Sehnsucht nach Glück - im Gestern, im Morgen, im Jetzt!. Ilona M. Fudali

Sehnsucht nach Glück - im Gestern, im Morgen, im Jetzt! - Ilona M. Fudali


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hätten und schauten sie erwartungsvoll an. Der Schaffner wiederholte abermals seine Worte, während sie sich heimlich unter ihrer Tasche in den Arm zwickte, um sich zu vergewissern, dass sie nicht träumte. Und wenn sie träumte, so wollte sie endlich aus diesem Alptraum erwachen. „Hat es ihnen die Sprache verschlagen, junges Fräulein, oder fahren sie heute schwarz?“, betonte nochmals die etwas angehobene Stimme. Sollte sie jetzt anfangen, sich zu entschuldigen? Sollte sie ihm jetzt erklären, wieso, weshalb und warum? Ihre Kehle schnürte sich zu. Die Verzweiflung stand ihr ins Gesicht geschrieben. Weglaufen war jetzt unmöglich! Sie stotterte nur ein klägliches „Ich, … ich …“ hervor und sah lauter hässlicher Glubschaugen der Mitreisenden auf sich kleben. Nur noch ein Wunder könnte sie jetzt von ihren Qualen erlösen.

      „Hhmm“, räusperte sich jemand hinter dem Schaffner, „entschuldigen sie Herr Schaffner. Hier ist das Busticket der jungen Lady. Sie hat es vorhin in der Eile fallen lassen. Ich hätte es ihnen sofort geben müssen, aber ich Tollpatsch war gerade abgelenkt. Bitte, nehmen sie es.“ Der Schaffner nahm das Ticket nach kurzem Zögern in die Hand, sah es sich prüfend an und nickte dann schließlich zustimmend. Schweigend ging er weiter, ohne großartig irgendwelche Fragen zu stellen. Die Glubschaugen wurden verdächtig zusammengekniffen, bevor sie von ihr abließen.

      Es konnte nicht wahr sein! Sie hatte doch kein Ticket gehabt und dieser Mensch kam ihr wirklich wie vom Himmel herab. Erleichtert drehte sie sich nach der Person, die ihr das Leben gerettet hat um, um sich zu bedanken, und wünschte sich im gleichen Augenblick, am liebsten sofort im Erdboden zu versinken.

      Denn da war er wieder.

      Der geheimnisvolle Junge, dessen Gesicht sie in letzter Zeit nicht aus dem Gedächtnis ausradieren konnte. Er lächelte sie wieder verschmitzt an. Eigentlich wünschte sie sich insgeheim, ihn einmal wieder zu sehen, aber nun war sie nur peinlich berührt und etwas wütend über den Vorfall. Sie zog die Stirn zusammen, senkte den Blick und drehte sich energisch wieder um. Sie fühlte nur wie sie langsam in sich zusammensackte und sich so lächerlich vorkam. Ihre Gefühle waren auf einmal so aufgewühlt und sie bekam sie nicht mehr in den Griff. Ihre Augen füllten sich mit Tränen; sie wünschte der Tag sei zu Ende. Wie in Trance stieg sie an der Schule schnell aus. Sie sah zu allem Unheil aus den Augenwinkeln ihre Tasche voll beschmiert mit Butter und weil ihr das alles zu viel war, rannte sie ohne zu überlegen einfach drauf los. Sie rannte und sprintete davon, als wenn jemand ein Startschuss zum Wettlauf abgegeben hätte. Kein Hindernis konnte sie jetzt aufhalten. Sie merkte wieder den großen, dicken Knoten in ihrem Hals, der jetzt riesig zu schmerzen begann und ihr Herz schien gleich zu zerspringen. Die Dinge gerieten in letzter Zeit zu sehr außer Kontrolle und das war jetzt irgendwie zu viel für sie. Der Geschichtsunterricht rückte in die weite Ferne und die Konsequenzen waren ihr egal. Sie wollte weg, am liebsten bis an das andere Ende der Welt, wo sie keiner kannte und sah und alles Schlimme vorbei war.

      Da saß sie nun, in dem Vorraum der Toilettenräume der Schule neben dem Waschbecken in der Ecke verweint und außer sich. Der ganze Greul und Schmerz brach nun aus ihr heraus, sie heulte wie ein Schlosshund, denn keiner konnte sie hier hören. Sie wusste nicht den genauen Grund, es brach aus ihr einfach aus. Wieso gab es denn so viele Hindernisse auf dem Weg zum glücklich sein, fragte sie sich immer und immer wieder. Sie verstand nicht, warum allen Leuten um sie herum alles gelang, warum sie lachen konnten, ständig Lorbeeren sammelten und keine Probleme hatten. Sie wüsste zu gerne, warum es bei ihr nicht so war und warum zum Kuckuck noch mal ihr das Leben so schwerfiel. Diese kalte und unberechenbare Welt, die sie um sich herum wahrnahm, machte es ihr zu schaffen. Das Weinen schien jetzt der einzige Trost zu sein, der ihr noch blieb. Schwer, eigentlich überhaupt nicht, konnte sie sich nur annähernd einen Menschen vorstellen, der sie etwas verstehen würde. Sie wünschte sich so unbeschwert und leicht wie eine Feder zu sein – alles wäre dann vielleicht leichter.

      Als der tief innere Schmerz nach einiger Zeit langsam nachließ, öffnete sie die Augen, schluchzte und schniefte noch ab und zu, putzte sich die Nase und beäugte dann ihre Umgebung, in die es sie heute Morgen verschlug. Sie schaute sich die weißen Kacheln an den Wänden an, spürte auf einmal die starke Kälte, die vom Boden her zog ganz deutlich. Ihr Blick kreiste langsam umher, bis er an der gläsernen Eingangstür zu den Toilettenräumen hängen blieb. Eine Fliege versuchte verzweifelt gegen das Glas anzufliegen und verwendete die ganze Energie darauf, einen Weg in das Freie zu finden, einen Weg in die Natur zu schlagen. Die Fliege tat ihr leid, denn sie wusste, dass diese ohne ihre Hilfe ein unlösbares Problem hat. Sie stand kurz entschlossen auf und drückte die große Tür weit auf. Die Fliege wusste noch nicht so recht wohin, aber als sie den Luftzug erst einmal vernahm, war sie mit einem Flügelschlag auf und davon.

      Sie schaute ihr sehnsüchtig hinterher bevor sie wieder zu ihrer Tasche zurückging, um sie aufzuheben. Etwas gedankenverloren strich sie sich eine Haarsträhne aus ihrem Gesicht zur Seite und schlenderte schleichend heraus aus dem „Raum der Tränen“. Kaum vor der Tür bekam sie aber einen riesigen Schreck, denn an der Tür stand jemand aus der Hocke vom Boden auf, so schnell, als würde er sich bei einer schlechten Tat ertappt fühlen.

      Da war er wieder.

      Der unbekannte Junge, der sie seit Tagen entweder auf der Straße oder heute im Bus oder seit dem Vorfall am Fenster in ihren Gedanken verfolgte. Ihr Schritt erstarrte für zwei Sekunden.

      Der Junge schwieg und sah etwas verlegen aus. Die Blicke trafen sich. Schweigen umhüllte die gespannte Atmosphäre.

      Sie biss die Zähne zusammen und schluckte, schaute ganz schnell weg und nahm ihren Schrittgang ohne ein Wort zu wechseln entschlossen auf. Immer schneller und schneller ging sie davon – sie wollte schnell flüchten, denn er sollte ihre verweinten und dadurch geschwollenen Augen nicht ansehen.

      Sie fühlte sich beschämt, denn nun wurde ihr klar, er hat an der Tür alles mitgekriegt. Er dachte jetzt bestimmt von ihr, sie sei völlig übergeschnappt so wie sie da vor sich hin heulte. Sie hatte Angst, er würde sie auslachen, sie verspotten und nicht verstehen. Jetzt nur noch nach Hause gehen, dachte sie sich und wurde nur noch schneller im Gang bis sie rannte.

      „Jule!!!“, rief er ihr nach, „Jule, warum rennst Du weg? Warte doch, ich möchte Dir etwas sagen!“ Sie sah sich hastig um, er lief ihr tatsächlich nach. „Warum machte er das?“, fragte sie sich, warum stellte er ihr das Leben auf dem Kopf und machte alles nur noch komplizierter als es schon selber war? Warum verschwand er nicht einfach und ließ sie nicht in Ruhe? Sie hatte doch keine Kraft mehr und nun, wie verteufelt, kriegte sie auch noch die riesige Ausgangstür der Schule nach draußen nicht auf. Schnell, dachte sie sich, bevor er mich einholt. Sie drückte und stemmte die Tür, sie schob und stieß diese. Doch die Tür rührte sich nicht von der Stelle. Die Kraft verließ sie, so dass sie schließlich der Kraftlosigkeit nachgab. Resigniert sanken ihre Hände nach unten. Gleich würde er sie einholen. Wie in eine Ecke gedrängt, wie gefangen fühlte sie sich. Gleich wird sie die riesige Welle überrollen und sie wird vor Scham und Angst untergehen. Sie fühlte sich hilflos und wie ein Opfer ihrem Täter ausgeliefert. Sie kniff die Augen fest zusammen.

      „Warte, ich helfe Dir“, klang es nun sanft hinter ihrem Rücken. Er hat sie eingeholt und nun legte er seine Hand auf ihre Schulter und drehte sie zu sich um. Er hob ihr Kinn hoch und lächelte ihr aufmunternd zu. Vorsichtig machte sie die Augen auf und sah in seine leuchtenden Augen. Sie waren so strahlend und tief blickend. Er streichelte zart ihr Gesicht und drückte sodann die vorhin so schwere und klemmende Tür mit einem Ruck nach vorne weg. Mit prüfendem und fragendem Blick schaute sie ihn an und fragte verwundert, nachdem sie ihre Stimme wieder gefunden hat: „Woher kennst Du eigentlich meinen Namen?“ Sie standen noch immer im Eingang. Der Junge schwieg. Seine Augen umarmten ihr Antlitz. Er nahm vorsichtig ihre Hand und sagte nur: „Komm, lass uns gehen.“ Sie zögerte, gab ihm aber ihre Hand. Sie gingen langsam ein paar Schritte vor die Tür. Doch ein Gefühl des Unbehagens breitete sich in ihr aus, so dass sie seine Hand losließ und sich gezwungen sah zu sagen: „Ich kann nicht mit dir weitergehen.“ Sie blieben stehen. Die Stille und die Ratlosigkeit, Worte zu finden machten beide verlegen. Sie klammerte sich mit beiden Händen an ihre mit Butter beschmierte Tasche, während er schnell seine Hände in den Hosentaschen verschwinden ließ. Ihre Blicke wanderten zwischen Boden und Ihren Gesichtern. Nach einer Weile fingen sie plötzlich ohne Vorahnung den gleichen Satz an:


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