FreiSinnig. Kristina Schröder

FreiSinnig - Kristina Schröder


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navigiert. Die Kreuzfahrt beginnt mit nachdenklichen Reflexionen über die Pandemie – vor allem mit Blick auf neue Gewohnheiten, die sich rasend schnell eingeschlichen haben. Unmerklich drehte sich zum Beispiel die Pflicht zur Begründung um: nicht mehr die Einschränkung von Freiheiten galt auf einmal als begründungspflichtig, sondern ihre Aufhebung. Ein „pandemischer Imperativ“, hinter dem der „klimapolitische Imperativ“ gar nicht zu übersehen ist, deutete auf einen neuen Autoritarismus hin, der nicht nur Bürgerfreiheiten gefährdet, sondern auch soziale Folgeschäden außer Acht ließ. Kristina Schröder hingegen plädierte schon während der Pandemie hartnäckig für Abwägung und Differenzierung von Verhältnismäßigkeiten, und sie ließ keinen Zweifel, dass die Unbedingtheit des „Hört auf die Wissenschaft“ nichts anderes ist als eine neue Form der selbst verschuldeten Unmündigkeit.

      Freiheit und Selbstbestimmung, das waren auch ihre Leitlinien als Bundesfamilienministerin im zweiten Kabinett Merkel 2009–2013. Ins Zentrum geriet dabei ein Thema, das ursprünglich gar nicht ihres war: das Betreuungsgeld für Familien, die ihre unter dreijährigen Kinder selbst betreuen und nicht in eine Krippe geben. Ordnungspolitisch gab es manchen Grund zur Skepsis, ob es richtig ist, eine Kompensation für eine nicht in Anspruch genommene staatliche Leistung zu zahlen. Wer nicht in die staatlich subventionierte Oper geht, bekommt ja auch kein Musikgeld. Aber darum ging es nicht. Es ging vielmehr um ein Signal der Wertschätzung gegenüber denjenigen Familien, die zum Gemeinwohl beitragen, indem sie ihre kleinen Kinder innerhalb der Familie betreuen, und die ihr Lebensmodell durch eine hochnormative politische Wende zugunsten der außerfamiliären Betreuung infrage gestellt sahen. Insofern stand das Betreuungsgeld für eine wirklich liberale Familienpolitik, die auf die Vielfalt frei gewählter und selbstbestimmter Lebensentwürfe setzt, statt die Gesellschaft nach dem Bilde der vermeintlich Besserwissenden zu regulieren.

      Das galt dann auch für ihre große biografische Entscheidung, nach der Bundestagswahl 2013 nicht wieder als Ministerin zur Verfügung zu stehen. Was für eine Entscheidung: mit glänzenden beruflichen Zukunftsaussichten auf ein Ministeramt zu verzichten, um mehr Zeit für die Familie zu haben! Ich habe mich oft gefragt: Hätte ich das fertiggebracht? Jedenfalls hat Kristina Schröders selbstbestimmte und sehr persönliche Entscheidung Vorbildcharakter, die sich dem Mainstream der Erwartungen entzieht. Souverän eben.

      Stereotypen Erwartungen entzieht sie sich auch in der kritischen Auseinandersetzung mit dem Feminismus. Dass Unterschiede zwischen Männern und Frauen nur in den biologischen Geschlechtsmerkmalen lägen, alle anderen hingegen kulturell anerzogen seien, das widerspricht nicht nur Erfahrung und Alltagsvernunft (und vielfältigen wissenschaftlichen Erkenntnissen). Kristina Schröder ist eine der wenigen Frauen, die dies auch öffentlich und offen sagen. Natürlich gibt es strukturelle Benachteiligungen von Frauen, und es ist die Aufgabe von Politik, solche Benachteiligungen zu beseitigen. Aber es sind nicht nur Benachteiligungen, die zu Ungleichheiten führen, sondern auch individuelle Präferenzen. Und es sind eben diese freien Entscheidungen, die der Gedanke der Parität völlig außer Acht lässt. Kristina Schröder benennt die Dinge beim gesellschaftspolitischen Namen: Gleichstellung zielt auf die Herstellung von Ergebnissen und ist letztlich illiberal. Gleichberechtigung hingegen sorgt für möglichst faire und echte Startchancen und ist der liberale Ansatz von Gesellschaftspolitik.

      So klar die „unerbittliche Denkerin“, wie ein führender deutscher Publizist sie kürzlich nannte, die Dinge beim Namen nennt, nie fehlt es ihr dabei an feiner Ironie und am augenzwinkernden Humor fatalistischer Eltern, die das Leben kennen. Das gilt für die Doppelmoral von Meghan und Harry als Verzichtprediger bis zum CO2-Fußabdruck der Skipper, mit denen Greta Thunberg über den Atlantik segelte. Kristina Schröder argumentiert nie verbissen, sondern immer mit Empathie für die Verschiedenheit der Menschen und ihrer Bedürfnisse.

      Sie ist energisch in der Sache und verbindlich in der Art, wenn sie keine Themen scheut, vor allem nicht die unbequemen. Wenn sie sagt, der „Islam ist das, was die Muslime daraus machen“, dann trifft sie den liberalen Ton von Selbstbestimmung und Selbstverantwortung, der Muslime als mündige Bürger ernst nimmt, statt sich in identitärer Abschottung oder multikultureller Schönrednerei zu verschanzen. Und wenn sie auf Regeln des Zusammenlebens besteht, die von Muslimen einzufordern sind und die zugleich für alle gelten, dann ist dies das Konzept einer bürgerlichen Kultur, die Offenheit und Verbindlichkeit miteinander verbindet und ohne die eine Gesellschaft nicht auskommen kann.

      Oder das nach wie vor hoch ideologisierte Thema Abtreibung: Während entschiedene Abtreibungsgegner meist wenig Sinn für das Dilemma ungewollt schwangerer Frauen aufbringen, haben Abtreibungsbefürworter den Begriff „Lebensschützer“ in die Nähe von Verfassungsfeinden gerückt. Dass es so sehr an Bereitschaft zur Vermittlung im Zielkonflikt zwischen weiblicher Selbstbestimmung und dem Lebensrecht ungeborenen Lebens fehlt, ist ein Armutszeugnis der öffentlichen Debatte. Auch hier plädiert Kristina Schröder dafür, sich ehrlich zu machen: „Natürlich wird bei einer Abtreibung ein Kind getötet“ – um zugleich für abwägende Lösungen zu plädieren.

      Oder der öffentlich-rechtliche Rundfunk. Kristina Schröder verbindet Wertschätzung mit der Benennung unübersehbar ideologischer Schlagseiten und fordert nach dem guten alten Grundsatz von Hanns Joachim Friedrichs einen Journalismus ein, der sich „nicht gemein macht mit einer Sache – auch nicht mit einer guten Sache“, der „überall dabei ist, aber nirgendwo dazugehört“, und der die Dinge von unterschiedlichen Seiten beleuchtet, sodass sich mündige Bürger selbst ein Urteil bilden können, statt moralisch belehrt zu werden.

      Abwägung statt Unbedingtheit, Alltagsvernunft statt Ideologie und Gesprächsoffenheit statt Ressentiment – zu Recht schrieb der bereits zitierte Publizist: „Andere Autoren moralisieren, Frau Schröder argumentiert.“ Offene Debatten und klare Positionen sind das Lebenselixier der liberalen Demokratie. Insofern kann die Quintessenz von „FreiSinnig“ nur lauten: Mehr Kristina Schröder wagen!

      CORONA

      Es gibt keinen pandemischen Imperativ

      Wie kommen wir da wieder raus? Im Frühsommer 2021 scheint mir diese Frage die dringendste.

      Damit meine ich weniger das Infektionsgeschehen. Die Inzidenzen befinden sich derzeit im steilen Sinkflug, der R-Wert, der uns allen inzwischen so vertraut ist, liegt stabil unter 1 und die Impfquote steigt seit ein paar Wochen endlich nennenswert an. Sollte uns nicht wieder eine Mutante in die Quere kommen – Delta wird derzeit heiß gehandelt –, könnte wirklich die Beherrschbarkeit der Pandemie nahen.

      Aber auch das Ende unserer „neuen Normalität“, an die wir uns während der Pandemie so erschreckend schnell gewohnt haben? Werden wir in wenigen Monaten wirklich wieder unbefangen Menschen zur Begrüßung umarmen, Schüler auf Klassenfahrt schicken und Freunde (aus mehreren Haushalten!) zum Abendessen einladen?

      Ich fürchte: Erst mal nicht. Die Pandemie, mehr noch, unser Umgang damit, hat unser Denken und Fühlen, unsere Einschätzungen und Wertungen verändert. Viele von uns haben eine unbarmherzige Konsequenz im Umgang auch mit sehr kleinen Risiken entwickelt, die alle anderen Nebenfolgen dieser Handlung ausblendet. Wir haben uns an eine prinzipielle Umkehr der Begründungspflicht gewöhnt, wer „normal“ leben will, muss beweisen, dass er nicht ansteckend ist, wer Freiheiten wieder etablieren will, muss beweisen, dass damit kein Risiko verbunden ist. Wir haben eine Verwischung der demokratietheoretisch fundamentalen Zuständigkeiten von Wissenschaft und Politik zugelassen, Teile der Wissenschaft verkauften Werturteile als Tatsachenaussagen und viele in der Politik nahmen diesen angeblichen „pandemischen Imperativ“ dankbar an. Wir haben uns an Grundrechtseinschränkungen auf Verdacht gewöhnt, der legitime Zweck reicht aus, Geeignetheit, Erforderlichkeit und Angemessenheit sind irgendwie 2019 verloren gegangen.

      Unsere Maßstäbe sind verrutscht, dies empfinde ich spätestens seit Mai 2020 so. Und ich habe die Sorge, dass dies Folgen lange über die Pandemie hinaus haben wird. Denn Instrumente, deren Einsatz bisher in freiheitlichen Rechtsstaaten kaum vorstellbar waren, liegen jetzt nicht nur auf dem Tisch, sondern kamen zum Einsatz. Wir wissen, dass sie in einem gewissen Maß funktionieren und vor unseren Verfassungsgerichten weitgehend bestehen. Und dass eine stabile Mehrheit der Deutschen ihre Anwendung in einer krisenhaften


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