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des Hofes bzw. seiner Armee, die sich aufgrund ihrer Dienste dessen würdig erwiesen hatten. Eine Ausnahme bildete privater Landbesitz, der sich im Eigentum von vakif, religiösen Stiftungen, befand. Während vakif ursprünglich dazu dienen sollten, religiöse und soziale Einrichtungen wie Moscheen, Schulen, Spitäler und ähnliches zu finanzieren, war es über die Jahre auch immer üblicher geworden, dass wohlhabende Mitglieder des Hofes ihr Eigentum so vor dem Zugriff des Staates für weitere Generationen bewahrten.
Die Expansion des Reiches durch Eroberungen förderte die absolute Macht des Sultans. Neu erobertes Land fiel an den Sultan, der dieses als ein Lehen auf Lebenszeit an verdienstvolle Soldaten und Beamte verlieh. Dabei ging das Lehen nicht in das Eigentum des Lehensnehmers über, vielmehr wurden ihm die Erträge aus diesem Lehen übertragen, der Boden selbst blieb im Besitz des Staates und fiel nach dem Tod des Lehensnehmers wieder an diesen zurück. Dadurch wurde ein Lehenssystem geschaffen, das im Prinzip nicht auf Abstammung oder vererbten Privilegien, sondern auf Verdienst um das Reich und auf dem Vertrauen des Sultans beruhte.
Je nach Größe des Lehens wurde in Has, Zeamet und Timar unterschieden. Im Laufe der Zeit sollte die Vergabe von Timars, der kleinsten Einheit, zur Entsoldung von verdienstvollen Reitersoldaten, den Sipahis, dienen. Das Timar-System war eines der wichtigsten Bausteine des osmanischen Reiches.
Die Lehensnehmer, die sogenannten Timarioten, verpflichteten sich dazu, auf dem ihnen übergebenen Lehen zu leben. Sie waren mit bestimmten öffentlichen Aufgaben wie der Erhaltung der öffentlichen Ordnung und der Förderung der Ernteeinnahmen, sowie mit dem Recht, Steuern von ihrem Timar einzuheben, betraut. Aus Sicht der staatlichen Zentralgewalt war vor allem die Verpflichtung der Lehensnehmer, in ihren Lehen Soldaten zu rekrutieren, auszubilden und auszurüsten, wichtig. Mitte des 16. Jahrhunderts konnten dadurch ca. 200.000 ausgerüstete Soldaten aufgebracht werden. (Vgl. Inalcik & Seyitdanlioglu, 2006: 18)
Im Gegensatz zu Lehenssystemen im mittelalterlichen Kontinentaleuropa war das Timar-System auf die Lebensdauer des Lehnsherrn
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beschränkt. Das osmanische System sah wie erwähnt nicht die Möglichkeit der Vererbbarkeit eines Lehens vor. Dadurch sollte das Entstehen eines vererblichen Adelsstandes und damit alternativer Macht- und Wirtschaftszentren verhindert werden. Das Timar-System führte dazu, dass die Lehnsherren kaum an einer langfristigen Verbesserung der Produktionsbedingungen oder dafür notwendigen Investitionen interessiert waren. Stattdessen veranlasste sie die beschränkte Dauer des Lehens dazu in der kurzen Zeit die ihnen zur Verfügung stand aus dem ihnen übertragenen Landstrich so viel Ertrag wie möglich zu erwirtschaften.
In wirtschaftlicher Hinsicht war das Osmanische Reich durch Landwirtschaft geprägt. Die landwirtschaftliche Produktion erfolgte hauptsächlich in kleinem Maßstab. Über die Jahrhunderte hatte das Reich keine zusammenhängende Wirtschafts- oder Fiskalpolitik entwickeln können. Vielmehr kann die Wirtschaftsstruktur als vorkapitalistisch bezeichnet werden. Die Wirtschaftspolitik, soweit man diese als solche bezeichnen kann, zielte auf die Versorgung der Bevölkerungszentren sowie das Eintreiben von Steuern ab. Die Unterschiede in der wirtschaftlichen Struktur und der wirtschaftlichen Entwicklung unter den einzelnen Regionen des gewaltigen Reiches waren sehr groß. Dies bedingte unterschiedliche Entwicklungen, die aufgrund der ab dem 17. Jahrhundert immer stärker spürbaren politischen und militärischen Schwäche der osmanischen Zentralgewalt kaum überwunden werden konnten. Die bevölkerungsstarken Provinzen des Balkans verfügten über eine gänzlich andere Wirtschaftsstruktur als z. B. die dünn besiedelten arabischen Provinzen, die von nomadischer Wirtschaft geprägt waren. Der Binnenhandel unter den einzelnen Regionen des Reiches war sehr gering. Es konnte sich dadurch über die Jahrhunderte keine Wirtschaftseinheit bilden. (Vgl. Zürcher, 2004: 9ff).
Der Krieg und die territoriale Expansion hatten einen wichtigen Bestandteil des wirtschaftlichen, politischen und militärischen Systems des Reiches dargestellt.
Die Ära unter Suleiman I. dem Prächtigen (Kanuni Sultan Süleyman) (1520 –1566) gilt als der Höhepunkt des Osmanischen Reiches. Während das 16. Jahrhundert noch durch Ausbreitung geprägt war, sollte mit dem 17. Jahrhundert der lange Prozess des Niedergangs beginnen. Von da
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an sollten sich die Bemühungen der Osmanen auf den Erhalt und die Abwendung des Zerfalls konzentrieren.
Die gescheiterte Belagerung Wiens im Jahr 1683 wird von vielen Historikern als der endgültige Wendepunkt und als Beginn des militärischen, wirtschaftlichen und politischen Niedergangs und des damit einhergehenden unaufhaltsamen territorialen Rückzugs des Reiches betrachtet.
Mit dem Ende der Expansion und dem Ausbleiben der damit verbundenen Kriegsbeuten, Tribute und neuen Einnahmequellen geriet das osmanische System in eine Krise. Das Ende des territorialen Wachstums leitete eine Krise des Lehenssystems und damit zusammenhängend auch eine Steuer- und Finanzkrise ein.
Das Timar-System, das einen wichtigen Bestandteil der Belohnung der Reitersoldaten dargestellt hatte, geriet mit dem Ende der territorialen Expansion in Not. Dem Sultan stand für die Belohnung verdienstvoller Krieger und Beamter immer weniger Land zur Verfügung. Dadurch wurden die Lehen, die vergeben wurden, immer kleiner. Da die Lehnsherren immer größere Anforderungen an die Bauern stellten, ging mit dem Ende der Expansion auch eine Verschlechterung der Situation der Bauern einher.
Das Ende der Expansion leitete eine permanente Finanzkrise ein. Um Engpässe zu überwinden, übertrug der Sultan das Recht auf Steuereintreibung an wirtschaftlich potente Privatpersonen. Das sogenannte Steuerpachtsystem (Iltizam) fand ab dem 17. Jahrhundert vermehrt Verbreitung. In den arabischen Provinzen war das Steuerpachtsystem, basierend auf landwirtschaftlichen Einnahmen, bereits in der klassischen Periode des Reiches die Norm. Das Steuerpachtsystem bedeutete, dass das Recht, in einem bestimmten Gebiet Steuern einzuheben, durch den Staat an den Höchstbietenden versteigert wurde. Der Staat hatte dabei den Vorteil, dass er einen fixen Betrag an Steuern vorfinanziert bekam und dabei nicht von den Erträgen der Landwirtschaft abhängig war. Für die Bauern hatte die Steuerpacht fatale Folgen, weil die Steuerpächter ihre finanziellen Investitionen ohne Rücksicht auf Missernten oder ähnlich bedingte Ertragseinbußen einzutreiben versuchten. Angesichts des Umstandes, dass das Osmanische Reich zum Großteil agrarisch geprägt war, sollte sich die Verschlechterung der Situation der Bauern auf die gesamtwirtschaftliche Entwicklung fatal auswirken. (Vgl. Zürcher, 2004: 17)
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Die osmanische Gesellschaft
Die osmanische Gesellschaft unterteilte sich grob in zwei Klassen. Die Staatsklasse, askeri, wörtlich das Militär, sowie die Klasse der Untertanen, reaya.
Die Staatsklasse (askeri) umfasste all jene Personen, die durch den Sultan mit exekutiver oder religiöser Macht betraut wurden. Die askeri unterteilte sich wiederum in drei unterschiedliche Gruppen, die nach ihren staatlichen Funktionen unterschieden wurden: Die Vertreter der hohen Verwaltung (kalimiye), die militärische Spitze (seyfiye) und die hohe Geistlichkeit (ulema). Während die Verwaltung mit administrativen Aufgaben betraut war, sprach die ulema (die hohe Geistlichkeit) Recht und überwachte rechtliche und finanzielle Angelegenheiten. Beide dieser Arme des Staatsapparates unterstanden der Zentralgewalt, waren aber unabhängig voneinander. So konnte ein vom Sultan ernannter Vali (Gouverneur) z. B. dem lokalen Kadi (Richter) keine Anweisungen geben. (Vgl. Inalcik, 1995: 124) Die ulema wiederum wurde in drei Gruppen von Funktionen unterteilt: Die Kadis (die Rechtsverwalter), die muftis (die Gelehrten und Interpreten des Rechts) und die imame (die Prediger). (Vgl. Ubicini, 1853: 82)
Die osmanische Staatselite hob sich von der breiten Masse der Bevölkerung durch Sprache, Kleidung, Speisen sowie eine osmanische höfische Kultur ab. All diese Eigenschaften der Elite konnten durch Bildung erworben werden. Der Umstand, dass es im Reich keine erbliche Aristokratie gab, förderte eine gewisse soziale Mobilität. Der Aufstieg in die Staatsklasse war nicht abhängig von familiärer, regionaler oder ethnischer Herkunft, sondern beruhte vielmehr auf persönlichem Ehrgeiz, Tüchtigkeit, Verdienste um den Staat und die Gunst des Sultans. Dies ermöglichte es auch Angehörigen unterer sozialer Schichten sowie Vertretern nicht-türkischer Volksgruppen, in hohe Staatsämter