Unabwendbare Zufälligkeiten. Inge Borg

Unabwendbare Zufälligkeiten - Inge Borg


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man eine starke Veränderung bei ihm, er war kaum wiederzuerkennen. Seine Freundlichkeit und die stets gute Laune, sein immerwährendes Interesse an allen Dingen, seine Geduld und Ausgeglichenheit, welche ihm selbst nach Mutters Tod nicht verloren gegangen waren, schien Rex mit in sein Grab genommen zu haben. Der Verlust des Tieres schmerzte ihn offensichtlich sehr. Bisher war Tag und Nacht immer jemand um ihn herum geschwänzelt. Ein Tier, welches nicht nur versorgt werden musste, dem alten Mann eine Aufgabe gab, sondern auch als treuer Freund und Kamerad seinen Platz einnahm, tagein, tagaus. Und nun war ihm nur ein stilles einsames Haus geblieben, keiner brauchte ihn mehr. So saß er nun oft für Stunden apathisch vor sich hinbrütend da und kam sich ziemlich überflüssig vor.

      Otto Scholz Entschluss: Rex bleibt am Grundstück, musste in die Tat umgesetzt werden und so baute das alte Herrchen für seinen verstorbenen Gefährten eine Holzkiste, die täuschend einem der Särge ähnelte, wie man sie oft in alten Wildwestfilmen sehen kann. Unter dem Kastanienbaum hinterm Haus, hob er mühselig mit viel Kraftaufwand und stundenlang ein tiefes Loch aus, versenkte darin den seltsamen Sarg mit Rex und formte langsam mit Erde das Grab. Einen jungen Zwergbuchsbaum pflanzte er darauf, bearbeitete außerdem einen starken Birkenast zu einem Kreuz, welches er tief in die Erde rammte.

      Als Hans-Peter vor zwei Tagen hier angekommen war, fand er seinen Vater, auf einem abgesägten Baumstamm sitzend, an genau diesem Grab. Der Sohn war erschüttert, traf auf einen völlig veränderten alten Mann, teilnahmslos, als habe der sich selbst aufgegeben und er erkannte mit Schrecken Vaters Trauer um seinen vierbeinigen Freund, seine plötzliche Einsamkeit.

      „Lass uns ins Tierheim fahren, Vater, einen neuen Hund für dich holen“, war sein spontaner Vorschlag. Doch sein Vater beschimpfte die Idee als „Kokolores“ und jedes weitere Gespräch in diese Richtung blockte er ab.

      Hans-Peter, schockiert und auch verwirrt über diese strikte Ablehnung, über die traurige unbekannte Sturheit seines Vaters, griff augenblicklich zum Handy um Margarete, seine Frau, zu informieren: „Hör mal, Marga, Papa geht’s überhaupt nicht gut, er lässt sich hängen! Er vermisst den Hund! Hier sieht es schrecklich aus, ich bleibe für ein paar Tage bei ihm. Sag Marlis und Georg Bescheid und ruf auch Anneliese und Siegfried an. Vielleicht könnt ihr es möglich machen, Sonntag herzukommen, ihn besuchen? Überlegt mal und ruft mich zurück.“ Seine Antwort auf Margas skeptische Frage: „Übertreibst du nicht ein wenig?“, war eindeutig: „Nein, wirklich nicht! Also beratet euch und versucht herzukommen. So wie es jetzt aussieht, können wir Vater nicht mehr alleine lassen, du weißt was ich meine – unser Thema von neulich im Fall der Fälle, was wir durchdacht haben!“ Im nächsten Moment drückte Hans-Peter die Austaste. Er glaubte ein Geräusch hinter sich wahrgenommen zu haben und es war ihm ganz und gar nicht recht, sollte Vater dieses Gespräch mitgehört haben.

      Hatte der aber! Dummerweise gab ihm Hans-Peter dann sofort Antwort auf seine misstrauische Frage: „Was habt ihr neulich durchdacht?“ Denn ohne sich richtig Zeit zum Nachdenken zu nehmen, versuchte er eiligst die Überlegung: Seniorenheim, zu erklären. Dies schien für Vater jedoch mehr ein herber Schlag, als ein gutgemeinter Rat zu sein, was auch durchaus verständlich war. Jedenfalls ab da steigerte Vater sich vehement in die miese Laune hinein, die er offensichtlich nicht gedachte abzulegen.

      Aber jetzt fragte Hans-Peter gar nicht mehr lange, er fuhr zum Haus Agnes. Die Familie ging gerne dort im Restaurant essen, immer schon, bei ihren Besuchen im Elternhaus.

      Frau Hackler freute sich über die seltenen Gäste und bediente sie persönlich. Bemerkte auch die Verstimmung, die von Vater Scholz ausging und versuchte den alten Herrn aufzumuntern, was aber inzwischen endgültig an dessen Sturkopf scheiterte.

       6

      „Wenn morgen das Wetter gut ist, bringen wir das Schild zum Ufer und befestigen es neu. Dazu könnten wir ein kleines Picknick am Steg machen, was hältst du davon, Micha?“ Susanne Schnells sah ihrem Sohn, der gerade über seinen Hausaufgaben brütete, über die Schulter.

      „Ja, okay Mama, von mir aus gerne, aber jetzt lass mich in Ruhe, das ist gerade sehr knifflig für Mathe.“

      Susanne trällerte eine kleine Melodie vor sich hin, während sie die Treppe hinunter in die Küche lief. Ein bestimmtes Menü schwebte ihr bereits vor, auch wie das Picknick verlaufen konnte und sie begann einiges zu notieren, dabei bemerkte sie, sie würde noch einkaufen müssen. Nicht so schön dachte sie, dass wir alleine sind – na, auch egal. Sie entschloss sich für den bunten Reissalat und Frikadellen. Das mochte Michael besonders gerne. Dazu könnte sie auch beim Bäcker noch ein Stangenbrot kaufen und sie rief laut im Flur: „Michael? Hörst du mich? Ich fahre jetzt einkaufen!“

      „Jaaaa.“ Immer diese Störungen mitten im Gedanken. Michael seufzte und ließ den Füller sinken. Doch nach einer Weile dachte er: Eigentlich könnte Markus mitmachen, hab nicht so richtig Lust mit Mama alleine.

      Susannes spontaner Einkauf entpuppte sich umfangreicher, als gedacht. Soeben lud sie die vollgepackten Taschen und Tüten aus dem Auto, trug sie zur Terrasse hinters Haus und stapelte sie auf dem Tisch, rangierte ihr Auto nun in die enge Garage und sehnte sich zum x-ten Mal nach einem breiten Carport. Auf einmal kam es ihr so vor, als riefe jemand ihren Namen und sie schaute sich suchend um. Die Nachbarin, Helene Weber, stand am Weg, sie musste also nach ihr gerufen haben – und jetzt kam die auch eilends angelaufen.

      „Hallo, Frau Schnells, hallo. Sie müssen sich unbedingt in der Schmiede, ach herrje, ich muss mich endlich mal an den Namen Bergers-Markt gewöhnen, die wunderschöne neue Gartenanlage ansehen, das Paradies!“, rief Frau Weber lachend, sofort zum Thema kommend.

      „Da war ich schon, sogar pünktlich am Eröffnungstag, ich glaube es war vor drei Wochen, ja genau, in der Woche vor Ostern. Es wird Gartenparadies genannt, es ist schön und umfangreich, ein richtiger Anziehungspunkt. Selbst wenn man nicht vor hat etwas zu kaufen, nur langsam durch die Gänge schlendern dürfte schon ein Besuch wert sein. Eine prächtige Idee, auf diese Weiße bekommt der Baumarkt doch auch noch mehr Kundschaft. Ich finde es super und wir müssen nicht mehr bis in die Stadt fahren.“

      „Ja, stimmt, ich bin gerade dabei einzupflanzen, was ich heute gekauft habe, ich konnte einfach nicht widerstehen.“ Helene Weber wendete sich ab, machte ein paar Schritte als wolle sie wieder gehen, blieb dann jedoch abrupt stehen und drehte sich erneut ihrer Nachbarin zu. Ein wenig zögerte sie noch, vielleicht sollte ich lieber nicht – doch ihre Neugierde war viel zu stark. „Ach, sagen Sie Frau Schnells, wo hat Ihr neuer Freund denn das Schild gekauft?“

      „Mein Freund?“ Susanne blieb für Sekunden der Mund offen stehen, sie sank auf die Treppenstufen, bedeckte ihr Gesicht mit den Händen, brauchte einen Moment um das Gehörte zu verdauen. Für den Bruchteil einer Sekunde erschien das Bild der dürren Tratsche aus dem kleinen Café vor ihrem inneren Auge und sie schüttelte den Kopf. Das darf nicht wahr sein. Gleich darauf ließ sie ihre Hände sinken und erhob sich, um einige Schritte auf die Nachbarin zuzugehen. Leicht tadelnd sah sie diese an und fragte: „Frau Weber, Frau Weber, wem haben Sie das denn schon alles erzählt? Das war ein Herr Hauff, er hat unser entwendetes Schild wiederbeschafft und morgen werden Michael und ich es erneut beim Steg befestigen. Wir wollen nach langer Zeit dazu picknicken.“ Susanne musste sich zwar gestehen, wenn sich Herr Hauff melden würde wie er es sagte, das wäre okay, ja, aber ihr Freund? Nein, daran war doch überhaupt nicht zu denken! Sollte er tatsächlich anrufen oder gar herkommen, sie könnte sich darüber freuen, ja, ganz bestimmt sogar, aber Freund? Er war ein netter neuer Bekannter, ja, sie lächelte die verdutzt dreinschauende Frau Weber an. „Da fällt mir ein, möchten Sie nicht mitmachen? Mit uns zum Steg gehen, zum Picknick?“

      Frau Weber zierte sich ein wenig, zu blöd, dass ihr das Wort Freund rausgerutscht war. „Meinen Sie wirklich, soll ich?“

      „Ja bitte, immerhin sind wir schon seit Jahren Nachbarinnen! Außerdem kann ich Ihnen dann die peinliche Sache mit dem Schild erzählen.“ Susanne fand ohnehin schon lange, dass in dieser Kleinsiedlung alles viel zu fremd zuging. Wie in einer Großstadt. Außer den täglichen Grüßen, falls man sich überhaupt mal zu


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