Geschichte der Türkei. Cengiz Günay
in Ghettos zu leben, ebenso wenig gab es explizite Berufsverbote für Nicht-Muslime. Dennoch kam es zu einer weitgehenden räumlichen Trennung. Nicht-Muslime tendierten dazu, sich in bestimmten Stadteilen anzusiedeln und betätigten sich in Berufen, die von Muslimen kaum ausgeübt wurden und nach denen großer Bedarf bestand; dazu zählte unter anderem der Handel mit „Ungläubigen“. (Vgl. Lewis, 1981: 28)
In Bezug auf dhimmis galten allerdings lange Zeit Kleidungs- und Verhaltensregeln, die dazu dienen sollten, sie von den Muslimen zu unterscheiden. So durften Nicht-Muslime Kleidungen, Stoffe und Farben, die Muslimen vorbehalten waren, nicht tragen. Juden und Christen sowie ihr gesamter Haushalt waren dazu angehalten, bestimmte Kopfbedeckungen zu tragen und Stoffe in bestimmten Farben an ihren Oberröcken anzubringen. Diese Praxis, die eine früh-islamische war, war von den Osmanen aus Sicherheitsüberlegungen übernommen worden und sollte dazu dienen, dass sich Muslime, die sich seit der rasanten territorialen Expansion des Reiches zahlenmäßig in der Minderheit befanden, gegenseitig erkennen konnten. Bestimmungen, die dhimmis vorschrieben, auf Eseln zu reiten, das Verbot in Städten zu reiten bzw. seitlich, im Frauensitz, im Sattel zu sitzen, das Verbot Waffen zu tragen und ähnliches dienten dazu, sichtbar zu machen, dass dhimmis nicht der Klasse der Waffenträger angehörten. (Vgl. Lewis, 1981: 36) Die spezifischen Verhaltens- und Kleidungsregeln wurden in verschiedenen Epochen unterschiedlich strikt geahndet. Durch wachsenden westlichen kulturellen Einfluss und das Eindringen der westlichen Moderne hatten sie sich bis ins 19. Jahrhundert fast vollständig aufgelöst.
Dennoch hatte die dhimmi-Tradition bzw. die politische Organisation in millets dazu geführt, dass Nicht-Muslime zwar ihre Traditionen, Sprachen und vor allem religiösen Praktiken trotz jahrhundertelanger islamischer Oberherrschaft erhalten konnten, aber im Gegenzug dazu isoliert von der muslimischen Bevölkerung blieben. Daraus ist auch zu erklären, dass sogar mehr als 500 Jahre nach der Eroberung Konstantinopels durch die Osmanen, viele Nicht-Muslime in der Stadt der türkischen Sprache kaum oder nur bescheiden mächtig waren, bzw. das Türkische mit einem starken Akzent sprachen.
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1 Das Kalifat als Funktion des Nachfolgers des Propheten und Führers und Herrschers der Gemeinschaft der Muslime verband von Beginn an religiöse und weltliche Funktionen im selben Amt. Der Herrscher über die Gemeinschaft der Muslime und über das islamische Reich bekleidete damit auch eine religiöse Funktion als Führer der Glaubensgemeinschaft. Schon bald war allerdings die spirituelle Bedeutung des Amtes zugunsten der weltlichen Herrschaft in den Hintergrund getreten. Der Titel wurde vermehrt als ein Herrschaftstitel betrachtet und geriet mit dem Niedergang des Abbasidischen Großreiches beinahe zur Gänze in Vergessenheit.
Die Osmanen begannen nach der Übernahme des Kalifats ihre Abstammung zwar auf den Propheten zurückzuführen, aber auch sie machten kaum Gebrauch vom Titel des Kalifen. Vielmehr wurden die osmanischen Sultane als Padischah, als König der Könige, bzw. Kaiser verehrt. Im 19. Jahrhundert sollte Sultan Abdülhamit das Kalifatals ein Mittel zur Mobilisierung der muslimischen Massen für den Kampf gegen den westlichen Imperialismussehen. Hierzu weiter unten.
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