Unabwendbare Zufälligkeiten. Inge Borg
von außerhalb gerne diese Möglichkeiten nutzten, nicht. Hinweisschilder am Parkplatz zeigten mit Pfeilen den nach rechts führenden Fuß- oder Spazierweg in den Ort. An dieser gesamten Strecke war Angeln erlaubt. Ebenso auch an einer besonders seichten Stelle das Baden. Der nach links zeigende Pfeil kennzeichnete die Privatgrundstücke, mit zusätzlichem Vermerk: Kein Durchgang! Obwohl dies sehr deutlich angezeigt und erkennbar war, kam es in den ersten Jahren oft vor, dass Fremde neugierig auf den privaten Uferstreifen herumliefen, sogar mehrmals bis in die Gärten vordrangen. Herr Schmitz Senior war darüber mehr als verärgert, er grenzte kurzerhand sein Doppelgrundstück bis an den Pfad mit einem Wildzaun ab. Das Schmitz-Grundstück war besonders betroffen gewesen, denn einige Male muteten Plünderer seinem Garten Besuche zu, hinterließen nicht nur ihre Spuren, sondern ließen wie selbstverständlich einiges mitgehen. Zusätzlich befestigte er noch ein kleines Schild an diesem Drahtzaun, nur mit dem einzigen Wort „privat“ dick und fett gedruckt. Danach wurde es etwas besser. Es gab zwar leider noch vereinzelt unverschämte Menschen, die es auch weiterhin nicht schafften anderer Leute Eigentum zu achten, doch weiter wie zum Grundstück der Schnells führte der Pfad ohnehin nicht und so glaubte man, irgendwann werde es hoffentlich uninteressant, die Privatgegend zu erkunden.
Mark Schnells Versuch, den Teil hinter dem Weber-Grundstück als Liegewiese urbar zu machen, schlug fehl. Die Schilf- und Binsengewächse, die hohen, harten Stauden waren stärker. Der Wildwuchs würde nie vollständig zu bremsen sein, aber das beabsichtigten sie auch nicht wirklich. Mark pflasterte mit Naturplatten einen Fußweg durch das gesamte Grundstück vom Haus bis zum Fluss, über den man bequem und trockenen Fußes direkt zum Ufer gelangte, oder umgekehrt. Am Ufer verankerte Mark den breiten Holzsteg, den er mit Michaels Hilfe selbst zimmerte und imprägnierte, der auf Stahlstelzen stehend bis in den Fluss hinein reichte. Als Mark noch lebte, beschäftigten sie sich fast jeden Abend und an den Wochenenden der wärmeren Jahreszeit hier oder ruhten sich einfach nur aus. Susanne fand zu ihrem Hobby zurück, nach langer Zeit. Sie malte wieder. Mark gefielen ihre Bilder, ihre Heidelandschaften. Irgendwann einmal fragte er sie: ‚Warum malst du nicht mal diese Landschaft hier?‘ Damals sagte sie lachend: ‚Vielleicht später, erst muss ich meine uralten Erinnerungen festhalten‘. Wie hätte sie ahnen sollen, dass Mark dieses in Aussicht gestellte Gemälde niemals solange er lebte würde sehen können. Mark liebte Susanne, aber: ‚Uralte Erinnerungen? Du bist gerade was über dreißig‘, war seine verständnislose Reaktion gewesen. Und Susanne konnte heute noch über ihren Realisten lächeln. Sie saß stundenlang an einem Bild und vergaß die Wirklichkeit. Der Realist Mark fand indessen die hohen Erlen, die Trauerweide mit tief herab hängenden Zweigen und die alte Birke mit dem inzwischen recht knorrigen Stamm, romantisch. In all dem entdeckte er mit der Zeit den Ausgleich zu seinem stressigen Architekten-Beruf. Das war sowieso ziemlich erstaunlich gewesen, wie unkompliziert sich dieser Stadtmensch der ländlichen Gegend so schnell anpassen konnte. Und doch, auch Mark empfand diese Neugierde verschiedener unhöflicher Leute nicht gerade lustig. Und eines Tages kam ihm der Gedanke, den unerwünschten Besuchen endgültig ein Ende zu bereiten. Umgehend ließ er in der Stadt ein Schild anfertigen, dessen Text jedem normalen Leser verständlich sein dürfte. So jedenfalls glaubte Mark.
PRIVATBESITZ
BADEN – ANGELN & FISCHEN
NICHT GESTATTET
Der Eigentümer
Verboten, dieses Wort war für ihn nicht in Frage gekommen, wie es auf den fertig zu kaufenden Schildern stand. Außerdem hätte er dann zwei Schilder aufstellen müssen, denn gleichzeitig Bade- und Angelverbot auf einem Schild gab es nicht fertig zu kaufen. Seine Erklärung dafür: ‚Verboten, das passt nicht zu diesem idyllischen Ort! Erst recht nicht, weil meine geliebte Frau hier stundenlang ihre Bilder malt‘, und dazu zwinkerte er unverschämt mit seinem rechten Auge.
Susanne schmunzelte, es war nicht oft vorgekommen, dass Mark romantisch wurde, doch sie konnte sich noch sehr gut an die versteckten Liebesbezeugungen ihres Mannes erinnern. Aber seitdem war so manches Jahr dahin gegangen.
Jetzt kam Susanne plötzlich zu Bewusstsein, Michael lief am Ufer entlang, wieso? „Micha, sag mal, wollte Frau Pieper Markus und dich nicht von der Schule abholen?“
„Hat sie auch.“
„Aber warum brachte sie dich nicht nach Hause, wie es abgemacht war?“
„Ach Mama, Frau Pieper hatte es supereilig, es war ihr schon viel zu spät für – irgendwas, keine Ahnung – da bin ich bei Markus ausgestiegen und gelaufen.“
„Das erklärt aber immer noch nicht, wieso du den Umweg am Fluss entlang genommen hast.“
„Nein, ich bin nicht den Pfad gelaufen, bin erst beim Parkplatz abgebogen, na ja, den Rest kennst du ja.“ Michael tat genervt.
„Ja und wenn die Sportstunde nicht ausgefallen wäre, es Markus Mutter nicht so eilig gehabt hätte, und du nicht gedankenverloren in den Pfad abgebogen wärst, dann wüssten wir immer noch nicht, dass sich auf unserem Grundstück wieder mal Fremde herumtreiben. Noch schlimmer, Fremde, die sich wie zuhause fühlen.“, rekonstruierte Susanne aufgebracht.
„Zufall Mama, alles nur Zufälle!“
„Nee, nee Michael, das denke ich nicht. Du glaubst doch, das Schild ist geklaut, was mir eigentlich inzwischen auch so vorkommt. Weiß zwar nicht so ganz wozu das gut sein soll, außer Fische angeln, wer davon einen Nutzen haben kann oder will, aber Zufälle wie du sie siehst, nee, daran glaube ich nun mal nicht! Da gibt es sonst noch was!“
Michael verzog unwillig sein Gesicht. Jetzt geht das schon wieder los. Seine Mutter dachte ihm oft zu kompliziert, nur, wenn das Schild wirklich gestohlen wurde, wovon er überzeugt war, dann …?
„Du weißt wie ich darüber denke, warte ab! Da steckt mehr dahinter, das war nicht alles. Angeln kann man an mehreren Stellen am Fluss, warum also ausgerechnet an unseren Steg?“, setzte seine Mutter ihre Überlegungen fort.
Dann bestimmte Michael sehr energisch: „Nachher gehen wir ans Ufer und suchen noch mal alles ganz genau ab! Wenn’s ja doch nur ein Schabernack war, kann es überall da herum liegen, sogar auch am Parkplatz.“ Er war zwar erst zwölf Jahre alt, aber seit gut fünf Jahren der einzige Mann im Haus und er erbte nun mal neben seiner realen und logischen Denkweise auch ziemlich viel von der Entschlusskraft seines Vaters!
2
Frank Hauff war verärgert. Einmal im Jahr um die Osterzeit machte er drei Wochen Urlaub. Angelurlaub! Aber so etwas war ihm bisher noch nicht passiert. Dieser Junge bluffte nicht. Irritiert schaute auch er umher auf der Suche nach einem Verbotsschild, welches wohl normalerweise im Bereich des Angelstegs stand. ‚Das ist unser Steg‘ hatte sich der Junge entrüstet und ihm war schließlich nur ‚sorry‘ über die Lippen gekommen, es war ihm vorläufig nichts weiter dazu eingefallen. Die bereits gefangenen Forellen hatte er wütend im hohen Bogen in den Fluss zurück geschüttet. Wie ein begossener Pudel war er durch den Pfad zum Parkplatz gegangen, mit der Angelrute und dem leeren Eimer. Die Angelutensilien hatte er achtlos in den gemieteten Jeep geworfen, um dann voller Zweifel zum Hotel Haus Agnes zurück zu fahren.
Es gab zwei Möglichkeiten, entweder benutzte er unwissend seit eineinhalb Wochen den falschen Angelsteg und dieses Privatgrundstück gehörte nicht zum Hotel-Restaurant, wie es bisher für ihn den Anschein gehabt hatte, oder, und er wusste selbst nicht wieso ihm plötzlich dieser Gedanke kam, man brauchte mehr Gäste in dem Hotel? Ein Haus am Fluss – stand das nicht so in dem Flyer? Sollte dies eine Einladung speziell für Angler sein? Nur leider schloss ein steil abfallendes Ufer im Bereich des Hotels jede Angelmöglichkeit aus. Deshalb ließ man sich etwas einfallen auf Rückfragen betreffend Interesse am Angelsport? Man machte wissentlich falsche Angaben? Aber das wäre gesetzwidrig! Und das Schild, welches der Junge vermisste? War da nicht dieser Prospekt im Zimmer? Ein eigenartiges unerklärliches Gefühl beschlich Frank und er konnte es nicht einfach so verdrängen. Er parkte hinter dem Haus, schritt mit dem blauen Plastikeimer durch den Hintereingang direkt in die Küche, stellte ihn mit Nachdruck mitten auf einem Tisch ab und ging wortlos durch den Speiseraum zum Empfang.