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Garten, auch wenn es Sonntag war, es musste unbedingt eingepflanzt werden. Scholz Senior suchte jedoch den Platz vor dem Wohnzimmerfenster aus: „Nee nicht hinters Haus, hierhin! Damit ich das Bäumchen sehen kann, wenn ich am Fenster sitze.“
„Es ist ein Hibiskus, jetzt ist er noch klein, er wird aber ziemlich groß, Papa“, gab Georg zu bedenken.
„Soll er, aber da ist das Bäumchen auch vor Regen etwas geschützt und ich will es sehen, wenn sich draußen was tut.“ Also bekam das Hibiskus-Stämmchen seinen Platz vor dem Fenster des Wohnzimmers, selbst wenn es irgendwann einmal die Sicht auf die Straße einschränken sollte, Vater wollte es dorthin einpflanzen und schließlich war das sein Geschenk! Die kluge Jessica erinnerte zudem daran: „Mit seinem Geschenk darf man machen was man will!“
„Basta!“, bestätigte Opa lachend und holte den Spaten.
Jessica sah ganz genau hin, vergaß kurzzeitig die Aufgabe ihres Plappermundes, während Opa das Bäumchen einpflanzte.
„Fertig! Nur noch angießen, dann können wir die Gartenarbeit für heute beenden“, schmunzelte Opa und klopfte sich, wie gewohnt, die Hände an seiner Hose ab, nur, dass die heute eine Sonntagshose war. Was nun wieder Anneliese missbilligte. Sie schimpfte: „Also Vater, wie kannst du nur?“ Im nächsten Moment griff sie nach der Kleiderbürste und entfernte ungeduldig die Erdflecken von seiner Beinkleidung. Schließlich, in der Küche angekommen, wurde Margas Kuchen ausgepackt.
Anneliese und Marlis deckten gerade den Kaffeetisch, Marga schnitt die Torte auf und bediente die Kaffeemaschine. Die vier Männer nahmen schon mal ihre Plätze um den Tisch herum ein. Plötzlich wurde dieses harmonische Miteinander lautstark durch wütendes Gekreische gestört. Es kam von draußen! Oh Gott, die Kinder wollten das Grab von Rex im Garten suchen. Hans-Peter sprang erschreckt auf, rannte durch die Hintertür hinaus, mit den Kindern ist was, dachte er und lief auf die beiden zu.
Als er nahe genug war, versuchte Jonas, der seine schreiende, tobende Schwester im Schwitzkasten hielt, aufzuklären: „Sie will, dass ich sie hochhebe, damit sie Blätter vom Baum abpflücken kann, die will sie aufs Grab legen. Ach Papa, hilf mir doch mal!“ Jonas schien am Ende seiner Kräfte.
„Joooo, sofort! Heb mich endlich hoch, los, mach schon!“ Jessica tobte, sie kreischte in den höchsten Tönen.
Hans-Peter dachte nicht daran, der Bitte seines Sohnes nachzukommen, dieses wild um sich schlagende und tretende Mädchen festzuhalten. Momentan sah er nicht seine Tochter, sondern ein eher Kraken ähnliches Monster mit viel zu vielen Armen und Beinen herum rudern. „Lass sie los, Jonas! Lass sie meinetwegen in den Dreck fallen! Und du, junge Dame, gibst augenblicklich Ruhe!“ Hans-Peters Stimme war mit jedem Wort lauter und schärfer geworden. Jonas ließ tatsächlich seine Schwester ruckartig fallen. Jetzt saß Jessi auf der Erde, wortlos und völlig verblüfft, das war eine ganz neue Erfahrung: Ein derartiges Machtwort von Papa!
Währenddessen war die komplette Familie auch im Garten angekommen. Anneliese, die Patin von Jessica, hockte sich zu dem Kind und fragte: „Warum sollen Blätter auf das Grab?“
„Weil ich es nicht sehen will, darum! Weil Rex lieb war und jetzt die ganze Erde auf ihm liegt, deshalb!“ Jessica begann zu weinen und Jonas legte beruhigend seine Arme um sie, wiegte sie leicht hin und her. Marga machte ihrem Sohn ein Zeichen mit der Hand zum Mund, Kaffeetrinken! Jonas nickte kurz und leise zogen sich die Erwachsenen zurück. Hier waren sie nun überflüssig.
„So was habe ich noch überhaupt nicht gesehen, dass selbst Jonas machtlos ist bei Jessica.“ Hans-Peter konnte es noch immer nicht fassen. Er schüttelte ein ums andere Mal den Kopf. Erst umarmte Marga seinen Vater, mit dem sie von Anfang an auf Kriegsfuß stand, all die langen Jahre, jetzt flippte Jessica aus. Was lag da nur heute in der Luft?
Großvater überlegte, fuhr sich ein paar Mal mit den Fingern durchs Haar. Wie sagte Jessica? ‚Weil die ganze Erde auf ihm liegt‘? Er ging noch einmal hinaus zu Jessica und Jonas, vielleicht deutete er den Gedankengang der Kleinen richtig, dann konnte er sie eventuell beschwichtigen. Die Geschwister sahen ihrem Opa entgegen, der lächelte, beugte sich vor und hob Jessica kurz entschlossen auf seine Arme als wäre sie leicht wie eine Feder und viel schwerer kam ihm das kleine Bündel Mensch auch in diesem Moment nicht vor. „Hör mal Jessi“, begann er. „Rex liegt nicht einfach so unter dem Erdhaufen, er hat einen richtigen Holzsarg, den habe ich selbst gebaut.“
„Oh, ich dachte – wirklich? Im Sarg, wie Oma?“
„Ja, kleine Jessi, genauso und jetzt komm, es gibt Torte.“ Jessica auf dem Arm und an der anderen Hand Jonas, so schritt der alte Mann gut gelaunt zur Küchentür hinein. Muskelkater, Gebrechlichkeit der letzten Zeit, jeder Ärger der vergangenen Tage, alles schien mit einem Mal vorbei und vergessen. Einfach wie weggewischt. Und wie immer er es auch anstellte, die unschöne Schreiattacke war beendet, das Kind wieder friedlich. Gemeinsam verzehrten sie Margas Torte, Stück für Stück.
„Hmm, schmeckt prima!“ Vater leckte sich die Lippen. „Davon esse ich noch ein Stück.“ Er hatte die Situation jetzt voll im Griff! Und es war ihm heute, ganz genau in diesem Augenblick, auch völlig egal ob es Entsetzen oder ein Schock bei der Familie hervorrufen würde, jetzt musste es heraus, endlich von seiner Seele herunter und er begann zu reden: „So, bevor wir beraten wie das hier weiter geht bei mir, ob ich nun in ein Altenheim soll oder nicht, möchte ich noch kurz eine kleine Geschichte erzählen, die allerdings eine arg große und auch anhaltende Wirkung verursachte. Sie passierte vor etwa vierzehn Jahren.“ Er sah Marga fragend an und als sie zustimmend nickte, fuhr er fort: „Also, ihr wisst ja alle, wie gut Mutter und ich miteinander auskamen, es bis zum Ende eine gute Ehe und die große Liebe war.“ Nun druckste er ein wenig herum, trank Zeit gewinnend einen Schluck Kaffee, bevor er weitersprach: „Was ihr vielleicht nicht so wisst, Mutter und ich, bei uns gab es keine Geheimnisse. Wir beide, also Mutter und ich, wir kamen nicht unberührt in die Ehe. Was ich damit sagen will, ich hatte Mutter von meiner ersten Liebe erzählt, meiner Lehrerin Elisabeth, die mir mit sechzehn alles beibrachte, was ein Mann über eine Frau wissen sollte. Sie war eine bildhübsche Frau von achtundzwanzig und als sie sich versetzen ließ, bevor unser Verhältnis auffliegen konnte, dachte ich, ich sterbe!“ Er machte eine Pause, suchte nach Worten.
Hans-Peter fragte pikiert dazwischen: „Vater wieso? Warum erzählst du uns das, und weshalb überhaupt? Zu was soll das gut sein?“ Seine Schwestern fanden es ebenfalls peinlich, sahen verschämt vor sich hin, ihren Ehemännern ging es ähnlich. Über derart intime Dinge zu reden, was sollte das? Wurde er jetzt auch noch wunderlich? Ein Glück nur, dass die Kinder längst wieder in den Garten verschwunden waren.
Nur Marga bat, zu ihrer aller Erstaunen: „Nun sprich schon weiter, Vater!“
Und Otto Scholz setzte seine Erzählung fort: „Damals kam Hans-Peter her und stellte Mutter und mir seine Marga vor und ich fiel aus allen Wolken, dachte, ich sehe Elisabeth vor mir. Als wir kurz alleine im Zimmer waren, nahm ich sie einfach in meine Arme, streichelte ihr Haar und küsste ihre Stirn. Aber es war nicht Elisabeth, es war Margarete und sie ließ sich in die Hocke fallen, entwich mir, dachte Gott weiß was und hasste mich für meine Entgleisung! Bis heute! Deshalb ist auch heute der Tag, an dem ich darüber reden muss“ und direkt an Marga gewandt: „Es tut mir leid, dass du es so lange mit dir rumtragen musstest, ich wollte wirklich nichts von dir. Als ich dann mein Verhalten begriff und hinter dir herrief: ‚Lass dir erklären‘, knalltest du die Türe hinter dir zu! Mutter hätte mit dir vielleicht darüber reden können, aber sie war der Meinung, dass ich das mal schön selbst in Ordnung bringen sollte!“
Nach einigen Schweigeminuten fragte Georg: „Vater wieso, wenn du Marga mochtest, warum habt ihr euch dann beide angefeindet?“
„Ja, das stimmt. Aber ich war wohl auf mich selber wütend und steigerte mich immer mehr da hinein, als Marga nichts mit mir zu tun haben wollte und mich das ständig spüren ließ.“
„Sah Marga deiner Lehrerin wirklich so ähnlich?“, fragte Siegfried.
Vater nickte und Marga gab ihm die Hand. „Danke, ich habe dir schon länger verziehen, dachte mir so was. Mutter hat mal eine Bemerkung gemacht, aber ich sollte mir nichts