Unabwendbare Zufälligkeiten. Inge Borg

Unabwendbare Zufälligkeiten - Inge Borg


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      Komischer Mann. „Wo haben Sie es gefunden? Woher wissen Sie denn überhaupt …?“, beeilte sich Susanne zu fragen und verstummte sogleich mitten in ihrem Satz. Hatte sie ihn etwa angestarrt? Seine Augen waren dunkelbraun, schon beinahe schwarz, unergründlich. Schaute er sauer, gar verärgert drein?

      „Gefunden ist nicht das richtige Wort. Ich trage es hinein.“

      Beide ergriffen sie gleichzeitig den Pfahl mit dem Schild und trugen es gemeinsam zum Haus.

      Damit wurde natürlich die geplante Suche nach dem Schild an Fluss und Parkplatz, für Mutter und Sohn, hinfällig. Ebenso auch ein eventueller Neukauf. Weil aber Susanne nicht wusste, was sie von alledem halten sollte, andererseits auch neugierig war wo dieser fremde Mensch ihr Schild auftreiben konnte, überhaupt, dass er davon wusste und es her brachte – vielleicht doch nur ein Jungenstreich?, lud sie ihn kurz entschlossen zum Tee ein. Sie führte den Fremden ins Wohnzimmer. Während er im Sessel Platz nahm, ging sie rasch in die Küche und setzte Wasser auf. Am Treppenaufgang rief sie nach Michael: „Komm runter Micha und trink mit Herrn – oh – und mir Tee.“

      Der Fremde begann laut zu lachen. Es war ein sympathisches und auch ansteckendes Lachen. Offensichtlich war er doch nicht allzu sehr verärgert? Susanne und Michael, der die Stufen herab sprang, mussten unweigerlich einstimmen. Damit war das Eis gebrochen.

      „Entschuldigung, aber ich habe mich Ihnen noch gar nicht vorgestellt, ich bin Frank Hauff und habe zurzeit meinen dreiwöchentlichen Jahresurlaub. Das bedeutet für mich angeln und auch ein bisschen faulenzen.“ Und er wunderte sich über sich selbst, wieso er sich auf die Einladung zum Tee überhaupt einließ, war da nicht vorhin sein fester Vorsatz gewesen, diese Gegend schnellstens zu verlassen?

      Im Gegenzug zum ersten Eindruck vom Angler, schien nun Michael auch beruhigt zu sein und beteiligte sich rege an der Unterhaltung. Er konnte Herrn Hauff sogar wider Erwarten dessen rechtswidriges Angeln verzeihen, noch ehe dieser die Geschichte vom verschwundenen und dann wieder gefundenen Verbotsschild erzählte.

      Sie aßen Kekse zum Tee, während Frank Hauff berichtete wie er zu diesem Schild gekommen war. Susanne wusste über die Verhältnisse im Haus Agnes in etwa Bescheid, dass die es aber nötig hatten zu unerlaubten Mitteln zu greifen, noch dazu einen Gast animierten, mit Fische fangen zur Bereicherung der Küche beizutragen, nur, weil sich dieser Sport als sein Hobby entpuppte, das hätte sie nicht für möglich gehalten. Das ging entschieden zu weit! Sie würde die Namensträgerin des Hotels, ‚Agnes‘ Hackler darauf ansprechen müssen.

      Frank Hauff erzählte auch von seinem anstrengenden Beruf als Abteilungsleiter in einem Großbetrieb, von derzeit zwölf Angestellten in seiner Abteilung und dass es deshalb in seinem Jahresurlaub so einfach wie möglich zuging. Er erzählte auch, dass er durch seinen Freund an dieses Hotel am Fluss Sieg mit Angelmöglichkeit gekommen war. Dies konnte nun wiederum nur bedeuten, Frank Hauff war nicht der erste Angler am Steg der Schnells! Allerdings der erste, der erwischt worden war! Das wäre auch die Erklärung dafür, dass immer wieder Fremde auf den Ufergrundstücken gesichtet worden waren. Wer weiß, wie viele Jahre das schon so ging? Eine ernsthafte Diskussion mit Frau Hackler wurde dringend nötig.

      „Die letzten Jahre bin ich immer irgendwo am Bodensee gewesen“, erklärte Frank. „Nur diesmal ließ ich mich von Lukas überreden. Es war näher, ich sparte Anfahrtszeit. Lukas Rhode, er ist mein Stellvertreter in der Firma Hansen und gleichzeitig auch mein bester Freund.“

      Mit Michaels Hilfe berichtete Susanne auch vom plötzlichen Tod ihres Mannes. Wie er damals im Winter versuchte, wie schon so oft davor, den angetauten Schnee vom Dach zu entfernen, als die Leiter, auf der er stand, seitlich zu rutschen begann und Mark herunterstürzte. Ihm wäre sicherlich nicht viel passiert in dem weichen, tiefen Schnee, aber da war diese kleine Mauer, alt, und im Sommer bot sie etlichen Blumenkästen Platz. Sie stand etwas geschützt und war inzwischen fast vollständig vom Schnee befreit gewesen, genau darauf war Mark hart mit dem Hinterkopf aufgeschlagen. Sein Genick war gebrochen, er spürte es wohl nicht mehr, hatte nicht leiden müssen. Kein wirklicher Trost für die Hinterbliebenen. Gerade noch lachend und scherzend, im nächsten Augenblick für immer schweigend. Es war alles so unvorstellbar schnell gegangen. Praktisch von einer Sekunde zur anderen waren sie völlig alleine auf sich gestellt gewesen. Eine sehr harte Zeit für Mutter und Sohn. Und diese kleine Mauer, die schon dort gestanden war als Mark das Haus kaufte, wurde von Michael mit seinen damals sieben Jahren wütend abgerissen. Mit Werkzeugen umzugehen, brachte ihm sein Vater früh bei. Die Mauer wäre eine bleibende Erinnerung an den Unfall gewesen, für beide unerträglich. Sie konnte und durfte nicht stehen bleiben! Die gesamten Reste der Mauer entsorgten sie nach und nach mit der Mülltonne, nichts sollte davon übrig bleiben!

      Die Zeit war mit erzählen nur so verflogen und es war bereits dämmrig, als Frank Hauff in seinen Jeep stieg, wendete und Richtung Stadt davonfuhr. Sie winkten sich zu und er rief: „Ich melde mich!“ So, als wären sie alte Bekannte.

       4

      Es regnete. Wieder einer der düsteren Tage, an denen Helene Weber nicht in ihrem Gärtchen arbeiten mochte. Nötig war es ohnehin nicht, aber es ließ sich doch so gut über den Gartenzaun beobachten und es hätte ja auch eventuell mal die eine oder andere spontane Unterhaltung entstehen können, was ihrer Meinung nach sowieso selten genug vorkam. Ja, Helene war sehr vielseitig interessiert, wenn man das denn so nennen wollte, und sie wusste bestimmt auch sehr viel zu erzählen! Erst vor kurzem war sie sechsundfünfzig Jahre alt geworden. Sie verbrachte, wie üblich und wie alle anderen Tage auch im Jahr, diesen Tag alleine. Ohne einen nachbarschaftlichen Gruß, ohne ein paar Worte zu wechseln, es war einfach niemand zu sehen gewesen. Nicht, dass sie neugierig wäre, oh nein, aber ‚man muss doch am Leben seiner Mitmenschen teilnehmen’, war ihre Devise. Gemein, so einfach dahin gesagt: Helene Weber galt als die Klatsch- und Tratsch-Tante in der Siedlung, sogar bis in den Ort hinein. Und das dürfte sicher auch noch lange so bleiben, wenn nicht bald eine gravierende Änderung ihre Aufmerksamkeit in wenigstens halbwegs abwechslungsreichere Bahnen lenken würde. Oh ja, sie war durchaus über das Gerede der Leute im Bilde, was sie selbst anging, aber es machte ihr nichts aus, ganz und gar nichts! Sie warf einen Blick über den Zaun, komisch, das seltsame Schild steht immer noch neben Schnells Haustüre. Hm, w as stand denn heute an? Friseur, ja richtig, der war auch mal wieder fällig. Vielleicht sollte sie auch noch in die Schmiede fahren, dort könnte sie die Noppen kaufen, die unter die Stuhlbeine gehörten. An zwei Stühlen waren die derartig abgenutzt, vielleicht sollte sie sowieso dorthin zuerst fahren, also war zumindest der Morgen gerettet. Sie zog ihren Anorak über, hängte die Tasche um, nahm den Schlüsselbund vom Haken und verließ das Haus. Bevor sie jedoch zur Garage gehen konnte, um ihren Wagen heraus zu fahren, kam der Postbote am Gartentor an. Das passte! Ihr erstes Opfer war für diesen Tag gefunden. „Moment, Moment Herr May, ich komme, nehme die Post gleich in Empfang“, rief sie, mehr singend als sprechend.

      Johann May war ein höflicher, junger Mann. Er kannte längst Frau Webers wissbegieriges, zugleich auch mitteilsames Wesen und beugte schon mal vor: „Drei Minuten, Frau Weber, nur drei.“ Dabei spreizte er drei Finger seiner rechten Hand und hielt sie in Augenhöhe, so als könnte Frau Weber es dann besser verstehen. Ob sie sich auch daran halten würde, war eine ganz andere Sache.

      „Stellen Sie sich vor, Herr May, Frau Schnells hat endlich wieder einen Freund“, begann sie. „Nach so langer Zeit. Damit meine ich, seid ihr Mann tot ist. Er hat ihr auch ein Geschenk mitgebracht, der Neue, haben Sie es gesehen? Es steht schon seit zwei Tagen neben der Haustüre. Wenn Sie mich fragen, das ist ein ziemlich komisches Geschenk. Anscheinend weiß der Neue schon vom Steg am Fluss.“

      „Jaja, Frau Weber, denke ich auch, jedenfalls passt der Text dahin“, parierte Johann May etwas desinteressiert.

      Helene Weber wollte gerade so richtig los legen, da zeigte der Postbote auf seine Taschen, gab ihr die Briefpost direkt in die Hand, deutete auf seine Uhr, machte eine Handbewegung die anscheinend das Wort schade darstellen sollte und erinnerte daran: „Ich muss weiter, ich muss! Erzählen Sie mir demnächst mehr davon, Frau Weber. Wiedersehn.“ Damit schwang er sich


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