Grundlagen der Visuellen Kommunikation. Stephanie Geise

Grundlagen der Visuellen Kommunikation - Stephanie Geise


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eigenen gewaltsamen Todes.

      Auf der Ebene des Formkontextes (Abb. 1, S. 25) ist interessant, dass sich das Motiv des mit rotem X durchgestrichenen Porträts ikonografisch in eine lange Reihe visueller Darstellungen einordnen lässt, die zu der erstmaligen Verwendung der TIME-Ausgabe im Mai 1945 zurückzuverfolgen ist, bei der der Sieg über Adolf Hitler und dessen Tod visuell verkündet wurden. Auch die Hinrichtung Saddam Husseins wurde im April 2003 mit den gleichen gestalterischen Mitteln behandelt sowie der Tod des Al-Qaida-Terroristen Abu Musab al-Zarqawi im Juni 2006. Auf der Produktionsebene (vgl. Abb. 1, S. 25) findet hierbei eine Adaptation eines professionell-journalistischen Kontextes durch einen privaten Prosumer-Kontext statt. Die potenziellen Bedeutungen im Rezeptionskontext (Abb. 3) sind durch eine grenzüberschreitende, potenziell global verständliche Bildsprache charakterisiert. Dabei wird die bildimmanente Bedeutung des ausgelöschten Täters und Feindes verdichtet. Während auf den TIME-Titelseiten auf Abb. 13, S. 51 eine Tatsache visualisiert wird – alle dargestellten Männer waren zum Zeitpunkt des Erscheinens des Nachrichtenmagazins bereits tot – lässt sich das rote X über Breiviks Gesicht als visualisierte Wunschvorstellung lesen. Das digitale Bild verdichtet die Bildbotschaft und erzeugt neue Bildmuster, die aus massenmedialen Kontexten stammen und überträgt sie auf nutzergenerierte Netzwerkkontexte, die zu einer globalen Verbreitung ursprünglich national und kulturell begrenzter visueller Ausdrucksformen führten. Das eigentliche Bildmotiv wird somit transportabel, von einem konkreten Trägermedium gelöst und zugleich global verfügbar für weitere Bildeinsätze, die zu Bedeutungsintensivierungen und -ergänzungen, aber auch zu Bedeutungswechseln führen können.

       4 Von der Bildbeschreibung zur Bildinterpretation

       4.1 Wie beschreibe ich Bilder?

      Als wissenschaftliches Handwerk, das von jedem Menschen erlernt werden kann, ist die Bildbeschreibung keine natürlich gegebene Fähigkeit, sondern ein komplexer Prozess, der bis zur Kunstfertigkeit gesteigert werden kann. Dabei ist die Bildbeschreibung kein Selbstzweck, sondern ein Schritt auf dem Weg zur Bildinterpretation. Der Kunsthistoriker und Begründer der ikonografisch-ikonologischen Methode, Erwin Panofsky (1892–1968), widmete dem »Problem der Beschreibung und Inhaltsdeutung von Werken der bildenden Kunst« bereits 1932 einen vielbeachteten und noch immer aktuellen Aufsatz. Darin schlägt er für die Bedeutungsanalyse von Kunstwerken ein Dreischrittschema vor, beginnend mit der Beschreibung, gefolgt von der Bedeutungsanalyse (vgl. Kapitel 4.2) und abgerundet durch die Interpretation (vgl. Kapitel 4.3). Diese Trennung in drei Ebenen ist idealtypisch, denn in der Praxis gibt es oft Überschneidungen zwischen den Beschreibungs-, Analyse- und Interpretationselementen. In Panofskys Worten (1932/1987: 187) wird jede »Deskription […] – gewissermaßen noch ehe sie überhaupt anfängt – die rein formalen Darstellungsfaktoren bereits zu Symbolen von etwas Dargestelltem umgedeutet haben müssen; und damit wächst sie bereits, sie mag es machen wie sie will, aus einer rein formalen Sphäre schon in eine Sinnregion hinauf.«

      Hier wird auch deutlich, dass es bei Bildbeschreibung, Bilddeutung und Bildinterpretation um eine interpretative Sinnentschlüsselung von Bildkommunikation geht. Bilder werden als Kommunikate vom Visuellen Kommunikationsforscher analysiert, um Erkenntnisse über den Kommunikationsprozess sowie die kommunizierten Bildbedeutungspotenziale zu gewinnen. Ausgehend von einer theoretischen Fundierung führt der Weg über die Arbeit am Bild und seinen Vorbildern über die Bildbeschreibung und Bedeutungsentschlüsselung zu dessen Interpretation. Dabei ist die Bildanalyse aber keine Einbahnstraße. Bilder enthalten grundsätzlich viele potenzielle Bedeutungs- und Sinnschichten. Die Komplexität dieser Sinnesebenen spiegelt sich in Panofskys Dreischrittschema wider, das auf der folgenden Abb. 14 auf die Bildinterpretation allgemein und nicht nur auf die Interpretation von Kunstwerken angewandt wird.

      Die in diesem Kapitel gestellte Frage »Wie beschreibe ich Bilder?« bezieht sich auf die erste Sinnesebene, d. h. auf den Phänomensinn. Als Handwerkszeug basiert diese auf der »vitalen Daseinserfahrung«, die jedoch in der Gestaltungsgeschichte – das bedeutet in Vergleichen mit ähnlichen Motiven und Darstellungsstilen – ihr Korrektiv findet. Denn das Ziel einer wissenschaftlichen Bildbeschreibung ist keine subjektive Deskription des Forschers, sondern eine objektivierbare, für Dritte nachvollziehbare Beschreibung des visuellen Kommunikats. Anders als bei der künstlerischen Bildproduktion, bei der sich die Künstlerin ganz ihrem subjektiven Ausdruckswillen hingeben kann, zielt die Visuelle Kommunikationsforschung auf Bildbeschreibungen, die jenseits eines subjektiven Gefallens oder Missfallens auch Anderen den Inhalt des Bildes und dessen potenzielle Bedeutungen vermitteln können. Dabei setzt die »rein phänomenale Beschreibung […] nun wirklich nichts weiter voraus, als dass wir uns das Bild gut ansehen und es auf Vorstellungen beziehen, die uns aus der Erfahrung geläufig sind« (Panofsky 1932/1987: 190). Für den Einstieg in die Bildbeschreibung ist diese Einsicht motivierend. Was aber heißt, sich das Bild »gut anzusehen«?

       Praxistipp: Bildbeschreibung

      Notieren Sie Ihre ersten Bildeindrücke noch bevor Sie mit der Bildbeschreibung beginnen. Die Spontanbeschreibung kann ein hilfreiches Korrektiv bei der späteren Bedeutungsentschlüsselung sein, aber auch bei der Interpretation, wenn Sie das Bild schon so verinnerlicht haben, dass das zunächst Neue oder Ungewöhnliche aus dem Blick geraten ist.

      Während Sie in der Spontanbeschreibung jedes Detail und jeden Eindruck notieren sollten, ist für die eigentliche Bildbeschreibung nicht jedes Detail gleichermaßen relevant. Konzentrieren Sie sich auf das Wesentliche: Format, Motiv, Komposition, Technik und Qualität. Auch die Blick- und Aufmerksamkeitslenkung sowie die Größenverhältnisse des Dargestellten können in die Beschreibung einbezogen werden.

      Sparen Sie sich langwierige Beschreibungen, was Sie tun. Dies gehört, wenn gefordert, in die Einleitung zu Ihrer Hausarbeit. Steigen Sie gleich in die Bildbeschreibung ein. Seien Sie vorsichtig bei der Benutzung von »rechts« und »links«. Wenn es sich bei dem Bild um eine zweidimensionale Fläche handelt, benutzen Sie Richtungsangaben aus Ihrer Perspektive. Wenn Sie allerdings Körperteile beschreiben, dann benutzen Sie die bildimmanente Perspektive der abgebildeten Person und nicht diejenige des Betrachters. Bei Bildpräsentationen vor einem Publikum sollten Sie Seitenzuweisungen – mit Ausnahme von Körperbeschreibungen, wie beispielsweise »ihre linke Hand, sein rechtes Ohr« –immer aus der Sicht des Publikums schildern. Und bedenken Sie bei der Präsentation: Beschreiben Sie nur etwas, das Sie Ihrem Publikum auch zeigen – Bildbeschreibungen ohne die Möglichkeit der eigenen Anschauung sind nicht nur langweilig, sondern meistens auch unsinnig!

      Der häufigste Fehler bei der Bildbeschreibung ist die Überinterpretation. Achten Sie daher auf eine sorgfältige Trennung der Beschreibung des Bildinhalts von dessen Interpretation und Bewertung. Versuchen Sie in der Beschreibung so exakt


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