Friedrich Schiller – Basiswissen #02. Bert Alexander Petzold
Pflanzschule“ eine Akademie von Rang, die ebenso Allgemein- und Handelsschule wie Kunst-, Theater- und Musikakademie war. Ganz nach dem Zeitgeist fand schon 1772 neben den Künsten auch die Wissenschaft ihren Platz im Lehrplan, und so etablierte sich die Akademie ebenfalls im Zeichen der Aufklärung. 1775 zog die Akademie von der Solitude nach Stuttgart und wurde damit vollends zur Militärakademie.
Mit dem Umzug nach Stuttgart schlug die Akademie ihren Weg zur hohen Karlsschule und Universität ein, den sie 1781 mit der Ehrung durch Kaiser Joseph den II. vollendete. Stadt und Akademie beeinflussten sich von Anfang an gegenseitig, so bemerkte Otto Borst bereits 1775: „Mit der aufklärerischen Haltung und mit den Elementen einer rationalen Wissenschaftlichkeit, die aller supranaturalen Verklärung der Herrschaft so entgegensteht und begreifliche Spannungen in der Carlsschule selbst ausgelöst hat, kommt zugleich spezifisch städtisches, urbanes Denken nach Stuttgart, eine Zufuhr, die in ihren historischen Rückwirkungen innerhalb der Stadtgeschichte gar nicht überschätzt werden kann.“
Der breitgefächerte Lehrplan und der moderne Anspruch machte die Akademie zum einmaligen Phänomen und zog Reisende aller Art nach Süddeutschland. Selbst der Herzog konnte sich dem Einfluss nicht entziehen und wandelte sich vom starren Absolutisten und Despot zum aufgeklärten Herrscher nach dem Vorbild Friedrichs des II. von Preußen. Der Wunsch nach einer Gelehrtenrepublik bewegte den Dynasten, er und seine Mätresse Franziska von Hohenheim bemühten sich um die Schüler nach dem Vorbild der bürgerlichen Familie.
An der Akademie selbst herrschte strikt militärische Ordnung. Die Schüler trugen durchgehend Uniform, wurden zu jedem Zeitpunkt überwacht und der Tagesablauf war auf die Sekunde durchgetaktet. Der junge Schiller war am 16. Januar 1773 aufgenommen worden und fühlte sich eingeengt, schon 1774 fehlte ihm der Ehrgeiz für das Jurastudium, oft war er krankheitsbedingt abwesend. Er vernachlässigte die Studien zugunsten der Literatur, schrieb zusammen mit Kommilitonen, die später Freunde wurden. Sie fühlten sich verbunden, nicht zuletzt weil das Schreiben an der Akademie verkannt und der reine Akt zur politischen Haltung wurde.
Für Schiller war 1775 nicht nur wegen des Umzugs der Akademie nach Stuttgart bedeutend, denn Jakob Friedrich Abel übernahm im selben Jahr den Philosophieunterricht. Dessen Lehren, die Aufklärung mit Sturm und Drang verwoben, trafen bei Friedrich auf äußerst fruchtbaren Boden – und so wurde er zum Beispiel von dessen „Rede über das Genie“ schon damals stark beeinflusst. Schiller entschied sich zudem, zur Medizin zu wechseln, fand sich zwar in der Naturwissenschaft eher wieder, blieb aber als Arzt auf Lebzeiten dilettantisch. Seine Aufmerksamkeit galt zu jenem Zeitpunkt vornehmlich den Studien – die erste Dissertation wollte er über die „Wirkung der Materie auf den Geist“ schreiben, sie wurde wegen der höchstens abstrakten Beziehung zur Medizin abgelehnt. Der Herzog sympathisierte zwar mit Schillers forschem Ton, trug ihm aber trotzdem ein weiteres Jahr an der Akademie auf.
Die grobe Idee für „Die Räuber“ hatte Schiller schon 1777 gefasst, schlussendlich geschrieben hat er das Drama aber erst 1780. Sein allumfassender, stände- und generationsübergreifender Erfolg, der mitunter auf die tiefe Verankerung im Zeitgeist und den Protest gegen das Väterliche und alles Etablierte zurückzuführen ist, ließ im ersten Moment jedoch auf sich warten.
Schiller fand keinen Verleger und ließ das Werk daraufhin in Mannheim anonym und auf eigene Kosten drucken. Er musste dafür einen Kredit über 150 Gulden aufnehmen, eine Summe, die bei seinem damaligen Regimentsgehalt von 23 Gulden beachtlich war und für ihn durchaus im Schuldturm enden konnte. Für den jungen Literaten hing also einiges an dem Erfolg seiner Räuber.
Schon in der Druckfassung erfreute sich das Werk einiger Popularität, auch weil Schiller darin das Feudalsystem so offen kritisiert. So war der Andrang groß, als bekannt wurde, dass sich der Mannheimer Intendant Wolfgang Heribert von Dalberg dem Werk angenommen hatte. Die Uraufführung erfolgte am 13. Januar 1782 im Mannheimer Nationaltheater. Schiller reiste heimlich nach Mannheim, um selbst, aber stets anonym, beizuwohnen, und wurde so Zeuge des regelrechten Theaterskandals, den ein anwesender Kritiker wie folgt beschrieb: „Das Theater glich einem Irrenhaus, rollende Augen, geballte Fäuste, stampfende Füße, heisere Aufschreie im Zuschauerraum! Fremde Menschen fielen einander schluchzend in die Arme, Frauen wankten, einer Ohnmacht nahe, zur Thüre. Es war eine allgemeine Auflösung wie im Chaos, aus deßen Nebeln eine neue Schöpfung hervorbricht.“
4. Flucht aus Stuttgart nach Mannheim (1782)
Der Erfolg der „Räuber“ ebbte in den folgenden Monaten nicht ab, im Gegenteil. Regelmäßige Aufführungen erfreuten sich nicht nur eines stetig großen Publikums, sondern einer größtenteils atemberaubenden Resonanz. Ein Kritiker schrieb damals sogar: „Haben wir je einen teutschen Shakespear zu erwarten, so ist es dieser.“
Freilich sprach sich ein solches Spektakel schnell herum, und so waren die „Räuber“ bereits im Frühjahr 1782 auch in Stuttgart in aller Munde. Herzog Karl Eugen hingegen war alles andere als erfreut darüber, dass sein Zögling und angehender Arzt an seiner frisch ernannten Universität im Ausland den Dichter und Dramaturgen gab. Er mahnte Schiller noch im Guten, jegliches nicht-akademisches Schreiben zu unterlassen, den Druck seines Werkes im Ausland einzustellen und seine Dissertation zu Ende zu bringen.
Schiller war sich der Ernsthaftigkeit der Situation bewusst. Auch wenn der Herzog ihm und seiner Familie zugetan war, mochte er die Geduld des Herrschers nicht strapazieren. Am 1. April 1782 wendete er sich in einem Brief an den Intendanten Dalberg: „Meine gegenwärtige Lage nötigt mich den Gradum eines Doktors der Medizin in der hiesigen Karlsschule anzunehmen, und zu diesem Ende muß ich eine medizinische Dissertation schreiben, und in das Gebiet meiner Handwerkswissenschaft noch einmal zurückstreifen. Freilich werde ich von dem milden Himmelsstrich des Pindus einen verdrießlichen Sprung in den Norden einer trockenen, terminologischen Kunst machen müssen; allein, was sein muß, zieht nicht erst die Laune und Lieblingsneigung zu Rat. Vielleicht umarme ich dann meine Muse um so feuriger, je länger ich von ihr geschieden war.“
In der Tat lenkte Schiller zu Zeiten seiner zweiten Dissertation viel Kraft und Mühe auf sein Zweitwerk: „Die Verschwörung des Fiesco zu Genua“. Der Erfolg der „Räuber“ bestärkte ihn in der Auffassung, dass er weder zum Arzt noch Jurist, sondern zum Dichter bestimmt war. Der „Fiesco“ sollte mindestens gleich fulminant werden und Schwächen des Erstlings vermeiden.
Gleichzeitig erlangte Schiller in seinem direkten Umfeld ein gewisses Ansehen, Freunde und Freundinnen traten an ihn heran, baten ihn, das Stück in seiner Gegenwart erleben zu dürfen. Schiller konnte nicht widerstehen, und so nutzte er eine Kurzreise des Herzogs, um am 25. Mai 1782 wiederum unerlaubt nach Mannheim zu reisen. Fest stand, dass er dieses Mal nicht in nächtlicher Heimlichtuerei, sondern als gestandener Bühnenautor auftreten wollte. Und so begleiteten ihn Henriette von Wolzogen und seine Zimmerwirtin in Stuttgart, Dorothea Fischer.
Schillers Unternehmung blieb kein Geheimnis und sprach sich in den Kreisen Stuttgarts schnell herum. Der Herzog machte Ernst, verhängte einen vierzehntägigen Arrest und ein striktes Schreibverbot in allen nicht-medizinischen Angelegenheiten gegen den jungen Autor. In dieser Zeit ergriff Schiller mit seinem Freund Andreas Streicher den Entschluss zur Flucht. Zugunsten Schillers verzichtete Streicher auf sein Musikstudium bei Carl Phillip Emanuel Bach in Hamburg und lieferte damit das nötige Reisegeld.
Auch wenn die Flucht beschlossene Sache war, wusste Schiller nicht, wohin sie denn führen sollte, und so wandte er sich am 4. Juni 1782 wieder an den Intendanten Dalberg, in der Hoffnung, von diesem aufgenommen zu werden: „Darf ich mich Ihnen in die Arme werfen, vortrefflicher Mann? Dieses macht mich nun auch so dreust, mich Ihnen ganz zu geben, mein ganzes Schicksal in Ihre Hände zu liefern und von Ihnen das Glück meines Lebens zu erwarten. Noch bin ich wenig oder nichts. In diesem Norden des Geschmacks werde ich ewig niemals gedeihen. Wenn mich sonst glücklichere Sterne und ein griechisches Klima zum wahren Dichter erwärmen würden.“ Dalberg, der vom jungen Schiller bisher nur profitierte, da er ihm als Honorar für die „Räuber“ lediglich die Kosten der ersten Reise erstattet hatte, antwortete nicht.
Nichtsdestotrotz verließen Streicher und Schiller am Abend des 22. September 1782 heimlich Stuttgart. Wegen der Festlichkeiten