Geschichte der deutschen Literatur Band 4. Gottfried Willems
eigene Logik und Aussagekraft.
Bürgertum vs. Adel
Zurück zur Politik. Wenn das 19. Jahrhundert nacheinander so viele Revolutionen erlebt hat, so lag das vor allem daran, daß auf jede Revolution ein offener oder schleichender Restaurationsversuch folgte, der die revolutionären Kräfte erneut herausforderte. Restauration hieß hier vor allem, die Monarchie, das „Gottesgnadentum“ des [<<28] Souveräns zu stärken und die Position des Adels als der politisch-gesellschaftlichen Elite zu sichern. Solche Restauration der „legitimen“, durch Erbschaft zur politischen Führung berechtigten Mächte gelang jedoch nur noch in Grenzen. Denn die Dynamik der gesellschaftlichen Entwicklung war längst auf das Bürgertum übergegangen. Im Zuge der industriellen Revolution errang es sich vollends die ökonomische Macht, und die wollte es nun auch in politische Macht ausgemünzt sehen, schon allein um die Rahmenbedingungen seines Wirtschaftens mitbestimmen zu können. Das Prinzip der Monarchie wurde durch den Verfassungsgedanken ausgehöhlt, die Fürstenstaaten wurden konstitutionelle Monarchien mit gewählten Parlamenten. Und der Adel, dieses Relikt des mittelalterlichen Feudalwesens, dessen existentielle Basis der Landbesitz und die Gutswirtschaft waren, geriet nicht nur ökonomisch gegenüber dem potenteren Bürgertum ins Hintertreffen.
Schon der Wiener Kongreß hatte mit dem Gedanken, die „legitimen“ Mächte zurückzubringen, nicht wirklich Ernst gemacht. Von den an die dreihundert staatlichen Gebilden des Alten Reichs blieben gerade einmal 37 übrig, die anderen wurden „mediatisiert“, von größeren Nachbarstaaten geschluckt. Viele fürstliche Familien waren also auf Dauer entmachtet und saßen nun frustriert und scheeläugig auf den Schlössern herum, die ihnen geblieben waren; und je weniger sie noch zu sagen hatten, desto mehr bestanden sie auf ihren Privilegien und desto verbissener kultivierten sie ihre Prätentionen. Aber auch so und gerade so blieb der Adel ein gesellschaftlich bedeutsamer Faktor; nach wie vor wurde er bei Hofe, beim Militär und im Staatsdienst bevorzugt und beanspruchte er überall im gesellschaftlichen Leben besondere Beachtung. So stellt sich die Gesellschaft im 19. Jahrhundert zwar nicht mehr als eine Ständegesellschaft dar wie noch im 18. Jahrhundert, wohl aber als eine Dreiklassengesellschaft, wie sie Karl Marx seinerzeit analysiert und beschrieben hat, bestehend aus den Klassen des Adels, des Bürgertums und des großen Rests, der Bauern, Tagelöhner, Handwerker und Industriearbeiter.
Einen guten Einblick in diese Verhältnisse gewähren die Romane von Karl Immermann. Zugleich erhellt aus ihnen, in welchem Maße und auf welche Weise sie die zeitgenössische Literatur beschäftigt haben. Deshalb sollen sie hier als Leitfaden für eine erste Annäherung an die Lebenswelt des 19. Jahrhunderts dienen. [<<29]
1 Friedrich Jaeger, Jörn Rüsen: Geschichte des Historismus. München 1992. – Annette Wittkau: Historismus. Göttingen 1992. – Moritz Baßler u. a. (Hrsg.): Historismus und literarische Moderne. Tübingen 1996.
2 Helmut Schanze (Hrsg.): Romantik-Handbuch. Stuttgart 1998. – Detlef Kramer: Romantik. Stuttgart Weimar 2001. – Ernst Müller: Romantisch/Romantik. In: Ästhetische Grundbegriffe. Bd. 5. Stuttgart 2003, S. 315–344.
3 Hugo Aust: Realismus. Lehrbuch Germanistik. Stuttgart Weimar 2006. – Bernd Balzer: Einführung in die Literatur des Bürgerlichen Realismus. Darmstadt 2006. – Christian Begemann (Hrsg.): Realismus. Epochen – Autoren – Werke. Darmstadt 2007.
4 Reinhard Lauer (Hrsg.): Europäischer Realismus. Wiesbaden 1980.
5 Friedrich Sengle: Biedermeierzeit. 3 Bde. Stuttgart 1971–1980.
6 Peter Stein: Epochenproblem Vormärz. 1815–1848. Stuttgart 1974. – Walter Jaeschke (Hrsg.): Philosophie und Literatur im Vormärz. 2 Bde. Hamburg 1995. – Martina Lauster u. a. (Hrsg.): Vormärzliteratur in europäischer Perspektive. 3 Bde. Bielefeld 1996–2000.
7 Helmut Koopmann: Das Junge Deutschland. Eine Einführung. Darmstadt 1993.
8 Hugo Aust: Der historische Roman. Stuttgart Weimar 1994.
9 Jürgen Hein: Dorfgeschichte. Stuttgart 1976. – Uwe Baur: Dorfgeschichte. München 1978.
10 Friedrich Theodor Vischer: Ästhetik. 3 Teile. Reutlingen Stuttgart 1846–1857. Teil 3, S. 1305.
11 Dieter Langewiesche: Europa zwischen Restauration und Revolution. 1815–1849. München 2007.
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