Literarische Romantik. Gerhard Kaiser

Literarische Romantik - Gerhard Kaiser


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die Würde des Unbekannten, dem Endlichen einen unendlichen Schein gebe so romantisire ich es – Umgekehrt ist die Operation für das Höhere, Unbekannte, Mystische, Unendliche – dies wird durch diese Verknüpfung logarythmisiert – Es bekommt einen geläufigen Ausdruck. […] Lingua romana. (N II, 334)

      2. Transzendentalität: Dieser Gedanke wird bei Schlegel so formuliert:

      »Und doch kann auch sie [die romantische Poesie, G.K.] am meisten zwischen dem Dargestellten und dem Darstellenden, frei von allem realen und idealen Interesse auf den Flügeln der poetischen Reflexion in der Mitte schweben, diese Reflexion immer wieder potenzieren und wie in einer endlosen Reihe von Spiegeln vervielfachen. (FS 2, 182f.)

      Bei Novalis heißt es: »Romantisiren ist nichts, als eine qualit [ative] Potenzirung.« (N II, 334) Was beide hier im Blick haben, ist, dass die romantische Poesie gleichsam eine – wie es an anderer Stelle heißt – »Poesie der Poesie«, eine »Transzendentalpoesie« ist. Den Begriff des »Transzendentalen« entleiht Schlegel bei Immanuel Kant, bei dem mit dem Begriff eine Denkbewegung gemeint ist, die das Denken selbst zum Gegenstand des Denkens macht und nach den Bedingungen der Möglichkeit von Erkenntnis überhaupt fragt. Transzendental wäre also jene Poesie, die sich auf sich selbst zurückbeugt und nach den Bedingungen ihrer Möglichkeit fragt; eine Poesie, die sich also nicht im Darstellen (im Erzählen von Geschichten) erschöpft, sondern die zugleich die Darstellung selbst, den Prozess des Darstellens (das Wie und/oder den Akt des Erzählens) zum Thema macht: z.B. ein Roman, der nicht nur eine Geschichte erzählt, sondern der zugleich auch das Schreiben eines Romans selbst zum Thema macht. Die romantische Poesie ist eine solche, die die Poesie selbst noch einmal zum Objekt macht. Deshalb spricht Novalis auch von der qualitativen Potenzierung, die ja auch eine Operation darstellt, bei der eine Zahl sich selbst noch einmal zum Gegenstand werden kann, indem sie mit sich selbst |25◄ ►26| multipliziert wird (22 entspricht 2x2). Dieser Gedanke, dass die Poesie also Subjekt und Objekt, Darstellendes und Dargestelltes zugleich ist, wird in Schlegels Ausführungen auch auf grammatischer Ebene anschaulich, wenn die Poesie Subjekt und Objekt des Satzes zugleich ist: »Sie [d.i. die Poesie, G.K.] will, und soll auch Poesie und Prosa, Genialität und Kritik […] bald mischen, bald verschmelzen […]« (FS 2, 182).

      3. Progressivität: »Progressiv« enthält eine beschreibende und zugleich eine wertende Komponente, es meint »fortschreitend« und »fortschrittlich« zugleich. Letzteres versteht sich gleichsam von selbst. Denn dass Schlegel sein eigenes poetologisches Programm für fortschrittlich im Sinne von modern hält bzw. es so ausweist, liegt nicht zuletzt im Überbietungsgestus einer Programmatik begründet, die sich innerhalb des zunehmend von Konkurrenz gekennzeichneten, literarischen Feldes gegen ihre ›Gegner‹ (etwa aufklärerische Poetiken) durchsetzen muss. Insofern hat die das Fragment beschließende Versicherung Schlegels, »denn in einem gewissen Sinne ist oder soll alle Poesie romantisch sein«, fast etwas von der Androhung einer ›freundlichen Übernahme‹ potenziell aller rivalisierenden poetologischen Konzepte.

      Was aber bedeutet fortschreitend? Wie ist es zu verstehen, wenn Schlegel insistiert, die »romantische Dichtart« sei »noch im Werden; ja das ist ihr eigentliches Wesen, daß sie ewig nur werden, nie vollendet sein kann« (FS 2, 183)? Die Rede vom »ewigen Werden« wird verständlicher, wenn man den Blick über den je einzelnen (romantischen) Text hinaus erweitert. Dann könnten mit Progressivität u.a. folgende Aspekte gemeint sein:

      a) Die romantische Dichtart folgt keinen spezifischen Regeln, weil sie, wie Schlegel betont, »als ihr erstes Gesetz anerkennt, daß die Willkür des Dichters kein Gesetz über sich leide« (ebd.). Insofern sie also vornehmlich an die Subjektivität und die Phantasie ihres jeweiligen Verfassers gekoppelt ist, befindet sich die romantische Dichtart – zumindest der Möglichkeit nach – in einem Zustand der permanenten, eben von den jeweiligen schreibenden Subjekten allein abhängigen Entwicklung. Insofern, als außerkünstlerische Aspekte ihre Entwicklung deshalb auch nicht beeinflussen können, ist sie autonom (im wahrsten Sinne des Wortes, heißt »autonom« doch so viel wie »selbstgesetzgebend«). Das ist natürlich alter Wein in neuen Schläuchen, bedient sich Schlegel hier doch bei einer Genieästhetik, die seit dem Sturm und Drang geläufig ist. Die Absage an regelpoetische Vorstellungen und das Loblied der Phantasie bedeuten wiederum nicht, dass die romantische Poesie – ihrer Form nach – völlig willkürlich ist. Zwar duldet sie keine Verordnungen von außen, |26◄ ►27| in sich selbst soll sie allerdings auf so etwas wie »organische Ganzheit« hin angelegt sein: »indem sie jedem, was ein Ganzes in ihren Produkten sein soll, alle Teile ähnlich organisiert, wodurch ihr die Aussicht auf eine grenzenlos wachsende Klassizität eröffnet wird« (ebd.)

      b) Die romantische Dichtart ist an keine bestimmte Epoche gebunden, weder im Rück-, noch im Vorausblick: Das schafft ihr die Möglichkeit, sich selbst im literaturgeschichtlichen Rückgriff eine eigene Tradition zu erfinden (Schlegel nennt an anderer Stelle etwa Dante, Petrarca, Cervantes, Shakespeare oder Goethe als Vorläufer der romantischen Poesie) und ermöglicht für die Zukunft eine prinzipiell unendliche Bestandsgarantie qua umfassendem Eingemeindungsangebot. Denn zumindest potenziell kann ja alles romantisch sein oder es zumindest werden.

      c) Die romantische Dichtart ist fortschreitend in dem Sinne, dass einzelne Texte immer wieder auch auf andere Texte reagieren, sich auf andere Texte beziehen (kritisch oder sie fortschreibend): So erscheint die romantische Dichtart als fortschreitendes, prinzipiell unabschließbares Gespräch zwischen den Texten. Was Schlegel hier mit Blick auf die romantische Literatur fordert, bezeichnet die heutige Literaturwissenschaft als die Intertextualität von Literatur.

      d) Gemeint sein könnte indes auch der rezeptionsästhetische Aspekt, der aus jedem Text beim Lesen und beim Darüber-Schreiben wieder einen anderen Text werden lässt. Auch dieser Prozess ist ja prinzipiell unabschließbar. Und auch bei Novalis heißt es ganz in diesem Sinne: »Der wahre Leser muß der erweiterte Autor seyn.« (N II, 282)

      Wie eine solche, von Schlegel hier nur fragmentarisch skizzierte Literatur tatsächlich aussieht, das lässt sich wohl nirgends besser studieren, als an den Texten Ludwig Tiecks und an den frühromantischen Romanexperimenten. Darum soll es in den folgenden beiden Kapiteln gehen.

      Weiterführende Literatur

      Frank, Manfred: Einführung in die frühromantische Ästhetik. Vorlesungen. Frankfurt/M. 1989

      Pikulik, Lothar: Frühromantik. 2. Aufl. München 2000, S. 87-167

      Schanze, Helmut (Hrsg.): Romantik-Handbuch. 2. durchges. u. aktualisierte Aufl. Stuttgart 2003

      Bollenbeck, Georg: Eine Geschichte der Kulturkritik. Von Rousseau bis Günther Anders. München 2007, S. 116-122

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