Geschichte der Türkei. Cengiz Günay

Geschichte der Türkei - Cengiz Günay


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eines Gazi, eines „Kämpfers im Namen des Glaubens“ nahmen die osmanischen Herrscher nun auch jene des „Dieners der heiligen Stätten“ und des „Verteidigers der Scharia“ an. Die Osmanen wurden dadurch nicht nur die Kämpfer und Bewahrer eines islamischen Imperiums mit einem Anspruch auf Universalität, sondern ihre Hauptstadt wurde auch zu einem Zentrum für islamische Gelehrte. (Vgl. Lapidus, 2002: 253)

      Eine wichtige Rolle bei der Expansion sollte das Infanteriekorps der Janitscharen spielen. Mit der Eroberung der Balkanhalbinsel hatte der Sultan versucht, seine Abhängigkeit von der Unterstützung durch turkme­nische Notabeln durch die Rekrutierung junger Christen aus den eroberten Gebieten zu schwächen. Es wurden die tüchtigsten und talentiertesten Jünglinge aus christlichen Familien ausgewählt und in die Hauptstadt gebracht, wo sie zu Muslimen erzogen, ausgebildet und trainiert wurden. Dieses Umerziehungsprogramm, das bis ins 18. Jahrhundert in dieser Form Bestand hatte, wurde devsirme genannt. Devsirme war keine Erfindung der Osmanen, sondern eine Praxis, die es in allerdings anderer Form zuvor auch schon unter den Byzantinern und Abbasiden gegeben hatte.

      Nicht alle Janitscharen wurden nach Beendigung ihrer Ausbildung Krieger, vielmehr ermöglichte die Nähe zum Sultan – das Korps galt als ein Teil des Haushaltes des Sultans und war auch als Elitetruppe im Palast angesiedelt – auch den Aufstieg in wichtige Regierungsämter bzw. in die Verwaltung. Die Janitscharen entwickelten aufgrund ihrer besonderen Ausbildung und Stellung einen Korpsgeist. Sie besetzten wichtige Posten im Reich und konnten unabhängig vom Sultan politische Netzwerke aufbauen. Dadurch wurde das Janitscharenkorps im Laufe der Zeit zu einem bedeutenden politischen Machtfaktor innerhalb des ­osmanischen Herrschaftssystems. Immer wieder intervenierten

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      Janitscharen bei Machtkämpfen innerhalb des Palastes und setzten meist blutig den einen oder anderen Sultan, zu Gunsten eines von ihnen favorisierten Thronfolgers, ab. Einfluss und Reichtum waren allerdings das Privileg des Korps und konnten nicht von einzelnen Mitgliedern an ihre Nachkommen vererbt werden. (Vgl. Ahmad, 2003: 19 ff)

      Die Eroberung Konstantinopels und der Übergang zu einem islamischen Großreich mit universellem Anspruch legten offen, dass die stammesähnlichen Strukturen des Fürstentums den Erfordernissen eines Imperiums nicht entsprachen.

      Mehmet II. versuchte die rechtlichen und politischen ­Bedingungen für ein multi-ethnisches und multi-konfessionelles Großreich zu schaffen. Die von Mehmet erlassenen Gesetze sollten ein rechtliches Rahmen­werk für ein Reich schaffen, das einerseits durch das Streben nach Expansion, Kriegsbeute und religiöse Mission geprägt war und das nun andererseits zu einem kosmopolitischen, multikonfessionellen Staatswesen angewachsen war.

      Es galt neue Institutionen zu bilden, Funktionen zu trennen, ein rechtliches Rahmenwerk zu schaffen und eine Staatstradition zu begründen. Um das wachsende Großreich zu bewahren und zu verwalten, sowie um Steuern eintreiben zu können, mussten rechtliche, administrative und finanzielle Funktionen geschaffen werden, die von den militärischen Funktionen getrennt waren. Ebenso musste die Kasse des Sultans von der Staatskasse getrennt werden.

      Die Strukturen des politischen Systems, der Verwaltung und der Staatstradition, die mit dem Aufstieg zu einem Imperium geschaffen wurden, waren nicht statisch und unveränderlich. Vielmehr sollte sich das Reich über die Jahrhunderte in einem stetigen Wandlungsprozess befinden. Einige Institutionen sollten im Laufe der Zeit wieder abgeschafft, umgeformt, neu erfunden bzw. von den Europäern übernommen werden.

      Die Strukturen, die im Prozess des Übergangs von einem türkisch-islamischen Stammesfürstentum zu einem islamischen Großreich mit

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      multi-ethnischer und multi-konfessioneller Bevölkerung geschaffen wurden, waren durch verschiedene Einflüsse geprägt. Zum einen waren die militärische Organisation sowie die bürokratische Struktur durch die Tradition der zentralasiatischen Turkstämme, die Vorfahren der Osmanen, zum anderen durch die Einflüsse der türkischen Nomaden, die auf der Flucht vor den Mongolen nach Anatolien gekommen waren, geprägt.

      Eine andere wichtige Quelle der osmanischen Tradition stellte der sunnitische Islam dar. Der durch die Osmanen propagierte orthodoxe sunnitische Islam baute auf die Tradition der klassischen arabisch-­islamischen Großreiche, sowie auf jener der Seldschuken auf. Die Osmanen übernahmen zu einem Großteil das islamische Steuersystem, so wie es in den klassischen arabischen Großreichen angewandt worden war.

      Als dritte Quelle für die Struktur des neuen Großreiches gilt neben der islamisch-sunnitischen Tradition und den Traditionen der türkischen Stämme Byzanz. Die Osmanen übernahmen Hofzeremoniell, Verwaltungspraktiken, das Lehenssystem sowie den Absolutismus des Herrschers von den Byzantinern. Auch wenn die Art, Dinge zu erledigen und zu organisieren, von den Byzantinern übernommen wurde, stülpten die Osmanen im Nachhinein den Mantel des Islams darüber. (Vgl. Shaw, 1976: 22 ff.)

      An der Spitze des Großreiches stand der Sultan, der absolut regierte. Die Osmanen hatten nicht nur Ansätze einer Aristokratie in den eigenen Reihen ausgeschaltet, sondern eliminierten auch die Aristokratie in den eroberten Ländern. Im Gegensatz zum Westen existierte im osmanischen System damit weder eine erbliche Aristokratie, noch gab es einen vererbbaren Stand von Feudalherren, die als eine politische, wirtschaftliche und rechtliche Zwischenebene zwischen der imperialen Zentralgewalt und der Masse der Untertanen fungieren hätten können. In dem zwischen dem 15. und 17. Jahrhundert entwickelten osmanischen Staats- und Sozialsystem hingen Macht und Autorität von der persönlichen Delegierung durch den Sultan ab. Der Sultan ermächtigte Mitglieder seines Haushaltes zur Ausübung von Macht in seinem Namen. Durch sie sprach er Recht, verwaltete die Provinzen, rekrutierte Armeen, vergab Land an diese, nahm es nach Belieben wieder weg und trieb durch diese zum Erhalt des Systems Steuern ein. (Vgl. Göcek, 1996: 20)

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      Der Sultan wurde in den Provinzen durch einen von ihm ernannten Vali (Gouverneur) vertreten. Die osmanische Verwaltung in den Provinzen war dem Vorbild des Hofes nachempfunden. Der Haushalt der Provinzverwalter spiegelte jenen des Sultans in kleinerem Format wider. Einem starken Zentrum, dem Hof des Sultans, von dem nicht nur Recht, sondern auch wirtschaftliche und religiöse Macht ausging, stand eine relativ schwache physische Präsenz dieses starken Staates in der Peripherie des Reiches gegenüber. Die Präsenz der osmanischen Staatsmacht war vor allem in den entfernten Provinz, in den wenigen städtischen Zentren zu spüren. Während also der osmanische Staat als solcher in den ländlichen Gebieten kaum präsent war, hinterließen die Osmanen in den urbanen Zentren kulturelle und architektonische Spuren ihrer Herrschaft.

      Einige Gebiete, die die Osmanen erobert hatten, standen nur formell unter osmanischer Souveränität. Die lokalen Machthaber entrichteten als Zeichen ihrer Unterwerfung Tribut an den Sultan in Istanbul und ­konnten im Gegenzug auf seinen Schutz vor äußeren Bedrohungen hoffen.

      Das traditionelle osmanische System war damit zwar absolutistisch, da jegliche Macht vom Sultan ausging, es war aber keineswegs zentralistisch, vielmehr konnten lokale Herrschafts- und Gesellschaftsstrukturen in den eroberten Provinzen, soweit sie sich der osmanischen Vorherrschaft unterwarfen, sich dem Sultan gegenüber Loyal verhielten und regelmäßig Tribut ablieferten, weitgehend autonom leben.

      Bis zu den im 19. Jahrhundert einsetzenden Verwaltungsreformen kann das Osmanische Reich, von seinem Staatswesen her, als ein mittelalterliches Imperium mit losen zentralstaatlichen Strukturen charakterisiert werden. Über Jahrhunderte gab es, ähnlich wie in den mittelalterlichen Reichen Europas, weder eine zentralisierte Exekutivgewalt noch ein einheitliches Verwaltungs- oder Postwesen.

      Ein wichtiges Element der politischen Macht bildete neben der religiösen Legitimation des Herrschers die absolute Macht über die Landvergabe. Der Großteil des Bodens war in staatlichem Besitz und unterlag der Verfügungsgewalt des Sultans, der die Bewirtschaftung nach Belieben auf beschränkte Zeit vergeben und auch wieder entziehen konnte. Während privater Landbesitz sich nur auf kleine Einheiten, die meist nur zur Selbstversorgung dienten, beschränkte, vergab der Sultan Ländereien

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