ROCK IM WALD - Ein Norbert-Roman. Andrea Reichart

ROCK IM WALD - Ein Norbert-Roman - Andrea Reichart


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konnte sich schließlich jeder Hans-Wurst mit einer künstlichen Identität so aufblähen, dass man ihm die Rettung der Welt zutraute. Na gut, sie als Autorin bediente sich auch gerne eines starken Protagonisten, der die Frauenherzen höher schlagen ließ, aber genau deshalb war sie ja so skeptisch, denn eines hatte sie das Leben gelehrt: Helden gab es nur auf dem Papier.

      Catrin war inzwischen so verzweifelt, dass sie sich fast wünschte, dieser Rock Hudson und seine Groupies würden Diva so schnell wie möglich zu ihrer eigenen Sache machen. Es ging schließlich um das Leben ihrer Hündin und deren Babys, da musste sie ihre eigenen Befindlichkeiten einfach mal zurückstecken. Selbst wenn sie eine Gänsehaut bekam, sobald sie nur an das Großmaul dachte, dessen Postings irgendeiner ihrer Fans immer wieder teilte und damit auch über ihre eigene Timeline trieb.

      „Arrrgghh!“ Sie schüttelte sich. Dann tippte sie schnell eine zweite SMS und drückte auf Senden.

      Kapitel 9

      Es war ein Tag wie jeder andere, fand Norbert. Ein wenig stickiger vielleicht, weil es so schwül war, aber ansonsten wie immer. Die Welt war in Ordnung, alle Menschen, an denen sein Herz hing, saßen draußen auf seiner Terrasse und ließen die Seele baumeln. Alle, außer seiner Nachbarin Ulrike, die noch mit ihren Hunden und Nobbi unterwegs war. Seiner Ansicht nach war es wirklich nicht nötig gewesen, dass sie eine volle Runde drehte, die Hunde waren nämlich genauso träge wie er und die anderen, und wenn einer hätte pinkeln wollen, dann war der Garten dafür ja wohl groß genug. Aber was regte er sich auf? Wenn sich Ulrike mit ihrer unerschöpflichen Energie entschied, eine Runde durch die Felder zu gehen, dann war das eben so. Ihre neue Hündin brauchte auch noch etwas Training. Karla gehorchte zwar inzwischen ganz gut, aber es kam doch immer wieder vor, dass sie plötzlich am Zaun stand und nach ihrem besten Kumpel bellte, während Ulrike noch mit dem kurzbeinigen Dackel Friedrich unterwegs war.

      Norbert schloss die Augen. Was ging es ihm gut! Claudia hatte sich bestens erholt, wenngleich sie noch immer nicht zu ihrer alten Form zurückgefunden hatte. Nun, das würde sich vielleicht auch nicht mehr ändern. Die Verletzungen, die sie sich in Thailand zugezogen hatte, waren ja auch nicht gerade harmlos gewesen. Und sie war ja keine zwanzig mehr. Im Gegenteil. Er und Claudia gingen, wie Jürgen nicht müde wurde hervorzuheben, auf die Sechzig zu. Und Jürgen auf die Siebzig, wie Gaby ihrem Mann gerne unter die Nase rieb, wenn er mit dem Thema anfing.

      Wenn Jürgen wenigstens ein anständiges Hobby hätte, dachte Norbert. Dann würde ihm der Ruhestand nicht so zu schaffen machen. Wie Papa ante Portas ging er ihnen allen auf die Nerven, es sei denn, er konnte sich mit seinen Kumpels treffen und auf unschuldige Tiere schießen. Nach wie vor gab es nichts in Jürgens Leben, was ihn in bessere Stimmung versetzte als ein schönes Jagdwochenende. Norbert hatte längst aufgehört, mit seinem besten Freund darüber zu streiten, wie pervers das war.

      Das Quietschen des Gartentörchens, das Jürgens großes Grundstück von Norberts trennte, ließ Norbert seufzen. Jetzt war es mit der Ruhe vorbei.

      Er öffnete die Augen und schirmte sie mit der Hand gegen die Mittagssonne ab, die gerade mal wieder zwischen zwei Wolken hervorlugte und ihn blendete, während er Jürgen entgegensah.

      Oh oh, sein Freund war gar nicht gut gelaunt. Der energische Schritt, mit dem er die Rasenfläche überquerte, versprach nichts Gutes. Und dass Jürgen sich nicht einmal umgezogen hatte, sondern immer noch dieselben Sachen trug, in denen er heute Nacht auf Jagd gewesen war, auch nicht.

      „Mein Gott, jetzt mach doch nicht so ein Gesicht!“ Gaby, Jürgens hübsche Frau, schüttelte den Kopf und sah ihren Mann strafend an, als dieser sich mit einem unterdrückten Fluch auf den freien Gartenstuhl fallen ließ.

      „Was denn?“, schoss Jürgen frustriert zurück. „Wir mussten abbrechen. Der angefahrene Eber ist in dem Wald dieses Spinners untergetaucht.“

      „Gott sei Dank“, sagte Claudia leise, aber Norbert warf ihr einen warnenden Blick zu. Wenn Jürgen eins nicht vertragen konnte, dann Diskussionen über den Sinn und Unsinn seiner einzigen Leidenschaft.

      „Komm, beruhige dich“, sagte er und drückte Jürgen ein kaltes Bier in die Hand. „Prost!“

      „Prost!“, knurrte Jürgen, dann leerte er die Flasche in einem Zug.

      „Norbert? War das dein Handy?“, fragte Ulrike, die gerade mit den Hunden reinkam. „Im Flur hat irgendwas gepiepst.“

      „Wirklich?“ Norbert stand auf. Er machte sofort einen Schritt zur Seite, als der Dackel und Karla bellend an ihm vorbei und in den weitläufigen Garten stürmten. Wo war denn sein Hund?

      Was für eine Frage, dachte er und ging in den Flur. Er schnappte sich das Handy von der Kommode. Es leuchtete von dem Empfang der SMS noch einmal kurz auf, dann verabschiedete es sich in den Ruhezustand.

      Kopfschüttelnd betrat Norbert die Küche.

      Wenn Nobbi eines nicht leiden konnte, dann Ritualbrüche, dachte er, als er seinen und Claudias Pointer-Mix vor dem Küchenschrank liegen sah. Die schweigsame Beharrlichkeit, mit der der kluge Hund kommunizierte, konnte ihm das Herz brechen. Die anderen Hunde tobten längst durch den Garten, Nobbi jedoch lag vor dem Schrank und wartete. Nein, Norbert würde nicht riskieren, den stummen Appell seines Vierbeiners zu ignorieren. Nobbi wusste schließlich genau, was er wollte, und er teilte ihm dies gerade auf sehr hohem Niveau mit. Norbert war inzwischen fest davon überzeugt, dass er der Blöde war und nicht sein Hund. Wenn es irgendwelche Verständigungsprobleme zwischen ihm und Nobbi gab, dann ganz sicher nicht, weil der Hund sich unklar ausdrückte. Nein, er, Norbert, war derjenige, der hier Defizite aufwies. Wie die meisten Zweibeiner.

      „Okay, okay, ich habs ja kapiert!“, sagte er und öffnete die Schranktür, während Nobbi zufrieden wedelte.

      „Widerlich!“, sagte Norbert und atmete durch die Nase, als er mit spitzen Fingern ein paar Ochsenziemer aus einer Tüte fummelte und einen an seinen Hund weiterreichte. Daran würde er sich nie gewöhnen. Wirklich nie.

      „Zufrieden?“, fragte er angewidert.

      Kommentarlos aber mit einem Blick, der Bände sprach, zog sich Nobbi mit seiner Beute in einen stillen Winkel des Hauses zurück.

      Norbert lauschte. Nein, das Klackern von Pfoten ging nicht die Treppe hinauf, sondern ins Wohnzimmer. Gut so. Dass Ochsenziemer und dergleichen Obszönitäten nicht unter Kopfkissen vergraben wurden, hatte Nobbi also scheinbar nun endgültig begriffen.

      Norbert drückte Ulrike, die ihm in die Küche gefolgt war, die übrigen Ochsenziemer in die Hand, und während sie damit nach draußen verschwand, widmete er sich der Nachricht, die er erhalten hatte.

      Nanu? Catrin? Das war ungewöhnlich. Hatte sie Fragen zum nächsten Vertrag? Nein, das konnte eigentlich nicht sein. Sie hatten erst letzte Woche telefoniert und da war alles in Ordnung gewesen. Von all den Autorinnen und Autoren, die Norbert als Literaturagent vertrat, war Catrin nicht nur eine der Erfolgreichsten, sondern sicher auch eine der Genügsamsten. Und Sympathischsten. Sonst würde sie ja inzwischen nicht quasi zur Familie gehören.

      Aufmerksam las er ihre kurze Mitteilung, dann tippte er eilig seine Antwort. Nachdem er sie abgeschickt hatte, atmete er tief durch und ging ins Wohnzimmer.

      „Friss schneller, Nobbi, wir müssen noch mal raus“, sagte er und wunderte sich nicht, als sein Hund für einen Moment mit dem Kauen innehielt und ihn aufmerksam ansah. Die Art, wie eine seiner Augenbrauen dabei in die Höhe wanderte, ließ Norbert grinsen. „Richtig“, sagte er. „Ernstfall. Und wie.“

      „Jürgen?“ Norbert betrat nur kurz die Terrasse.

      „Was ist?“, knurrte dieser.

      „Stell das Bier weg, ich brauche deine Hilfe!“ Eilig ging er zurück in den Flur und schnappte sich den Autoschlüssel.

      „Was ist denn los?“, rief Claudia erschrocken von draußen.

      „Catrins Hund wurde in einen Unfall verwickelt und ist abgehauen. Irgendwo an der Sorpe“, rief er zurück.

      „O mein Gott!“


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