Sehnsucht nach Glück - im Gestern, im Morgen, im Jetzt!. Ilona M. Fudali

Sehnsucht nach Glück - im Gestern, im Morgen, im Jetzt! - Ilona M. Fudali


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den linken, drehte sich um und ging dann los. Bevor sie um die Ecke einbog, drehte sie sich noch einmal um und rief zu ihm hinüber: „Wie ist denn eigentlich dein Name?!“

      „Ferdinand!“, rief er zurück.

      Er stand immer noch wie angewurzelt da, mit den Händen in den Hosentaschen. Er sah noch, wie sie ihn anlächelte, bevor sie ganz um die Ecke verschwand.

      Wird er sie nach den Ferien wieder sehen?

      Es war ziemlich ruhig um Jule herum. Ab und zu fuhren nur irgendwelche Autos oder Busse vorbei. Sie war auf dem Weg nach Hause. Dieses Mal zu Fuß, da sie doch ihre Monatskarte für den Bus nicht bei sich hatte. Aber im Nachhinein kam ihr das wie gelegen. All die Dinge, die sie momentan tief berührten, konnte sie jetzt in Ruhe für sich verarbeiten. Hier gab es keine Glubschaugen mehr, wie heute Morgen und keine Überraschungen, wie den Ferdinand, jedenfalls hoffte sie das zumindest. Jeden Tag fuhr sie diesen Weg entlang, doch musste sie feststellen, vieles war ihr vorher nicht aufgefallen. Sie nahm nicht wahr, welche Gebäude, Menschen, Geschäfte und welche Gewohnheiten diese Straßen, die zu ihrem Haus führten, zu erzählen hatten. Die Sonne strahlte sie an; machte das Gehen etwas schwerfälliger. Kaum vorstellbar, dass es erst Frühling war. Aber Jule fühlte nicht die Wärme, sondern vielmehr die immer noch so große Leere in sich, und irgendwo ganz tief Trauer. Sie setzte sich auf eine Bank und holte erst einmal ganz tief Atem, der immer zu knapp zu sein schien. Sie dachte über Ferdinand nach. So war doch sein Name, nicht wahr? Er war ganz nett, aber sie wusste nicht so recht welchen Platz er in ihrem Leben einnehmen sollte. Sie hatte etwas Angst, ihn näher kennenzulernen. Es tat nämlich weh, wenn man Menschen an sein Herz ließ. Es schmerzte zu sehr, wenn sie dann wieder plötzlich aus dem eigenen Leben verschwanden und nicht mehr auftauchten. So wie ihre Oma. Sie musste ganz oft an sie denken. Ihre geliebte Oma. Seit ihrem Tod fehlte etwas Entscheidendes in Jules Leben, was nie mehr zu ersetzen war. Alles ging ganz schnell, damals, vor einem Jahr. Die plötzliche Nachricht vom Krebs, die Diagnose Endstadium, die kurze Therapie, bei der jeder wusste, es gibt keine Hoffnung mehr. Es war eine schwere Zeit für alle. Jule konnte es trotz ihrer 15 Jahre immer noch nicht begreifen. Ihre Oma ist verstorben. Sie war ein ganz besonderer Mensch, eine verwandte Seele, immer ein leuchtender Stern am Horizont, der mit einem Mal verloschen war und nie mehr zurückkommen würde. Tränen quirlten in ihren Augen auf. Sie wusste keinen Trost für sich. Sie fühlte sich so einsam. Ihre unerfüllte Sehnsucht nach dem, was sie mit ihrer Oma teilte, machte sie schwach und antriebslos. Sie würde nie wieder die gleiche Freude erlangen wie zuvor. Ihre Schultern hingen herab und sie hatte keine Lust jetzt in die leere Wohnung zu gehen. Ihre Mutter würde erst abends von der Arbeit kommen und die Schularbeiten mussten auch nicht dringend erledigt werden, da am folgenden Tag das Wochenende kam. Während Menschen von links und rechts an ihr vorbeigingen, saß sie auf der Bank, wie hinter einem Nebelschleier abwesend. Sie beachtete wieder nicht den alten gebeugten Mann mit der Einkaufstasche, der sich jetzt neben sie setzte, eine Zeitung aufschlug und begann in ihr zu lesen.

      Erst nach einer Weile räusperte sich der Mann und fragte Jule: „Entschuldigen sie junge Frau, könnten sie mir sagen, wie spät es ist?“

      Jule schaute überrascht auf, sah auf ihre Uhr und antwortete dann nur unbekümmert: „Es ist gerade zwanzig Minuten nach eins.“

      „Danke“, gab der alte Mann zurück und vertiefte sich wieder in seiner Zeitung. Unbeteiligt fiel Jules Blick auf das aufgeschlagene Zeitungsblatt und wanderte über die großen Schlagzeilen. „Die Arbeitslosigkeit steigt!“, „Hilfe für Opfer im Erdbebengebiet“, „Mutter zweier Kinder wurde entführt“ … Jule schüttete nur den Kopf, schaute den Mann von der Seite an und konnte sich auf einmal eine Frage nicht verkneifen: „Entschuldigen sie, aber entsetzen sie diese vielen negativen Schlagzeilen nicht?“

      „Wie bitte?“

      „Ich möchte sie fragen, wie sie so ruhig die Zeitung lesen können, wenn die eine Nachricht schlimmer klingt als die andere. Wie schaffen sie es gelassen zu sitzen und nicht zu verzweifeln? Packt sie nicht die Hoffnungslosigkeit?“

      Der Mann lachte kurz auf.

      „Haha. Aber nein. Nicht doch. Dafür lebe ich schon zu lange, um zu wissen, dass das nicht alles im Leben ist. Auch wenn mich die düsteren Nachrichten oft treffen, verzweifle ich nicht. Ich weiß, dass alles einen Sinn hat. Ich glaube an das Leben. Ich glaube daran, dass alles sich zum Guten wendet.“

      Jule war nicht zufrieden mit der Antwort.

      „Aber schauen sie, diese vielen Leute verlieren Arbeitsplätze, geliebte Menschen oder auch Sachen, an die sie gebunden waren. Bei diesen Leuten entsteht Unsicherheit und Angst um die eigene Existenz. Sie haben keine Kraft, um weiter zu leben. Wenn sie selbst das erleben würden, würden sie dann immer noch so optimistisch daher reden und ihres Lebens froh sein?“

      Der Mann machte ein nachdenkliches Gesicht, kniff die Augen zusammen und schaute Jule durchdringend an.

      „Ich will ihnen nicht zu nahe treten, junge Lady, aber ich sehe, sie nehmen das Weltgeschehen sehr persönlich. Sie sind sehr aufgebracht und sehen traurig aus. Vielleicht haben sie einfach gerade nur Wut und sind über ihre eigene Lebenssituation verzweifelt?“

      Der alte Mann war im Begriff die Zeitung zusammenzufalten und zeigte sich jetzt interessiert. Jule schwieg. Sie senkte den Kopf und schaute etwas verlegen zu Boden. Als Jule länger nicht antwortete, wollte der alte Mann sie nicht zum Reden zwingen und ging wieder auf Distanz, um Jule nicht zu bedrängen. Schließlich kannten sich beide nicht. Er breitete wieder die Zeitung aus und las weiter. Jule schwieg. Sie war einfach von Direktheit des Mannes überrascht. Sie fühlte sich etwas überrumpelt, weil ihr gar nicht bewusst gewesen war, dass die Schlagzeilen sie persönlich trafen und dass sie ein Problem hatte. Sie hat das so nicht gesehen. Sie bemerkte, dass sie sich gerade in ihrem Tonfall etwas gehen ließ. Sie kannte den Mann doch überhaupt nicht. Aber sie merkte auch, dass es ihr auch gut tat, den Gefühlen freien Lauf zu lassen. Das hat sie sehr lange nicht einfach so spontan gemacht. Sie hatte zwar oft ein unglaubliches Verlangen am liebsten alles an die Leute rauszulassen, was in ihr schrie und weinte, aber das konnte sie nicht seit dem Tod ihrer Oma. Sie schwieg seitdem nur noch und plötzlich war wieder dieser Schmerz da und die Leere nahm ihr den Atem. Sie konnte sich nicht mehr halten und schluchzte jetzt los. Tränen liefen ihr über die Wangen, was der alte Mann auch bemerkte. Er überlegte nicht lange, nahm nur ein Taschentuch aus seiner Brusttasche und reichte es Jule.

      „Danke“, sagte Jule schniefend, „Ich weiß auch nicht was mit mir los ist. Ich bin einfach nur leer und traurig. Ich kann nicht verstehen, wie man Hoffnung haben kann und woher man Energie zum Leben findet. Es fällt mir alles so schwer und in letzter Zeit überfordert mich einfach alles. Entschuldigen sie.“

      Der Mann legte die Zeitung zur Seite.

      „Ich weiß. Sie fühlen sich schwach und sie glauben keine Kraft mehr zu finden. Das kenne ich viel zu gut. Wenn alles schwarz aussieht, man keinen Halt findet, keinen Plan hat und eine Wand vor dem Kopf sieht, die nicht zu durchbrechen ist, dann fühlt man sich so. Aber glauben sie mir, das ist nicht das Ende. Leere und Traurigkeit entstehen, wenn man von etwas vergangenem Abschied nehmen muss, aber in der Tiefe alles immer noch dagegen kämpft, es loszulassen. Lassen sie ihre Gefühle los und wenn sie weinen wollen, ist das ein guter erster Schritt.“

      Der Mann machte eine kurze Pause und fügte dann noch hinzu: „Als meine Frau vor einigen Jahren verstorben ist, fühlte ich dasselbe. Ich fühlte einen großen Schmerz. Ich dachte, ich werde sterben oder wenigstens daran zerbrechen. Ich war wütend auf alles, doch ich fraß lieber alles in mich hinein. Doch sie sehen, ich lebe noch.“ Der Mann lächelte Jule aufmunternd zu.

      „Aber verraten sie es mir: Wie haben sie es geschafft des Lebens froh zu werden?“, fragte Jule jetzt mit großen Augen und voller Neugierde.

      „Sie wollen mein Geheimrezept erfahren?“

      „Ja“, antwortete Jule aufmerksam.

      „Gut, ich werde es ihnen zeigen. Haben sie jetzt etwas Zeit?“

      Jule hatte in der Tat Zeit und auch nichts vor. Sie nickte nur.

      „Dann kommen sie mit,


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