Unabwendbare Zufälligkeiten. Inge Borg

Unabwendbare Zufälligkeiten - Inge Borg


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ging es denen um eine weitere, eine dritte Person, ebenfalls eine Frau. Diese erdreistete sich offensichtlich mit über fünfzig Jahren einen Mann zu heiraten, der nach Meinung der Lauten um etliche Jahre jünger sein dürfte als diese und der es bestimmt auch nur auf ‚versorgt sein‘ anlegte. ‚Der ist doch ein Filou, wie er im Buche steht! Und sie tut sich auch noch dicke mit dem Kerl, ich verstehe sie nicht, zeigt ihn stolz überall rum!‘ Irgendetwas wollte wohl die kleinere Dame zu der bisher recht einseitigen Unterhaltung beitragen, doch sie war entschieden zu leise. Ihre Freundin, oder wie immer sie ihr Gegenüber sah, überhörte und übertönte sie lautstark: ‚Das hätte ich nicht von ihr gedacht, dass sie es so nötig hat!‘ So abfällig ausgedrückt ging das auch noch weiter, dieses schäbige Herziehen über jene bestimmte Abwesende.

      Für Susanne war das bisher Gehörte mehr als genug. Die Gemütlichkeit in diesem Café war für sie dahin, sie zahlte und verließ das Lokal. Welch ein Glück, ich bin zufrieden wie es ist, brauche mir keinen Filou oder Kerl zu angeln – ganz bestimmt nicht, ganz sicher nicht, und sie fuhr los. Sie war sowieso inzwischen spät dran. Irgendwie musste sie sich total verzettelt, auch ein bisschen das Zeitgefühl verloren haben. Dabei wollte sie doch nur … Es kam ihr vorhin ganz spontan in den Sinn, genau heute, diesen Morgen für einen kleinen Bummel in der Stadt zu nutzen, ein wenig der ländlichen Stille entfliehen oder vielmehr, um in Horsts-Fundgrube einen Blick zu werfen. Horst Patt bekam sie jedoch nicht zu Gesicht. Zu dumm, ich hätte nach ihm fragen sollen, fiel ihr verspätet ein. Immerhin war ihr jetziges privates Gemälde so gut wie vollendet und danach – ob Horst Patt noch an weiteren Bildern von mir interessiert ist?, fragte sie sich. Aber jetzt galt es schnellstens nach Hause zu fahren, den dämlichen Tratsch aus dem Kopf zu bekommen – mein Gott wie blöd –, lieber das Mittagessen auf den Tisch bringen für ihren Sohn und sich selbst. Oft war es nicht mehr vorgekommen in den letzten Jahren, dass sie in die Stadt fuhr, nur so zur Ablenkung schon gar nicht. Doch heute war ihr danach gewesen. Eigentlich gab es keinen Grund die Stadt aufzusuchen, denn sämtliche Einkäufe und Besorgungen konnten im nahen Ort getätigt werden. Es gab nichts, was es dort nicht gegeben hätte – außer, den Bahnhof natürlich und Horsts-Fundgrube, wohin sie einst jahrelang ihre Bilder zum Verkauf brachte. Und genau darum war es ihr auch hauptsächlich gegangen, als sie die blitzartige Idee fassend auf und davon in die Stadt aufbrach. Die Fahrt war umsonst, dachte sie und erkannte: Ich hätte vorher anrufen sollen. Und die Rahmen? Nein! Irgendwie gefiel ihr keiner so wirklich und unschlüssig ließ sie die Finger davon. Na, ja, dass sie dann noch in dem kleinen Café einkehrte, dumm gelaufen.

      Immer noch gedanklich etwas abgelenkt, deckte sie den Tisch. In der Pfanne brutzelte das Fleisch und jeden Moment konnte … Da fiel mit einem lauten Krachen die Haustüre ins Schloss. Michael – ach du liebe Zeit, was war ihm denn jetzt schon wieder in die Quere gekommen?

      Im nächsten Moment flog die Küchentür auf, der Schulranzen wurde unsanft abgestellt und Michael flappte sich stumm auf die Bank hinter den Tisch. Es war deutlich sichtbar, irgendetwas musste ihn restlos verstimmt haben. Beide Ellenbogen auf den Tisch und den Kopf zwischen die Hände gestützt ging sein finsterer Blick unter den Augenbrauen durch zu seiner Mutter.

      Sie sah ihn prüfend an, das kannte sie ja, dieses plötzliche Aufbrausen, welches zum Glück genauso schnell auch wieder abflaute. Warum nur ließ er sich immer derartig aus der Fassung bringen? „Also, Micha – was ist? Sag schon!“

      „Mama, da saß gerade einer am Steg und angelte.“

      „Und, du hast ihn gefragt, ob er nicht lesen kann, oder?“

      „Ja Mama, hab ich, genau das habe ich zu ihm gesagt, ganz genau so, aber er hat ganz verdutzt rumgeguckt und zurück gefragt, von was ich eigentlich sprechen würde.“ Und dann schlug Michael mit der Faust auf den Tisch. „Mama, unser Schild ist weg! Weg! Es liegt auch nicht im Gras oder Schilf, falls du das meinst, es ist weg, verschwun-den!“

      Susanne überlegte, das letzte Mal waren sie im Herbst, etwa Ende November am Fluss gewesen, jetzt war April bald vorbei und sie fragte: „Micha, denk mal nach, im Herbst war doch noch alles in Ordnung, das Schild stand und es war auch nicht wackelig. Und neulich, als du am Steg unser Uferstück bereinigt hast, stand es denn da noch? Und die anderen Hinweise am Parkplatz, waren die auch noch da?“

      „Ja klar! Alles war wie immer. Nee Mama, das ist nicht umgefallen, überleg mal, dann müsste es doch irgendwo liegen. Nein, nein das hat jemand verschwinden lassen, mit Absicht!“

      „Wozu denn? Welchen Zweck soll das denn haben? Oder, es soll nur ein Streich sein, von Jugendlichen oder so.“

      „Mensch Mama – meinst du, die kommen aus dem Ort, laufen fast einen Kilometer, nur für ein Verbotsschild verschwinden zu lassen? So’n Quatsch! Und dann geht auch noch jemand hin und angelt? Rein zufällig oder wie? Das ist doch gewollt!“

      Schon komisch, ja. Michaels logischer Gedankengang war nicht vor der Hand zu weisen. Angeln konnte man schließlich am ganzen Fluss entlang, wenn auch nicht so bequem wie vom Steg. Möglicherweise steckte System dahinter. „Sag mal Michael, kanntest du denn den Mann? Ich meine den Angler, und wie hat er reagiert?“

      „Genau so sauer wie ich! Er hat seinen Eimer mit den drei gefangenen Fischen in den Fluss gekippt, seine Angel zusammen geräumt, sorry gemurmelt und ist durch den Pfad zurück zum Parkplatz gestampft. Da stand nämlich ein Jeep, der gehörte ihm bestimmt, würde zu ihm passen. Und nein, den hab ich noch nie gesehen.“

      Susanne hörte schon nicht mehr so richtig hin und überlegte laut: „Dann werde ich wahrscheinlich nicht drum herum kommen ein neues Verbotsschild zu kaufen, gehe morgen mal in Bergers-Markt.“ Sie sah ihren Sohn an und schlug vor: „Wir sollten aber vielleicht trotzdem erst mal nachsehen, ob die Schilder am Parkplatz noch einwandfrei zu lesen sind oder inzwischen durch Sträucher verdeckt werden. Zu blöd, dass es immer wieder Leute gibt die mein und dein nicht unterscheiden können. Wie sieht es denn überhaupt aus, müssten wir nicht längst wieder die wilden Gewächse schlagen und zum Verbrennen sammeln?“

      „Dazu ist es jetzt zu spät, oder zu früh, Mama. Erst müssen die Enten und Vögel flügge sein, die letzten ihre Nester verlassen haben. In fünf oder sechs Wochen geht das frühestens. Bis zum Steg ist alles sauber und der Pfad ist frei, jedenfalls bis hinterm Parkplatz, weiter hab ich mich natürlich nicht umgesehen, konnte ja nicht ahnen was da auf uns zukommt. Es eilt also nicht.“

      „Was? Wer hat denn das Stück Pfad sauber gemacht, und sogar hinter Schmitz? Die doch ganz bestimmt nicht“, sagte Susanne erstaunt.

      Michael hob die Schultern. „Wenn wir das wüssten Mama, dann wüssten wir wahrscheinlich auch, wer das Schild geklaut hat!“ Auch wenn er vorläufig noch nicht so recht den Sinn dafür erkennen konnte, außer vielleicht: Wegen unerlaubtem Angeln? Wofür sonst? Eines war ihm vollkommen klar: „Unser Schild ist geklaut! Glaub‘s mir, Mama.“

      Susanne hielt das von ihrem verstorbenen Mann so geliebte Endgrundstück am Fluss hoch in Ehren, auch wenn sie sich seit Jahren eher selten dort aufhielt. Da waren so viele Erinnerungen, die sie immer noch traurig stimmten. Ich muss mich endlich wieder kümmern, nicht alles Micha überlassen, entschloss sie sich und schüttelte den Kopf, welch ein verrückter Tag.

      Damals, als die Gemeinde das breite Flussufer den wenigen anliegenden Grundstückbesitzern zum Kauf anbot, griff Mark Schnells sofort zu, das kam ihm vor wie gesucht und gefunden. Ein Stück eigener Fluss, die Füße hinein baumeln lassen und angeln. Sogar das Stück hinter dem Weber-Besitz kaufte er mit, denn die allein stehende Frau Weber sah keine Verwendung dafür. Im Gemeindebüro begrüßte man es, dass in der abseits gelegenen Kleinsiedlung Bergstraße Interesse für die Uferstücke bestand. Es wurde sogar an der etwa 900 Meter langen, sich windenden Wiesen- und Ackerstrecke unmittelbar am Fluss entlang, ein Fußweg eingerichtet. Allerdings entwickelte der sich inzwischen mehr und mehr zu einem Trampelpfad. Und damit dieser Weg nicht nur von den Anliegern genutzt werden konnte, wurde an der Straße ein kleiner Parkplatz geebnet, direkt angrenzend an das Anwesen der Familie Schmitz. Es gab damit nicht nur für Anlieger die Möglichkeit, entlang dem Fluss die Haupt-Ortschaft fußläufig zu erreichen, sondern auch für Jedermann, Ausflügler oder Spaziergänger. Der Parkplatz


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