Medienwandel. Joseph Garncarz

Medienwandel - Joseph Garncarz


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erste Beispiel aus der Zeit um 1900 und das letzte aus der Zeit um 2000 stammt. Da die Fallstudien thematisch ausgerichtet sind, sind zeitliche Überschneidungen zwischen einzelnen Studien nicht immer zu vermeiden.

      Da die Verwendungsweise über das kulturelle Profil und die Funktion der Medien entscheidet, lassen sich Medien nicht losgelöst von ihrem gesellschaftlichen, kulturellen und historischen Kontext analysieren. Die Fallstudien stellen die Medien in diese Kontexte und nähern sich ihrem Gegenstand daher nicht philosophisch, sondern kultur- und sozialwissenschaftlich. Ich wähle Deutschland im 20. Jahrhundert als Kontext und konzentriere mich aufgrund meines eigenen Forschungsschwerpunkts auf die Medien Film und Fernsehen.

      Für die Fallbeispiele selbst wurden im Lauf der vergangenen 20 Jahre umfangreiche und grundlegende Recherchen durchgeführt, sodass jede Fallstudie das bisher in dem entsprechenden Bereich verfügbare Wissen erweitert bzw. revidiert. Der systematische Teil beruht nicht nur auf einer Auseinandersetzung mit der Forschungsliteratur, sondern auf jahrzehntelanger, eigener Forschungsarbeit zum Medienwandel.

      Im systematischen Teil wird immer wieder auf die Fallbeispiele im zweiten Teil des Buchs Bezug genommen (insbesondere in den hervorgehobenen Kästen). Grundsätzlich können Sie dieses Buch linear lesen oder Ihre Lektüre im systematischen Teil unterbrechen, um den jeweiligen Querverweisen zu folgen. Wenn Ihnen das systematische Vorgehen weniger liegt, können Sie auch vorab einige der Fallstudien lesen (beginnen Sie etwa mit Kapitel 15, das zeigt, wie die TAGESSCHAU als Nachrichtensendung etabliert wurde, um einen Eindruck davon zu gewinnen, was Medienwandel ist und wie man ihn beschreiben und erklären kann).

      Das Wissen um den Wandel der Medien ist nicht in dem Sinn praxisrelevant, dass man es im Berufsalltag unmittelbar anwenden kann. Das Wissen um den Wandel der Medien ist vielmehr ein Orientierungswissen, das für den Umgang mit Medien von mittelbarer Bedeutung ist. Die mediale Unterhaltung – über Fernsehen, DVD/Blu-Ray oder das World Wide Web – gehört in den meisten Haushalten zum Alltag. In den meisten Berufen gehört der Umgang insbesondere mit Kommunikations- und Wissensmedien zu den selbstverständlichen Arbeitsmitteln. »Die Beherrschung moderner Informations- und Kommunikationstechnologien wird zu einer basalen Kulturtechnik werden, deren Stellenwert dem Lesen und Schreiben gleichkommt.«2 Um eine solche Medienkompetenz zu erwerben, braucht man neben einem technischen und sozialen Wissen auch ein Wissen um die Geschichtlichkeit der Medien.

      [9]Zwei Bemerkungen zum Abschluss dieser Einleitung:

      Dieses Buch verzichtet auf einen ausführlichen Literaturbericht und führt stattdessen problemorientiert in die Mediengeschichte ein. Die Sicht des Autors ist dabei von den Fachgegenständen und -methoden geprägt, die er vertritt. Als Theater-, Film- und Fernsehwissenschaftler stellt er daher Programmmedien in den Vordergrund.

      Dieses Buch gibt nicht in allen Punkten den Forschungskonsens wieder, sondern folgt den Überzeugungen des Autors. Diese beruhen auf einer Fülle film- und fernsehhistorischer Forschungen, von denen einige in diesem Buch als Fallbeispiele erläutert werden. Für die Fallbeispiele wurden umfangreiche und grundlegende Recherchen durchgeführt, deren Ergebnisse den mit der Sekundärliteratur vertrauten Leser womöglich überraschen werden. Es bleibt dem Leser überlassen, sich selbst eine Meinung darüber zu bilden, ob er sich von den in diesem Buch gemachten Argumenten überzeugen lässt.

      Die Ursprünge dieses Buchs liegen in einem Studienbrief, den der Autor vor einigen Jahren für den Fernstudiengang »Management von Kultur- und Non-Profit-Organisationen« an der Technischen Universität Kaiserslautern geschrieben hat und der ohne die Anregung und Unterstützung von Gebhard Rusch und Thomas Heinze nie entstanden wäre. Ihnen gilt mein besonderer Dank. Viele haben Anregungen geliefert, darunter Studierende des Studiengangs, mit denen ich im Lauf der Jahre etliche Präsenzveranstaltungen durchführen durfte. Mein Dank gilt zudem Peter Krämer, der meine Arbeit über viele Jahre hin begleitet hat, und Michael Ross für seine Kritik und das sorgfältige Lektorat. Nicht zuletzt danke ich meinem Lektor von der UVK Verlagsgesellschaft, Rüdiger Steiner, dessen kompetenter Rat dem Buch zugute gekommen ist. Irrtümer liegen allein in der Verantwortung des Autors.

      [10][11]Teil I

      Instrumente zur Analyse

       des Medienwandels

      Im theoretisch-systematischen Teil des Buchs wird gezeigt, wie sich Mediengeschichte sinnvoll schreiben lässt. Zu diesem Zweck werden zentrale Begriffe wie Medien und Wandel erläutert und gezeigt, was den Medienwandel vorantreibt. Zudem wird ein Modell des Medienwandels entworfen, das begreifen hilft, wie Medien erfunden, etabliert, verbreitet und differenziert werden.

      [12][13]1. Was sind Medien?

      Jede Forschung sollte damit beginnen, dass Fragen gestellt werden. Wer nicht fragt, kann auch nichts herausfinden. Der Autor dieses Buchs ist der Auffassung, dass in der Medien- und Kommunikationswissenschaft viel zu wenig Fragen gestellt werden. Vor allem mangelt es an Kinderfragen, also an Fragen, die auf Grundsätzliches zielen, wie zum Beispiel: Was sind Medien? Was bedeutet Wandel? Wie und warum wandeln sich Medien?

      Der Medienbegriff hat heute eine große Fülle verschiedener Bedeutungen. Als Medien gelten so unterschiedliche Phänomene wie Geld und Liebe, Menschen mit paranormalen Fähigkeiten wie Geisterseher, Träger physikalischer Vorgänge wie Luft oder Wasser, das Hintergrundrauschen des Weltalls infolge des Urknalls, die Mode oder die Haartracht, Mittel der Kommunikation wie Sprache und Schrift, Technologien der Informationsübermittlung wie Rundfunk, Druck und Fernsehen, Nutzungsformen wie Buch und Zeitung sowie Institutionen wie Kino und Fernsehen.

      Eine Begriffsdefinition ist umso notwendiger, je mehrdeutiger ein Begriff ist. Definiert man den Begriff Medien nicht hinreichend, wird es zwangsläufig zu Missverständnissen kommen, weil man über ganz unterschiedliche Phänomene spricht, dies aber den Gesprächsteilnehmern nicht hinreichend deutlich ist. Nur wenn man den Begriff hinreichend klar und für den jeweiligen Kontext zweckmäßig definiert, kann man sich über die Sache so auseinandersetzen, dass prinzipiell ein Austausch von Argumenten zu einem Lernprozess führt. Einen Begriff für den jeweiligen Kontext zweckmäßig zu definieren, bedeutet nicht automatisch, ihn so zu fassen, dass er für alle Zeiten und Kulturen gilt. Oft ist es sinnvoll, Begriffe so zu fassen, dass für bestimmte Zeiten und Kulturen primäre (mit anderen Worten: dominante oder typische) Merkmale (z. B. einzelner Medientechnologien wie dem Film) bestimmt werden.

      Ziel dieses Kapitels ist es, den Medienbegriff so klar zu definieren und die Funktionen von Medien so klar voneinander zu unterscheiden, dass hinreichend deutlich wird, was den Gegenstand der Medienhistoriografie ausmacht.

      Um die Kommunikation weniger störanfällig zu gestalten, soll hier keine Terminologie für Spezialisten im Elfenbeinturm entwickelt, sondern eine Definition gewählt werden, die sich an der dominanten Verwendungsweise des Begriffs in der Alltagssprache orientiert.

      [14]Zur Karriere eines Begriffs

      Der Begriff Medien hat ohne Zweifel Karriere gemacht. Wurde er Anfang des 20. Jahrhunderts noch selten verwendet, so ist er zu Beginn des 21. Jahrhunderts in aller Munde. Der Begriff wird jedoch nicht nur deutlich häufiger verwendet, sondern hat auch einen fundamentalen Bedeutungswandel erfahren. Ein Blick in einschlägige Enzyklopädien gibt einen ersten Eindruck der Begriffsgeschichte:

      Meyers Großes Konversationslexikon von 1905-1909 definiert den Begriff Medium folgendermaßen:

      »Medĭum (lat.), Mitte, Mittel, etwas Vermittelndes; in der griechischen Sprache ein eignes Genus des Verbums (s[iehe] d[ort]); in der spiritistischen Weltanschauung jemand, der den Verkehr mit der Geisterwelt vermittelt (→ Spiritismus); flanellartiger Wollenstoff für Frauenjacken u. dgl. mit 18-22 Fäden auf 1 cm aus Streichgarnen 14,000 m auf 1 kg.«3

      In den älteren indogermanischen Sprachen wurde die Art, in der sich das Subjekt zur Welt verhält, durch eine bestimmte Form des Verbs ausgedrückt.

      »Es gab dafür zwei Reihen von Formen: für das aktive Verhältnis oder Activum und für das Medium, d. h. für dasjenige Verhältnis, wobei das V[erbum] in der reflexiven oder einer sonstigen besonders nahen Beziehung zum Träger der Aussage steht. Auch das Passivum konnte mit den letztern Formen bezeichnet werden. Auch diese Verhältnisse,


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