulrikes Mann Herbert gedehnt, der in aller Seelenruhe am Grill stand und wartete, dass die Holzkohle ihre Temperatur erreichte.

      Norbert war Claudia wieder nach draußen gefolgt. Er musste trotz des Schrecks über Divas Entlaufen grinsen. Herbert mischte sich immer nur dann ein, wenn etwas aus dem Ruder zu laufen drohte. Kaum jemand aus ihrer kleinen Gruppe konnte allerdings Jürgen so gut ausbremsen wie er.

      „Ehrlich, Weiber!“, brummte Jürgen und gab sich geschlagen.

      „Seht lieber zu, dass ihr Diva findet, ehe der Sturm losgeht“, sagte Gaby und setzte sich wieder.

      „Was denn für ein Sturm?“ Norbert sah irritiert zum Himmel. Na gut, es war drückend schwül und es braute sich offensichtlich ein Gewitter zusammen, aber das musste ja nicht gleich Sturm bedeuten.

      „Eine meckernde Alte und ein Großstädter, der immer noch nicht weiß, wann es kracht und wann nicht“, moserte Jürgen und stopfte sich das durchgeschwitzte Hemd in die Hose. „Mir bleibt auch nichts erspart!“

      „Vorsicht, mein Lieber!“ Gaby hob warnend einen Finger.

      Norbert bückte sich und gab Claudia, die sich wieder hingesetzt hatte, einen Kuss. „Tut mir leid“, sagte er leise.

      „Quatsch! Geh und hilf Catrin. Aber halte mich auf dem Laufenden.“ Sie warf einen besorgten Blick zum Himmel. „Und pass auf Nobbi auf. Du weißt, dass er sich bei Gewitter am liebsten irgendwo verkriecht. Lass ihn nicht von der Leine, sonst sucht ihr nachher zwei Hunde.“

      „Keine Sorge“, sagte Norbert und warf einen Blick zur Terrassentür, in der nun auch sein Hund erschienen war. Wedelnd und den Ochsenziemer fest zwischen den Zähnen, schien er geradezu darauf zu warten, dass es losging.

      Wenn hier jemand auf den anderen aufpasst, dann wohl eher du auf mich als umgekehrt, dachte Norbert trocken.

      Kapitel 10

      Laura saß auf dem Liegestuhl neben ihm und las. Mal wieder.

      Ein beinahe seliges Lächeln lag auf ihren Zügen. Sie war in eine Geschichte eingetaucht, in der Heckeschneiden und Rasenmähen kein Thema waren. Und er sowieso nicht.

      Ben sah auf die Uhr. Gleich halb vier. Die Mittagsruhe war vorbei, wer jetzt noch im Bett lag und versuchte, zu schlafen, der hatte es nicht anders verdient. Laura und er hatten sich diese Woche freigenommen, aber trotzdem war das heute für die meisten Menschen ein ganz normaler Montag. Sah man mal von ein paar der kleineren Dörfer ringsum ab, die gerade in den letzten Zuckungen ihrer Schützenfeste lagen.

      Hier bei ihnen hatten sie es seit zwei Wochen hinter sich. Gott sei Dank. Ihr unmittelbarer Nachbar war Schützenkönig geworden, was für ein Spektakel! Beinahe zwei Tage hatte Ben gebraucht, um sich von dem Kater zu erholen. Und er war ans Haus gefesselt gewesen. Im Gegensatz zu anderen setzte er sich nämlich nicht mit Restalkohol hinters Steuer.

      Laura nannte das seine spießigen Buchhaltergene, obwohl er doch Architekt war. Aber sie konnte es nennen, wie sie wollte, er würde in dieser Hinsicht ganz bestimmt nicht von seinen Prinzipien abrücken. Nachher fuhr er noch gegen einen Baum, wie dieser arme Teufel, den sie ein paar Kilometer weiter gerade aus seinem völlig zerstörten Wagen kratzten. Stückchenweise, wie ihm sein Nachbar eben noch betroffen erzählt hatte. Nein, so wollte er nicht enden. Dann lieber spießig bleiben, den Wagen auch mal stehen lassen und gesund alt werden.

      Laura räkelte sich wohlig auf ihrem Stuhl und blätterte eine Seite um.

      Wie sie das hinbekam, ihn völlig auszublenden, sobald sie in einem ihrer Bücher versank, würde ihm ein Rätsel bleiben. Es war ja nicht so, als läse er nicht. Natürlich las er, im Urlaub sogar manchmal einen Krimi oder so, aber er war dabei allzeit ansprechbar und das war auch gut so. Laura hätte ihm den Kopf gewaschen, wenn er erst – wie sie – auf die dritte oder vierte Ansprache reagiert hätte.

      Er griff nach seinem Kaffee. Auf dem Tischchen zwischen Lauras Liegestuhl und seinem lagen zwei Bücher, die seine Frau bereits ausgelesen hatte. Auch so Nackenbeißer.

      Einmal, da hatte er sich abends etwas mutiger gefühlt als sonst und auch ziemlich gut gelaunt, weil er einen neuen Kunden gewonnen hatte. Laura stand im Bad, ein Tuch um die Hüften geschlungen. Sie sah so begehrenswert aus! Er zog sich das Hemd über den Kopf und näherte sich ihr mit nacktem Oberkörper von hinten. Als sie ihn im Spiegel erblickte, lächelte er und stülpte sich dann so über ihre Schulter, wie die muskelbepackten Wilden auf den Umschlägen ihrer Lektüre.

      „Was ist denn mit dir los?“, lachte sie, als er begann, ihren Hals abzuknutschen.

      „Das ist die heiße Leidenschaft, die mich gerade von der Klippe stürzen lässt!“

      Sie lachte, als sie sich zu ihm umdrehte und ihn küsste.

      Es war dann wirklich auch eine tolle Nacht geworden. Sie liebten sich zweimal. Wunderbar, aber auch ein wenig beängstigend. Laura war im Vergleich zu sonst nämlich richtig zügellos gewesen und er wurde den Verdacht nicht los, dass sie in die Rolle einer ihrer Romanheldinnen geschlüpft war. Die Frage war nur: War er so toll gewesen wie der Held? Fragen konnte er sie schlecht, aber er lag die halbe Nacht grübelnd wach.

      Im Grunde konnte es ihm doch wurscht sein. Hauptsache, es lief zwischen ihnen noch. Sie waren beide Ende dreißig, da hörte man schließlich die schlimmsten Sachen.

      „Und? Worum gehts in dem Buch?“, fragte er unvermittelt und wusste selbst nicht so genau, welcher Teufel ihn ritt. Wenn Laura eins hasste, dann beim Lesen unterbrochen zu werden.

      Erwartungsgemäß reagierte sie nicht. Als wäre sie taub. Sie koppelte beim Lesen alle Sinne von der Außenwelt ab, vor allem ihren Hörsinn.

      „Ich werde dich heute Abend noch verlassen und nach Indien auswandern.“

      Nichts.

      „Als ich das letzte Mal beim Finanzamt war, hat mich die Sachbearbeiterin am Hintern berührt.“

      Nichts.

      „Wolf ist mit Candrine Cook von Hamburg aus im Zug zurückgefahren und findet sie süß.“

      „Was?!“

      „Ach, das hast du mitbekommen?“

      „Wirklich? Mit Candrine Cook?“ Laura zeigte aufgeregt auf ihr Buch.

      Er stand auf, als habe er ihre Frage nicht gehört, und reckte sich nonchalant, dann ging er langsam und gelassen vor sich hin pfeifend Richtung Geräteschuppen.

      Hinter ihm raschelte es, als seine Frau hastig aufstand und ihre Lektüre achtlos ablegte.

      „Moment! Warte doch mal!“

      Du bist nicht die Einzige mit einem Schalter im Kopf, dachte er und ignorierte sie. In aller Ruhe öffnete er die Tür des kleinen Schuppens und holte die schwere Heckenschere hervor. Dann ging er an ihr vorbei, zurück Richtung Haus, und steckte den Stecker in die Außensteckdose. Probeweise ließ er die Maschine anlaufen.

      „Hey! Ich rede mit dir!“ Laura riss das Kabel mit einem


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