Social Web. Anja Ebersbach
zu gelangen. Da diese Helfer zu unseren täglichen Begleitern geworden sind, liegt es nahe, die erwähnten Datenbestände auch mit solchen Geräten abzurufen. Ein Beispiel ist das Mobile Tagging mit zweidimensionalen Strichcodes, die an Gegenständen angebracht werden können und eine URL kodieren. Mit einem Fotohandy können diese gelesen und via mobilem Browser abgerufen werden.
7. Rich User Experience. Der letzte Aspekt bezieht sich noch einmal auf den ersten Punkt in O’Reillys Liste, geht dabei jedoch direkt auf die konkrete Bedienbarkeit der Software ein. Wenn der Desktop zum Webtop mutiert und kein Unterschied zwischen einer Applikation im Netz und einem lokal installierten Programm besteht, bedeutet dies, dass die Webapplikationen einen riesigen Sprung in Sachen Usability gemacht haben. Und in der Tat ist es auf einmal möglich Drag & Drop, ausgereifte Fenstertechniken und andere bequeme Funktionalitäten zu nutzen, die man bisher nur von der Desktopsoftware kennt. Der »Touch«-Screen erweiterte die Interaktionsformen. Eine Schlüsseltechnologie dabei ist Ajax (siehe Kapitel 2.8.2).
Soweit also die sieben Punkte, die O’Reilly angeführt hat. Mittlerweile haben sich mindestens drei zusätzliche Aspekte herauskristallisiert, die immer wieder im Zusammenhang mit dem Web 2.0 auftauchen.
Juristische Herausforderungen. Eine nicht zu unterschätzende Gefahr stellt die Transparenz persönlicher Informationen im WWW dar. Da das Web 2.0 davon lebt, dass Nutzer ihre Vorlieben, Interessen und Meinungen gerne ins Web verlagern und offenlegen, hat jeder Zugriff darauf. Dies wirft ganz neue rechtliche Problemstellungen auf, die natürlich auf das reale Leben abfärben und damit auch dort nach der momentanen Gesetzeslage behandelt werden müssen. Leider ist die Rechtsprechung mit der neuen Technologie zum Teil überfordert, so dass wenig Rechtssicherheit besteht und manchmal skurrile Urteile gesprochen werden1. Es ist anzunehmen, dass es noch Jahre dauern wird, bis der rechtspolitische Klärungsprozess tragfähige Ergebnisse bringt.
Neue Geschäftsmodelle. Die Frage, wie man momentan mit Dienstleistungen im WWW Geld verdienen kann, ist nicht trivial: Die Basissoftware läuft zum großen Teil auf Open-Source-Technologie, die meisten Dienste werden kostenlos zur Verfügung gestellt und die Konkurrenz ist riesig. Keine guten Voraussetzungen also, um einen Mehrwert zu generieren. Doch es gibt durchaus Ideen, mit denen Unternehmen im Web 2.0 Profite machen, z. B. über Premiummitgliedschaften, Werbung oder Nischenprodukte (siehe Kapitel 3.2.3).
10. Eigene Web-2.0-Ästhetik. Mit dem Web 2.0 entwickelte sich ein ganz eigenes Look&Feel. Dieses ist sehr verspielt, farbenfroh und kennt im Prinzip keine strengen Gestaltungsregeln. Das zeigten schon die für das frühe Web 2.0 so typischen lustigen, vokalarmen, zum Teil lautmalerischen Titel an, die mit Punkten und Zahlen angereichert wurden – z. B. lib.rario.us, Voo2do und Qooxdoo (sprich »kuckst du«). Das Webdesign selbst zeichnete sich durch bunte, kontrastreiche Farben, Badges, Bänder, Schaltflächen, Farbverläufe, Schatten und Spiegeleffekte aus. Zudem nahm man nicht mehr die ganze Breite des Browserfensters in Anspruch, sondern stellte die Inhalte in die Mitte, so dass die Seiten stärker an Din-A4-Seiten im Hochformat erinnern.
Abb. 1.6: Chocri besitzt das typische Web-2.0-Look&Feel und ist ein Beispiel für die neuen Geschäftsmodelle im Social Web.
Die Webseite »Web 2.0 Name Generator« nimmt die Ästhetik des neuen Webs ein wenig auf die Schippe und generiert per Mausklick typische Web-2.0-Namen.
Aktuell erleben wir mit dem sogenannten Flat-Design, einem grafisch minimalistischen Gestaltungsstil, bereits eine neue Generation der Web 2.0-Ästhetik, die den Anforderungen des mobilen Webs besser entspricht.
1.3.2 Definition »Social Web«
Ein Teilbereich des Web 2.0 ist das »Social Web«.2 Der Begriff fokussiert auf die Bereiche des Web 2.0, bei denen es nicht um neue Formate oder Programmarchitekturen, sondern um die Unterstützung sozialer Strukturen und Interaktionen über das Netz geht. Einen Ausgangspunkt für eine Definition bietet Hippner (2006), der jedoch den Begriff »Social Software« verwendet. Dieser umfasst für ihn:
• »webbasierte Anwendungen,
• die für Menschen,
• den Informationsaustausch, den Beziehungsaufbau und die Kommunikation
• in einem sozialen Kontext unterstützen.«
Gegenstand sozialer Software sind also Programme oder dynamische Webseiten, die die Techniken des Internets als Trägermedium für sich nutzen. Es geht dabei nicht primär darum, Verbindungen zwischen Servern herzustellen oder Daten auszutauschen, sondern Menschen als Zielpublikum dabei zu helfen, bestimmte zwischenmenschliche Interaktionen auszuführen. Diese bewegen sich vor allem in den Bereichen Austausch von Informationen oder Wissen, Herstellung von Kontakten zu anderen Personen und Unterhaltung mit diesen über das Internet. Diese Interaktionen finden innerhalb eines definierbaren Netzwerks statt, sind also zielgerichtet und durch Regeln gebunden. Hippner ergänzt seine Beschreibung noch um eine Reihe »spezifischer Prinzipien«, die wir weiter unten diskutieren werden.
Diese Definition ist in vielen Teilen auf das Social Web anwendbar. Jedoch sind hier Adaptionen nötig. Während Hippner von »webbasierten Anwendungen« spricht, nimmt er beispielsweise Instant Messaging mit auf, das nicht auf dem WWW aufsetzt. Wir plädieren dafür, das WWW als hartes Kriterium vorauszusetzen. Andere Plattformen benötigen jeweils eigene Software, während webbasierte Anwendungen im von uns gebrauchten Sinn im Browser laufen und nicht von externen Komponenten abhängen. Damit ist auch eine Abgrenzung von vielen Online-3D-Infrastrukturen wie Second Life möglich. Auch erweiterte Techniken wie Java oder Flash werden wir in diesem Buch weitestgehend ausklammern, obwohl durch die fast flächendeckende Verbreitung der entsprechenden Plug-ins hier möglicherweise von einer Kerntechnik des WWW gesprochen werden könnte.
Die Bereiche, in denen Anwendungen des Social Webs eingesetzt werden, sind zu erweitern und anzupassen. Neben dem Austausch von Informationen ist auch deren Erstellung von entscheidender Bedeutung. Wie wir in Kapitel 3.1.5 argumentieren werden, ist die elektronische Vernetzung eine entscheidende Voraussetzung für kollaborative Verfahren, die in vielen Bereichen des Social Webs eingesetzt werden, um gemeinsam etwas Neues zu schaffen. Anders als bei der individuellen Inhaltserstellung kann dieser kreative Akt ohne die Plattformen im Netz nicht stattfinden. Wir sehen daher die Kollaboration als eine wesentliche Dimension der sozialen Interaktion im Netz an. Des Weiteren werden Beziehungen im Social Web nicht nur aufgebaut, sondern auch aufgefrischt oder gepflegt, wenn dies anderweitig nicht mehr so leicht möglich wäre. Festzustellen ist, dass gerade in sozialen Netzwerken die Rückbindung an realweltliche Gruppen enorm ist, ja diese sogar häufig vor einer Kontaktaufnahme im Social Web bestehen. Beziehungspflege scheint daher ein wesentliches Moment der Partizipation in diesem Bereich darzustellen.
Der Begriff »sozial« ist im Englischen doppeldeutig und wird mit »gesellschaftlich« oder »gesellig« übersetzt. Er besitzt also sowohl eine gesellschaftliche als auch eine gemeinschaftliche Dimension. Während sich Mitglieder einer Gesellschaft dieser aus rationalen Gründen und Zwecküberlegungen anschließen, überwiegt bei der Gemeinschaft ein emotionales Moment. Beide können im Social Web gefunden werden. Dies gilt sowohl bei der Wahl der Plattformen, auf denen die Webnutzer partizipieren, als auch bei der Art der Teilnahme. Daher ist diesen unterschiedlichen Zielsetzungen in der Definition Rechnung zu tragen.
Social Software zielt auf Programme und Anwendungen ab. So sprechen Koch und Richter (2009, S. 12) in ihrer Definition des Begriffes von »Anwendungssysteme[n], die unter Ausnutzung von Netzwerk- und Skaleneffekten, indirekte und direkte zwischenmenschliche Interaktion (Koexistenz, Kommunikationen, Koordination, Kooperation) auf breiter Basis ermöglichen und die Identitäten und Beziehungen ihrer Nutzer im Internet abbilden und unterstützen.« In der Unterscheidung sind unter Social Web auch die bereitgestellten Daten sowie das soziale Geflecht der Beteiligten untereinander subsumiert. Diese tragen ganz wesentlich zur Attraktivität der Plattformen und deren Nutzen für die Websurfer und somit deren Erfolg bei. Die bereitgestellten Daten bieten die Grundlage für einen kom munikativen Austausch über die Plattform, der sonst nicht stattfinden würde. Social-Web-Anwendungen