Unabwendbare Zufälligkeiten. Inge Borg

Unabwendbare Zufälligkeiten - Inge Borg


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antworteten sie ein wenig kanonartig und winkten ihr nach.

      Susanne war glücklich, diesen Tag würde sie nie und nimmer vergessen! Und wie auch immer es nun weiter gehen würde, irgendetwas war heute geschehen, das spürte sie sehr deutlich.

      Frank lief mit den Jungen zum Parkplatz an sein Auto. Markus wurde nach Hause gefahren, obwohl er fand: „Das Stück kann ich doch laufen.“ Aber er kannte Frank noch nicht wirklich. Der bestand nämlich darauf, ihn mit Michael zu bringen und erklärte: „Man lässt einen Freund im Dunkeln nicht alleine gehen!“ Nun warteten Frank und Michael im Hof bei Piepers bis Markus die Haustüre hinter sich schloss, dann wendete Frank und fuhr zurück. „Jetzt bringe ich dich nach Hause, Michael. Ich glaube, ich muss mich noch ordentlich von deiner Mutter verabschieden und mich vor allen Dingen bei ihr bedanken für den schönen Tag. Das habe ich vorhin völlig verschwitzt.“

      Michael grinste, als ob er nicht gewusst hätte, dass Frank noch mit Mama reden wollte, oder so. Vielleicht war es ein wenig vorlaut, aber Michael sagte es trotzdem: „Fahr vor die Garage, von der Straße runter, du bleibst ja doch noch länger!“

      Und Frank gehorchte dem klugen Zwölfjährigen.

      Ziemlich verschlafen schaute Michael aus seinem Zimmer, erst mal die Lage peilen, vielleicht …? Das Bad war frei. Schneller als jemals zuvor war er mit Duschen fertig, kleidete sich an und stieg vorsichtig, ganz gegen seine Gewohnheit jedes Knarren der Holzstufen vermeidend, die Treppe hinab. „Hi, morgen, ihr sitzt ja schon beim Frühstück, warum habt ihr mich denn nicht geweckt?“ Er setzte sich auf seinen Bankplatz und griff nach einer Scheibe Brot. Und als sei es die selbstverständlichste Sache der Welt, verlor er kein einziges Wort darüber, dass Frank über Nacht geblieben war.

      Der Junge ist ein Schatz, dachte Frank beeindruckt.

      „Michael, ich habe Frank eingeladen seinen Rest-Urlaub bei uns zu verbringen“, begann Susanne. „Natürlich nur, wenn du auch damit einverstanden bist?“

      „Mm“, Michael nickte kurz. „Klar, kann er, und was stellen wir heute an?“ Die Schnelligkeit, mit welcher dieser Junge die neue Situation begriff und für sich nutzte, war bemerkenswert.

      „Schlag was vor“, bat Frank schmunzelnd.

      „Wir könnten in den Zoo fahren“, fand Michael.

      „Aha – in den Zoo?“, rief Frank begeistert.

      Susanne klärte ihn lachend auf: „Spricht Micha vom Zoo, meint er eigentlich Aquarium!“

      „Das ist gut, richtig gut, das machen wir!“ Frank sprang auf. „Ich setze schon mal mein Auto raus“, rief er erfreut.

      Kurze Zeit später fuhren sie schon auf der Autobahn. Da war also etwas, eine Gemeinsamkeit der beiden Männer, ein Hobby? Zumindest aber großes Interesse an Fischen und sonstigem Wassergetier, und diesmal spielte wenigstens die Angel keine Rolle. Eigentlich hegte Susanne eher die Hoffnung, ihr Sohn würde einige Stunden mit seinem Freund Markus verbringen wollen, doch da täuschte sie sich wohl. Andererseits konnte sie mehr als zufrieden sein, dass er sich mit Frank so gut verstand. Besser konnte es doch gar nicht kommen. Sie wunderte sich über sich selbst, dachte an ihren verstorbenen Mark, bisher fiel es ihr im Traum nicht ein, sich nach einem Mann auch nur umzudrehen, hielt es eigentlich auch nicht für möglich, sich noch einmal zu verlieben, aber jetzt – Frank! Da war gleich so viel Vertrauen zwischen ihnen gewesen. Durch einige Zufälle, die Susanne ein wenig anders sah als die meisten Leute, war er einfach da, so, als sollte es so sein. Oder, als wäre es nie anders gewesen.

      Frank sah zu Susanne hinüber. „Na, so in Gedanken?“ Er ergriff Susannes linke Hand und drückte sie leicht.

      „Ja, mir fiel eben ein, dass wir uns vorigen Samstag noch gar nicht kannten und es doch ist, als würden wir uns schon ewig kennen.“

      Von der Rückbank meldete sich Michael: „Jetzt kommt das mit der Vorsehung“ und es hörte sich mehr wie ein Stöhnen an, „die uns führt. Mama glaubt nämlich, es gibt keine Zufälle, aber das wird sie dir mit der Zeit schon noch klar machen!“

      Frank lächelte. „Schicksal Michael, glaube ich auch nicht, Micha, ich auch nicht. Zufall, das ist ein Wort, das eben mal so dahin gesagt wird, doch sehr oft eine viel ernstere und manchmal auch große Bedeutung haben kann. Aber gleich sind wir da, wir können ein anderes Mal darüber reden.“

      „Och, lass mal, das muss nicht sein“, äußerte sich Michael träge, und dachte: Da haben sich ja die Richtigen getroffen. Ob Zufall oder nicht, das ist mir doch so was von egal.

      Der Besuch des Aquariums nahm viel Zeit in Anspruch, sehr viel, sodass Susanne manchmal mehr die zwei männlichen Wesen betrachtete, anstatt die Wasserbewohner und sich außerdem auch manchmal wie das ‚fünfte Rad …‘ vorkam. Die zwei mussten die einzelnen Fische und sonstige Wassertiere nämlich genauestens besehen und studieren, hielten sich langatmig mit den Namen auf und ob Flossen oder Farbmuster, es war alles derartig interessant, die Zeit flog für Michael und Frank einfach nur so dahin, was Susanne ganz und gar nicht von sich behaupten konnte. Einfacher gesagt, sie zog schon eine Weile ‚ein Gesicht‘, denn für die Besichtigung des Zoos blieb nur noch der Schnelldurchlauf.

      „Wir fahren noch mal her, dann machen wir es umgekehrt“, versprach Frank und legte tröstend den Arm um ihre Schultern. Und das hörte sich gerade so an, als habe Frank vollkommen vergessen, nur noch wenige Tage seines Urlaubes mit ihnen zu verbringen.

       9

      Der angekündigte Besuch, Georg und Marlis Sander mit Anneliese und Siegfried Maul, traf kurz nach 14 Uhr in der Bergstraße 10 ein. Hans-Peter lief freudestrahlend hinaus und begrüßte seine Schwestern und die beiden Schwager.

      Beim Vater ging es heute ein wenig langsamer. Ein gehöriger Muskelkater, welchen er seit gestern ausgiebig pflegte, bremste ihn etwas. Schuld war natürlich die Gartenarbeit. Diese Tatsache sorge für die ersten Lacher. So entstand gleich zu Anfang eine locker, leichte Stimmung, die im Hinblick auf den dicken Ärger der letzten Woche auch unbedingt nötig war.

      Minuten später fuhr Marga mit Jessica und Jonas vor. Jessica, dieses Temperamentsbündel, flog auf Hans-Peter zu. „Papa, du warst so lange fort, ich habe dich richtig vermisst!“

      „Ja, das kann ich nur bestätigen“, kicherte Marga. „Eine unendlich lange Woche!“ Oh, diese zwei, Vater und Tochter. Jede Trennung, sei sie auch noch so kurz, sie war ihr spezielles Martyrium.

      Im nächsten Moment war Jessica mit der Begrüßung ihres Opas beschäftigt, der seine Enkelin stoppte mit: „Langsam, langsam, ich bin kein junger Spund mehr!“

      „Was denn Opa, tut dir was weh?“

      „Nja, bisschen.“

      Die Neuankömmlinge mussten sich nun auch die Geschichte vom Muskelkater anhören, aber das beeindruckte überhaupt niemand. Marga zeigte nur ein schwaches Lächeln, während Jonas ein gelangweiltes Gesicht aufsetzte. Ohnehin war er nicht so leicht aus der Ruhe zu bringen. Und Jessica, nun ja, sie kannte zwar das Wort Muskelkater, doch wie sich das anfühlte war ihr in den acht Jahren ihres Lebens fremd geblieben. Wie auch, ständig war sie in Bewegung, körperlich ohne Rast und Ruh, und nicht zu vergessen ihr Mundwerk, auch das stand selten still. Manchmal schien sie gar für ihren großen Bruder mitzureden, der es schon immer gelassen hinnahm und seine um drei Jahre jüngere Schwester gewähren ließ. Selbst die Eltern waren so manches Mal ratlos. Und niemand konnte Jessica so gut wie Jonas verstehen und beruhigen, wenn es nötig wurde.

      Aber jetzt beanspruchte Jessica trotzdem ihren Opa für sich. „Komm Opa, geh mit ans Auto dein Geschenk ausladen“ und ihre Mutter am Pulli ziehend: „Mama, Mama mach den Kofferraum auf, komm schnell!“

      Marga, die bisher nicht einmal die Zeit fand, allen einen guten Tag zu wünschen, warf ergeben ihre Arme in die Luft und lief den beiden lachend nach. „Vater, lass mich dich erst einmal begrüßen.“ Und Marga tat etwas, was bisher noch nie jemand aus der ganzen Familie bei ihr gesehen hatte, sie umarmte ihren Schwiegervater.


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