Janowitz. Rolf Schneider

Janowitz - Rolf  Schneider


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winkte einer Droschke. Es war ein schöner Septembertag. Zusammen ließen sie sich in den Prater fahren. Sie verließen das Gefährt, Sidonie nahm seinen Arm, durch den Stoff des Ärmels hindurch spürte er ihre Hand. Sie gingen und redeten. Sie erzählte von ihrem Bruder Johannes, den sie sehr geliebt habe, den sie nun vermisse und dessen unerwarteter Tod ihr weiterhin zusetze. Ihm fielen Verse ein, die er geschrieben und veröffentlicht hatte, zwei Jahre nach dem Tod von Annie Kalmar, in Erinnerung an sie und als Trost für sich selber:

      Der Tod kommt bald und sicher,

      Hält stets sich in der Näh.

       Er ist ein fürchterlicher

      Tröster im Erdenweh.

      Ich hasse ihn nicht aus Liebe,

      Ich liebe ihn nur aus Hass.

      Wenn man unsterblich bliebe,

       Wie grauenvoll wäre das!

      Er sagte die Verse auf, ohne an Annie Kalmar nur zu denken. Sidonie nickte dankbar. Sie lehnte den Kopf an seine Schulter. Er spürte, wie das Blut in seinen Schläfen stärker zu klopfen begann.

      So fing es an. Sie trafen sich schon am nächsten Tag wieder. Sie trafen sich in seiner Wohnung an der Lothringer Straße, später waren sie gemeinsam auf Reisen und trafen sich in Hotels. Noch lieber fuhr er zu ihr nach Janowitz. Das Schloss wurde ihm vertraut, er liebte den Park, die Wege im Park, den Teich, die Umgebung, die von Sidonie angelegten Rabatten. Dass der Pianist, der ihn bei seinen öffentlichen Auftritten begleitete, Janowitz hieß, mit Vornamen Franz, war ein hübscher Zufall und vielleicht mehr als das.

      Er lernte Sidonies Bruder Karl kennen, den er manchmal dann auch in Wien traf, wenn der junge Baron in Geschäftsdingen unterwegs war und vielleicht noch zu irgendwelcher Zerstreuung. Nach geltendem Recht hatte Karl mitzuentscheiden, wenn seine Schwester eine Ehe zu schließen gedachte. Entgegen früheren Überzeugungen, zu denen er sich in der »Fackel« wiederholt bekannt hatte, dachte Kraus jetzt ernsthaft darüber nach, ob er die Baronesse Sidonie von Nádherný und Borutín vielleicht heiraten sollte.

      Am Abend, nach dem Diner, setzte sich Sidonie an den Flügel und begann zu spielen, eine Valse von Frédéric Chopin. Karl Kraus hatte sie darum gebeten. Sie spielte, so empfand es Rilke, ziemlich gut, wiewohl nicht annähernd so perfekt wie Magda von Hattingberg. Die hatte ihn mit Beethoven verwöhnt, immer wieder, die Sonaten Beethovens wurden für ihn ein Auftakt zu körperlicher Umarmung und Liebe. Verglichen damit erschien ihm Chopin als wohlklingendes Geklimper. Freilich war es, dass er, was er wusste, mit Musik nicht so gut umgehen konnte wie mit Bildender Kunst, von der er vieles kannte und wusste, zu schweigen von der schönen Literatur, in der er, wie viele ihm nachrühmten und was er ihnen gerne glaubte, eine Art gottgleicher Herrscher war.

      Er saß wenige Schritte von Kraus entfernt, in dessen scharfkantigem Gesicht Sidonies Spiel einen Ausdruck vollkommener Hingebung erzeugte. Die Beziehung zwischen dem Kritiker und der Baronesse beschäftigte ihn. Gewöhnlich gingen die beiden recht förmlich miteinander um, einmal jedoch, es war dies am späten Nachmittag gewesen, die beiden wähnten sich wohl allein, vernahm Rilke ein Gespräch zwischen den beiden.

      Sidonie flüsterte: Sei leise. Ich bitte dich.

      Kraus fragte: Warum?

      Man könnte dich hören.

      Soll man doch. Sowieso werden es bald alle erfahren.

      War also die Förmlichkeit zwischen den beiden bloß vorgeschoben? War sie inszeniert, um die wahre Natur ihrer Beziehung zu verbergen? Wie aber standen sie wirklich zueinander? Welche Intimität herrschte zwischen ihnen? Hatten sie ein sexuelles Verhältnis? Der Gedanke daran beunruhigte Rilke.

      Kraus war zwei Jahre älter als er. In der Größe glichen sie einander, mit schöner Literatur hatten sie beide zu tun. Rilke erinnerte sich eines Textes in der »Fackel«, darin es hieß, er, Rilke, habe einen Weg erfahren zwischen sich und der Welt, und durch die vielen Wände des Bewusstseins hindurch, auch durch sie filtriert, sei Gott in seine Welt gestiegen. Das war mehr als schmeichelhaft. Es ging um das »Stundenbuch«, das Kraus in der Nachfolge des großen Angelus Silesius sah. Auch das war mehr als schmeichelhaft. Rilke hatte daraufhin der »Fackel« einen eigenen Prosatext angeboten, es ging darin um Franz Werfel, der, wie er selbst, aus Prag stammte und dessen Verse er ausführlich lobte, Kraus hatte seinerseits Werfel abgedruckt, was als ein Sympathiebeweis gelten musste. Leider hatte Rilke übersehen, dass der Lyriker bei Kraus inzwischen in Ungnade gefallen war: Er sei ein Kindheitsvirtuos, der in Prag alle befruchte, sodass dort die Lyriker sich vermehrten wie Bisamratten. Nun war es nicht so, dass Rilke eine unbedingte Begeisterung für Werfels Gedichte spürte. Werfel war nichts als ein kleiner dicker Jude aus Prag. Jedenfalls wurde Rilkes Text in der »Fackel« nicht abgedruckt und auch nicht retourniert.

      Die Chopin-Valse war zu Ende. Kraus klatschte enthusiastisch, was durch Rilke eine höfliche Ergänzung erfuhr. Charlie und Mary Cooney taten es ihm gleich. Sidonie nickte und sagte, sie wolle jetzt eine Nocturne spielen, wiederum von Chopin.

      Rilke empfand die Anwesenheit von Kraus als eine lästige Störung, da er selbst es gewohnt war, im gesellschaftlichen Mittelpunkt allein zu stehen. Kraus beanspruchte das Interesse der anderen durch seine bloße Anwesenheit. Die Art, wie er redete und sich im Schloss bewegte, ließ zudem erkennen, dass er mit Janowitz vertraut war, sich also häufig hier aufhielt, jedenfalls häufiger als Rilke.

      Beim Diner vorhin, Rilke aß einen Salat aus Rucola und Schafskäse, dazu Weißbrot, während den anderen am Tisch Räucherfisch, kalter Braten nebst Schinken serviert wurde, hatte Kraus das Gespräch dominiert.

      Irgendwann hatte Rilke ihn gefragt: Äußern Sie immerfort nur die boshaftesten Bemerkungen?

      Die Antwort von Kraus war: Ich bin berühmt dafür.

      Worauf Sidonie ausführlich zu lachen anfing, was Rilke kränkte.

      Während er jetzt dem Vortrag der Nocturne lauschte, dachte er darüber nach, ob es vielleicht angebracht wäre, dass er baldmöglichst aus Janowitz abreiste. Dann dachte er an seine Zahnbehandlung, die noch nicht abgeschlossen war. Er griff an seine linke Wange. Die Schwellung war fühlbar zurückgegangen. Seine Zunge betastete das von Václav Poláček in seinen Molar gebohrte Loch, das demnächst mit einer Goldplombe gefüllt werden sollte. Bis dahin würde er in Janowitz zu bleiben haben. Außerdem wäre die vorzeitige Abreise das Eingeständnis einer Niederlage, was ihm sein Selbstbewusstsein verbot.

      Die Nocturne klang aus. Das Ritual des Beifalls wiederholte sich. Sidonie erhob sich von ihrem Klavierschemel, lächelte verlegen und deutete eine Verbeugung an. Sie trug ein Kleid mit weitem Ausschnitt, ähnlich jenem, das sie auf dem großen Gemälde mit ihrem Porträtbildnis trug, das Ding hing im Treppenhaus des Schlosses. Rilke bedachte, dass seine vorzeitige Abreise auch ein Verzicht auf die Nähe der schönen Baronesse bedeuten würde, und das mochte er sich keinesfalls antun.

      Das Gästezimmer von Kraus in Schloss Janowitz befand sich unmittelbar neben jenem von Rainer Maria Rilke. Die beiden Männer hatten sich am Abend höflich voneinander verabschiedet. In Rilkes Zimmer war alles still. Wahrscheinlich hatte sich der Dichter bereits zu Bette begeben, vielleicht las er oder schrieb einen seiner vielen Briefe. Sidonie hatte Karl Kraus die für sie bestimmten Schreiben Rilkes gezeigt, Kraus hatte sie aufmerksam gelesen. Die Schrift war schön, entschieden schöner als seine eigene, der Wortlaut war von lyrischer Eleganz, mit einem gewissen Hang zum Pathos und manchmal stark parfümiert.

      Rilke umwarb Sidonie. Das war zu erkennen, aus seinen Briefen ebenso wie in seinem Verhalten hier in Janowitz. Dies alles musste Kraus nicht verunsichern, aber es verunsicherte ihn. In seinen Augen war der Dichter ein eitler Sonderling mit traurigem Walrossbart, seine zahlreichen erotischen Erfolge, von denen der Wiener Kaffeehausklatsch wusste, ließen sich durch sein Äußeres kaum erklären. Demnach waren es seine Dichtungen, die seine Wirkung auf Frauen hervorriefen. Der Enthusiasmus, mit dem Sidonie von Rilkes Versen redete, war dafür ein Indiz. Mehr bewirkte es bei Sidonie nicht. Dass es mehr hätte bewirken können, verdross Karl Kraus.

      In Rilkes Zimmer blieb es weiterhin ruhig,


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