Social Web. Anja Ebersbach
ermöglichten es auch Computerlaien, das Internet zu nutzen. Der Webbrowser Mosaic eroberte ab 1993 das Internet im Sturm. Leider besaß dieser im Gegensatz zu seinem Vorläufer Nexus keine Editierfunktion. Nexus erlaubte das gleichzeitige Editieren und Verlinken mehrerer Seiten in verschiedenen Fenstern. Ohne diese Funktion konnten dann später nur noch technisch versierte Menschen Homepages erstellen. Dennoch stellten damals private Homepages einen Großteil des WWW. Sie enthielten sehr unterschiedliche Inhalte. Dominant waren: die Bereitstellung von spezifischem Wissen, private Fotoalben sowie kommentierte Linklisten. Darüber hinaus entstanden sogenannte Webringe, die auf befreundete Webseiten verlinkten.
Zunehmend entdeckte die Wirtschaft das WWW als Kommunikationsmedium zwischen Standorten und Abteilungen. Das Internet wurde damit auch Teil des Vertriebs. Für Provider, Webdesigner und Nachrichtenanbieter boten sich neue Handlungsfelder und Internetseiten wurden zunehmend als Werbeträger entdeckt. So kam es zu einer verstärkten Professionalisierung, mit deren inhaltlichen Qualität und optischer Ästhetik private Homepages kaum mehr mithalten konnten. Sie wurden – mit wenigen Ausnahmen – in einen marginalen Bereich des WWW gedrängt, wo sie weiterhin ihre Subgruppen bildeten.
1.2.4 Web 2.0 – die Aneignung des Netzes
Webradio, Wikis, Blogs und Foren. Die Aneignung des Netzes durch immer neue Nutzergruppen blieb an den technischen Fortschritt gebunden. Aus Sicht der Produzenten und Nutzer wurde das Internet allmählich multimedial. Die ersten regelmäßigen »Radiosendungen« im Netz waren die Audiodateien von Interviews mit Netzpionieren, die Carl Malamud ab 1993 unter dem Namen Internet Talk Radio ins Netz stellte. Überhaupt weiteten sich die Möglichkeiten für einfache Nutzer, das Netz mit Inhalten zu füllen. Ein großer Schritt in Richtung user-generated content waren Mitte der 1990er-Jahre die ersten Weblogs und Wards Wiki. Frühe webbasierte Foren, beispielsweise mit der Software UBB.classic betrieben, komplettieren das Bild.
Instant Messaging und Online-Spiele. Ende der 1990er-Jahre erhielt das Internet zusätzliche populäre Funktionen: Ab 1996 stand der beliebte Instant Messenger ICQ des israelischen Start-up-Unternehmens Mirabilis zur Verfügung. Massive Multiplayer Online Games (MMOG) machten das Internet vor allem für Schülerinnen und Schüler zur beliebten Spielwiese. Die ältesten MMOGs entstanden Anfang der 1990er-Jahre als Online-Rollenspiele. Das Platzen der sogenannten Dotcom-Blase im März 2000, die erste Wirtschaftskrise der IT-Branche, hatte auf die steigende Nutzung des Internets zumindest keine Rückwirkungen. Vielmehr wurden neue Geschäftsmodelle und Angebote entwickelt.
Das Web als Dokumentationsplattform. Mit neuen datenbankbasierten Applikationen und der Erweiterung der Bandbreiten wurde es möglich, immer größere Datenmengen über das WWW zur Verfügung zu stellen. Dies veränderte das Wesen des Internets insoweit, als nun das Netz zunehmend als Plattform wahrgenommen wurde, auf der man Inhalte hinterlegen konnte.
Blogosphäre und Wikipedia. Der wachsende Anteil der von privaten Nutzern erstellten Inhalte schmälert die exklusive Stellung der etablierten Nachrichtenportale und Wissensdatenbanken. Im Zusammenhang mit der globalisierungskritischen Bewegung wurden alternative und offene Medienprojekte wie »indymedia« gestartet. Vor allem die aufkommenden Blogs und die entstehende Blogosphäre eröffneten Hoffnungen auf einen Journalismus »von unten«. Weblogs wurden als neue Mitteilungsform populär. Gleichzeitig explodierte die Anzahl der Online-Communitys und ehrenamtlichen Beiträger. Mit Wikipedia startete 2001 das bislang wohl erfolgreichste Community-Projekt überhaupt.
Die Bedeutung der Blogosphäre und des Wikipedia-Projekts für die Diskussion um die Möglichkeiten eines Netzes, das als offenes Kommunikations- und Dokumentationsmedium verfügbar wurde, kann nicht überschätzt werden. Mit Wikipedia besetzte zum ersten Mal ein nicht-kommerzielles Projekt einen absolut zentralen Kommunikationsknoten. Nach Google ist Wikipedia der zweite Rechercheort für Erstinformationen. Die Blogosphäre zeigte neue Möglichkeiten dezentraler Nachrichtenverbreitung. Mit dem Erfolg der Blogosphäre und dem Wikipedia-Projekt mussten sich nun auch die Öffentlichkeit, Organisationen, Staaten, Unternehmen und die etablierten Massenmedien mit den Steuerungsmodellen im neuen Web auseinandersetzen.
Begriff »Social Software«. Im Zusammenhang mit Wikis und Weblogs fiel dann auch um 2002 zum ersten Mal der Begriff »Social Software« im Rahmen einer Tagung »Social Software Summit« des Internetexperten Clay Shirky (Himpsl 2007). Nun entstanden in kürzester Zeit die bekanntesten Vorreiter der Social Softwareanwendungen: Mit Flickr wurde im Jahr 2002 das öffentliche Sharing zu einer Massenveranstaltung. Der Anbieter del.icio.us wies mit seinem Social Tagging neue Wege in der kollektiven Verschlagwortung. Ab 2003 konnte man bei OpenBC (Open Business Club, heute Xing) und MySpace kostenlose Benutzerprofile mit Fotos, Videos, Blogs, Gruppen usw. einrichten und mit Facebook nahm 2004 ein weiteres großes Social Network seinen Anfang. Als große Player kamen Twitter 2006 und 2011 Google+ ins Spiel.
Mobile Web. Wireless LAN und Bandbreitentechnologien wie UMTS oder LTE machten es Ende der 2000er-Jahre in bislang nie gekanntem Umfang möglich, über mobile Geräte (Laptops, Smartphones, Tablets) mit dem Internet und dem Web in ständiger Verbindung zu bleiben. Die zunehmende Erreichbarkeit des Internets erweitert die Interaktionsmöglichkeiten der Nutzer erheblich, beispielsweise was die Orientierung und Terminplanung betrifft. Die Wahrnehmung der Welt wird mit dem mobilen Web aber nicht nur erweitert, sondern gleichzeitig wieder eingeschränkt, weil etwa jedes Ereignis dokumentiert und geteilt, aber in dem Moment nur eingeschränkt erlebt werden kann. Der breiten Bevölkerung sind in jedem Fall mit dem mobilen Web mächtige Tools an die Hand gegeben. Und so überrascht es nicht, dass das mobile Web seit wenigen Jahren das Web insgesamt formt. Einige wie die Geschäftsführerin der Wikimedia Foundation Lila Tretikov (2014)6 prognostizieren sogar ein Sterben klassischer Websites. In jedem Fall verlagert sich der Entwicklungsschwerpunkt, so dass auch klassische Social-Web-Anwendungen wie Wikipedia mit Hochdruck den Anforderungen des mobilen Webs und seiner Nutzer angepasst werden.
Crowd. Unter den verschiedenen Online-Communities (Entwicklercommunities, Wikicommunities, Ratingcommunities) lassen sich seit einigen Jahren Gruppen identifizieren, die als »Crowds« beschrieben werden. Das Zusammentragen von Wissen wird als »Crowdsourcing« bezeichnet. Die Vorfinanzierung von Projekten wird über Crowdfunding- oder Crowdinvesting-Plattformen organisiert. Crowds schaffen bewusst über Arbeit oder finanzielle Beteiligung Werte. So öffnen sich völlig neue Möglichkeiten, über das Web nachfrageorientiert die Herstellung teurer Produkte und Dienstleistungen zu koordinieren und bereitzustellen. Crowds decken einen allgemeinen Bedarf und die Beteiligten unterstützen ein gemeinsames, meist auch gemeinnütziges Ziel, das sie meist emotional berührt, indem sie einen begrenzten persönlichen Beitrag leisten. Eine negative Entwicklung kennzeichnet dagegen der Begriff des Crowdworkings. Dieser beschreibt die Entstehung eines neuen Niedriglohnbereichs, in dem Menschen prekär Akkordarbeit für Unternehmen leisten.
Eroberung des Öffentlichen. Was bleibt von dem oben skizzierten Bild eines früher freien Netzes, das heute durch die Kommerzialisierung und den Zugriff der öffentlichen Gewalt bedroht bzw. zerstört ist? Hier wird ein differenzierterer Blick nötig. So haben zwar große Bevölkerungsteile in den hochindustrialisierten Ländern Zugang zum Web. Sie erobern das Netz aber unter kommerzialisierten Bedingungen, die gleichzeitig die Möglichkeiten dieser Eroberung schufen. Auch bei der der oft vorgebrachten These der Rückeroberung einer Öffentlichkeit im Internet feststellen, dass die Öffentlichkeit des Netzes vielfach erst hergestellt werden muss.
Die Entwicklung der Social Software und des Social Webs ist gegenwärtig nicht abzusehen, da sie sehr widersprüchlich verläuft. So sind Medienkonzerne an der Verknappung der Ware Wissen interessiert, was sich mit der Offenheit des Mediums Internet, die nun zur größten Kopiermaschine der Welt wurde, nicht verträgt. Dadurch entsteht gegenwärtig eine neue Konfliktlinie um Fragen des Urheberrechts, freier Software und geistigen Eigentums. Hier gibt es Selbstorganisationsprozesse, die auf die Verwertungsinteressen großer Konzerne antworten. Die File Sharing Communities und jüngst auch die Crowdfunding-Communities entwickeln über ihre große Anzahl an teilnehmenden Nutzern eine erste wirtschaftlich ernstzunehmende Gegenbewegung.
1.3 Begriffsklärung und Abgrenzung
1.3.1 Social Web und Web 2.0